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UN-Experte über Klima als Fluchtgrund„Recht auf Leben bedroht“

Abschiebungen in Klimawandelländer sind wie Abschiebungen in Bürgerkriegsländer. Das sagt Andreas Zimmermann vom UN-Menschenrechtsausschuss.

Kiribati ist nicht nur wegen des angeschwemmten Plastikmülls ins Gefahr Foto: Barbara Dombrowski/laif
Christian Rath
Interview von Christian Rath

taz: Herr Zimmermann, der UN-Menschenrechtsausschuss hat sich vor Kurzem mit dem Schutz von Klimaflüchtlingen beschäftigt. Sie sind Mitglied in diesem Ausschuss. Was wurde beschlossen?

Andreas Zimmermann: Wir haben festgestellt, dass Staaten niemanden in Gebiete abschieben dürfen, in denen der Klimawandel das Recht auf Leben bedroht.

Was war das für ein Fall?

Ioane Teitiota vom Inselstaat Kiribati reiste 2007 mit seiner Frau nach Neuseeland ein. 2010 endete sein Aufenthaltsrecht. Anschließend beantragte er in Neuseeland Asyl wegen der Folgen des Klimawandels für die Pazifikinsel, die teilweise nur zwei Meter über dem Meeresspiegel liegt. Die neuseeländischen Behörden und Gerichte lehnten den Asylantrag ab. 2015 wurde Teitiota nach Kiribati abgeschoben.

Sah der Ausschuss die Rechte von Herrn Teitiota verletzt?

Nein, im konkreten Fall haben wir keine Verletzung des Rechts auf Leben festgestellt. Der UN-Menschenrechtsausschuss hat festgestellt, dass die neuseeländischen Stellen sein Anliegen ausreichend gründlich und sorgfältig untersucht haben.

Der Ausschuss prüfte also nur, ob Behörden und Gerichte in Neuseeland sich ausreichend mit der Situation in Kiribati auseinandergesetzt haben?

Bild: Kaya Neutzer/Uni Potsdam
Im Interview: Andreas Zimmermann

58, ist seit 2018 Mitglied im UN-Menschenrechtsausschuss und Professor für Öffentliches Recht an der Uni Potsdam. Er ist zugleich Direktor des Menschenrechtszentrums an der Uni Potsdam.

Ja, wir prüfen, ob die Entscheidung eines Staates willkürlich ist oder eine Rechtsverweigerung darstellt. Das war hier nicht der Fall.

Der UN-Menschenrechtsausschuss bezeichnete seine Entscheidung in einer eigenen Pressemitteilung als „historisch“. Warum?

Weil sich der Ausschuss erstmals mit dem Fall eines Klimaflüchtlings beschäftigte und dabei Maßstäbe aufgestellt hat, die in künftigen Fällen auch zu anderen Ergebnissen führen können. Relevant ist für unsere Prüfung immer der Zeitpunkt der letzten nationalen Entscheidung, hier also das Jahr 2015. In einigen Jahren kann die Situation in Kiribati und ähnlichen Staaten anders aussehen.

Kommt es darauf an, dass Kiribati bereits unter Wasser steht?

Nein, auch das ist ein wichtiger Aspekt unserer Entscheidung. Das Recht auf Leben kann bereits verletzt sein, bevor sich die Risiken des Klimawandels realisiert haben. Eine Abschiebung ist nicht erst dann ausgeschlossen, wenn der Bevölkerung im Zielland das Wasser bis zum Hals steht.

Wie weit im Vorfeld der Katastrophe beginnt der völkerrechtliche Schutz? Gibt es eine Faustformel?

Nein. Dazu ist die Bedrohung zu komplex. Es geht ja nicht nur um das Ansteigen des Meeresspiegels. Der Klimawandel führt auch zur Zunahme extremer Wetterereignisse wie Stürmen, Tsunamis und Dürren. Herr Teitiota hat zudem geltend gemacht, dass in Kiribati die Fläche des bebaubaren Lands abnimmt und sich deshalb blutige Landkonflikte häufen. Auch solche sozialen Verwerfungen sind zu berücksichtigen.

Auf der anderen Seite hat die Regierung von Kiribati bereits Land auf einer Nachbarinsel gekauft, die zu den Fidschis gehört. Dorthin könnten Teile der rund 100.000 Kiribater notfalls umgesiedelt werden.

Auch Schutzmaßnahmen der Regierungen sind zu berücksichtigen, etwa eine Erhöhung der Deiche oder Umsiedlungen. Gerade weil die Lage so komplex ist, können wir nur kontrollieren, ob sich die nationalen Stellen seriös mit den drohenden Risiken bei einer Abschiebung auseinandergesetzt haben.

Die Abschiebung in ein vom Klimawandel bedrohtes Land ist also ähnlich zu prüfen wie die Abschiebung in ein Bürgerkriegsland?

Ja, das ist eine ähnliche Konstellation.

Wie verbindlich sind Ihre Entscheidungen für die Staaten?

Der UN-Menschenrechtsaus­schuss wacht über die ­Einhaltung des UN-Pakts über bürgerliche und politische Rechte. Diesen Pakt haben 172 Staaten unterzeichnet und ratifiziert. Da der Pakt für diese Staaten verbindlich ist, geht der UN-Menschenrechtsausschuss davon aus, dass sich die Staaten auch an die Auslegung des Paktes durch den Ausschuss halten.

Oft werden ihre Entscheidungen nur als „Empfehlungen“ bezeichnet...

Das stimmt. Nach unserer Sichtweise sind die Entscheidungen des UN-Menschenrechtsausschuss aber verbindlich, auch wenn wir sie nicht mit Zwangsmitteln durchsetzen können.

Ist der UN-Menschenrechtsausschuss ein Gericht?

Wenn es um Individualbeschwerden geht, arbeitet der Ausschuss quasi wie ein Gericht. Der UN-Menschenrechtsausschuss hat aber auch andere Aufgaben. So prüft er Staatenberichte zur Lage der Menschenrechte und erläutert in ­„general comments“ („allgemeine Bemerkungen“) die Verpflichtungen der Staaten.

Wer kann sich an den UN-Menschenrechtsausschuss wenden?

116 Staaten, darunter auch Deutschland, haben ein Zusatzprotokoll ratifiziert, das es erlaubt, sich mit einer Beschwerde über den jeweiligen Staat an das Gremium zu wenden.

Wer sitzt im Ausschuss?

18 Juristinnen und Juristen aus der ganzen Welt, die von den Vertragsstaaten gewählt wurden.

Warum ist der Ausschuss in Deutschland so wenig bekannt?

Die Bürger- und Menschenrechte in Deutschland werden bereits durch das Bundesverfassungsgericht gut geschützt. Wer mit dessen Entscheidungen nicht einverstanden ist, muss sich entscheiden, ob er den UN-Menschenrechtsausschuss oder den Europäischen ­Gerichtshof für Menschenrechte in ­Straßburg befasst. Meist entscheiden sich Betroffene für den Gang nach Straßburg. In anderen Teilen der Welt hat der ­Ausschuss aber große Bedeutung.

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21 Kommentare

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  • Sorry, aber es gibt kein Menschenrecht, in Neuseeland leben zu dürfen.

  • Alle hier scheinen davon auszugehen, dass der Ausstoß von KliGasen NICHT wesentlich gestoppt werden wird - ich tue es auch. Die Ängste vor Wettbewerbsnachteilen sind überwältigend - und die der Konsumenten vor Lebensstilverlusten ebenfalls.



     

    Kommentar gekürzt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.



    Die Moderation

  • Der Ausschuss sah Rechte von Herrn Teitiota im konkreten Fall nicht verletzt

    Wie ist das zu verstehen, Herr Zimmermann?

    Ist die Tatsache, dass der Lebensmittelpunkt für Herrn Teitiota aus Ozeanien in Kiribati 2007-2015, also 8 Jahre lang, Neuseeland war nicht auch als konkreter Fall juristisch zu berücksichtigen, aus dem ganz andere ganz neue Rechte auf Leben in Neuseeland erwachsen?, die hier scheinbar vom UN-Menschenrechtsausschuss gar nicht verhandelt wurden?

    .Insofern erscheint mir der vorgetragene Fall „Herr Teitiota“ aus Ozeanien in Kiribati ein verunglückter, von dem keine Hoffnung ausgeht, gerade, weil dieser hier als zukunftsweisender Erfolg vorgestellt wird.



    Was im Einzelfall wie hier für Herrn Teitiota zynisch klingen muss.

  • RS
    Ria Sauter

    Das wird noch zu mächtigen Problemen führen, zu Verteilungskämpfen und enormen Widerstand derjenigen, die in sicheren Zonen leben.

  • Die Leute in Kiribati haben auch stark mit haus-, und inselgemachten Problemen zu kämpfen. Die Bevölkerung ist stark angestiegen (aufgrund der besseren Versorgung, ermöglicht durch Industriestaaten), u.a. daraus resultiert ein Rückgang und Verschmutzung des zur Verfügung stehenden Trinkwassers. Das verschärft wiederrum die Wohnsituation. Einige fliegen dann in die Industriestaaten um dort zu studieren und danach zurückzukehren, um zB Tourismusprojekte aufzubauen, die per se nie CO2 neutral sind.

    • @fly:

      Die sind selber schuld, was?

      Merken Sie eigentlich, wie zynisch das ist, was Sie da sagen?

      So lange der durchschnittliche ökologische Abdruck pro Kopf in der industrialisierten Welt um einen Faktor 10 bis 30 höher ist, als "da unten" tun wir gut daran. vor der eigenen Haustür zu kehren, statt uns solcher widerlicher Ausweichsmanöver wie Ihrer zu bedienen.

      Nicht die hohe Geburtenrate in Afrika oder Ozeanien ist das Problem. Die entfesselte Wachstumsideologie in (vor allem West-) Europa und den USA ist es.

      • @tomás zerolo:

        Das ist nicht zynisch, sondern eine schlichte Feststellung von Tatsachen. