USA gegen chinesische App Tiktok: „Nicht der letzte Schlag“
Die USA haben nicht nur die Apps im Visier, sondern eine „Clean-Network“-Initiative angekündigt. Datenökonomin Aline Blankertz erklärt, was das heißt.
taz: Frau Blankertz, die USA wollen ausländische Internetdienste möglichst aussperren. Was heißt das für das Internet?
Aline Blankertz: Damit wird eine Entwicklung deutlich beschleunigt, die sich schon seit einer Weile abzeichnet. China hat das mit der Abschottung ja schon ziemlich perfektioniert und mit seiner Great Firewall westliche Anbieter von seinem Markt abgehalten. Andere Länder wie Iran oder Weißrussland agieren ähnlich. Die USA dagegen standen lange – bei aller Kommerzialisierung – für ein freiheitliches, offenes Internet. Und jetzt machen sie das Internet zum geopolitischen Spielball und sagen: Wenn ihr uns nicht reinlasst, lassen wir euch auch nicht rein.
Geht damit das Internet kaputt, wie einige befürchten?
Ich glaube, wir müssen uns daran gewöhnen, dass es mehr als ein Internet gibt. Gerade deshalb ist es wichtig, sich dafür einzusetzen, dass das Internet, das wir in Europa nutzen, auch unseren Werten und Regeln entspricht. Und es hier nicht eben einfach mal abgeschaltet werden kann, wie gerade bei den Wahlen in Belarus. Oder die Regierung starke Verschlüsselung verbietet, die eine sichere und geschützte Kommunikation ermöglicht.
Warum hängt Trump sich gerade an Tiktok auf?
Die App ist der erste große Exportschlager aus China. Genau genommen der erste große Exportschlager von außerhalb der USA. Es ist ein Dienst, der viele Millionen US-Bürger:innen begeistert – und mit dem sie viel Zeit am Smartphone verbringen. Es geht also um Zeit, die sie nicht mit US-Diensten verbringen. Wenn man das Internet als ein Spiel um Vorherrschaft sieht, was Trump vermutlich tut, dann ist das natürlich ein Angriff auf die USA. Daher wird Trumps Schlag gegen Tiktok nicht der letzte bleiben.
Überwacht China denn mehr als die USA?
Die Geheimdienste in den USA haben auch sehr weitreichende Zugriffsrechte. Daher ist es scheinheilig, dass Trump jetzt auf die chinesischen Geheimdienste zeigt. Aber man kann zumindest sagen, dass in China Wirtschaft und Politik deutlich stärker verwoben sind als in den USA. Die US-amerikanische Wirtschaft, und damit auch die IT-Konzerne, dürfen sich weitgehend frei von Parteieingriffen entwickeln. Das ist in China ganz anders.
Würde Trump genauso agieren, käme die App aus Europa?
Natürlich wäre ein europäisches Tiktok auch eine Bedrohung für Trump gewesen. Aber der geopolitische Konflikt mit Europa ist momentan nicht so zugespitzt, dass er dafür den nötigen politischen Rückhalt gehabt hätte.
Was passiert, wenn Microsoft, Twitter oder ein anderes Unternehmen die US-Sparte von Tiktok übernehmen?
Nach der Einigung müsste der Käufer erst mal die ganze technische Infrastruktur und dann die ganzen Daten übernehmen. Also die persönlichen Daten von und über die Nutzer:innen aus den USA, Kanada, Australien und Neuseeland, das sind ja die Länder, um die es derzeit offiziell geht. Das ist nichts, was von heute auf morgen passiert, sondern würde wohl mindestens ein Jahr dauern.
32, ist Leiterin des Projekts Datenökonomie bei der Stiftung Neue Verantwortung. Sie arbeitet unter anderem zu den Themen Plattformökonomie, Datenschutz und Algorithmen.
Was heißt das für die Nutzer:innen?
Für europäische Nutzer:innen wird maßgeblich sein, ob der neue Eigentümer gleich auch die europäische Sparte mitübernehmen würde. Was eigentlich plausibel wäre, denn Europa ist näher an den USA dran als an China. Da müssen wir einfach das Ergebnis der Verhandlungen abwarten. Wie auch immer es ausgeht: Nutzer:innen in Europa könnten über die App nicht mehr mit denen verbunden sein, die sich in der anderen App befinden.
Es sei denn, beide Seiten einigen sich darauf, dass das möglich sein soll.
Ja, technisch könnte man so eine Interoperabilität hinkriegen. Aber in Anbetracht der derzeitigen diplomatischen Lage halte ich das für unwahrscheinlich. Ganz grundsätzlich gilt jedenfalls: Dass Tiktok es auf den Markt geschafft hat, und zwar weltweit, ist erst mal eine gute Nachricht. Denn es zeigt, dass es auch auf diesen stark konzentrierten digitalen Märkten noch möglich ist, eine Innovation zu etablieren. Jetzt ist allerdings Microsoft ein Unternehmen, das ja schon seit einigen Jahren nicht mehr sehr innovativ im Social-Media- und Unterhaltungssegment unterwegs ist. Ein Tiktok in der Hand von Microsoft wird also vermutlich dort stehenbleiben, wo es gerade schon ist. Und sich nicht mehr mit der Geschwindigkeit weiterentwickeln, mit der Tiktok es bisher getan hat.
Was wiederum eine Chance für eine andere, neue Innovation sein könnte?
Theoretisch ja. Aber je mehr Länder die Zugangshürden für ausländische Dienste erschweren, desto unwahrscheinlicher wird ein globaler Erfolg.
Wie würde denn ein nach Weltregionen segmentiertes Netz aussehen?
Wenn das Internet zunehmen regional aufgebaut ist, erschwert das dreierlei: erstens die Vernetzung von Menschen aus unterschiedlichen Regionen, was ja auch einer der Grundwerte des Internets ist. Zweitens und mit der Vernetzung verbunden: die Kommunikation. Wenn es in jedem Land einen anderen dominanten Messenger-Dienst gibt, bekommt grenzüberschreitende Kommunikation höhere Hürden. Und drittens die Information. Wer etwa Nachrichten aus einem anderen Land sucht, muss dann wissen, welche Suchmaschine oder welches Nachrichtenportal es dort gibt.
Seit den Snowden-Enthüllungen gibt es immer mal Rufe aus Europa, dass auch mal ein großer Dienst von hier kommen müsste. Ist die US-amerikanische Abschottung dahingehend eine Chance?
Das glaube ich nicht.
Warum nicht?
Für Start-ups aus Europa gibt es deutlich mehr Herausforderungen als für welche aus den USA. Wenn wir mal von politischen und finanziellen Rahmenbedingungen absehen, die sich ja ändern lassen: Europa ist aus vielen sprachlichen Kulturräumen zusammengewürfelt. Ein neuer Dienst hat es somit sehr schwer, auf die Masse von Nutzer:innen zu kommen, die nötig ist, um wiederum vom Netzwerkeffekt zu profitieren.
Das klingt, als hätten europäische Dienste per se keine Chance?
Ganz so schlimm ist es nicht. Ein Punkt, an dem sich einiges verändern ließe: Der Staat müsste ein viel stärkerer Nachfrager werden. Das sehen wir gerade in der durch die Pandemie verstärkten Debatte darum, wer Schul-Clouds entwickelt.
Also die Programme und Infrastruktur, über die Schüler:innen und Lehrer:innen Unterricht digital gestalten oder ergänzen können.
Genau. Hier sind viele Einrichtungen ganz schnell wieder bei US-Diensten. Dabei könnte man hier politisch sagen: Wir wollen offene Dienste, wir wollen sichere Dienste, wir wollen werbefreie Dienste, und wir entwickeln die hier, weil die US-amerikanischen Dienste uns das nicht liefern. Ähnliches gilt für andere Bereiche der Daseinsvorsorge, das Gesundheitswesen etwa. Das sind Bereiche, in denen es gut ist, digitale Souveränität zu haben.
Wo verläuft denn die Grenze zwischen digitaler Souveränität und Abschottung?
Ich glaube, das muss ständig neu definiert werden, genau wie im nicht digitalen Raum. Man kann sich da durchaus an der staatlichen Daseinsvorsorge orientieren, die wir jetzt schon haben: Bildung, Gesundheitswesen, Verwaltung, Verkehrsinfrastruktur zum Beispiel. Und im besten Fall entwickelt man dann dabei neue Geschäftsmodelle, die ganz automatisch auch von anderen Bereichen aufgenommen werden.
Zum Beispiel?
Wenn wir zum Beispiel eine gute und geschützte Open-Source-Anwendung für Videosprechstunden haben. Dann stellen vielleicht auch Rechtsanwält:innen fest, dass sie die nutzen wollen. Oder andere Unternehmen. Und damit würde sich schon etwas bewegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen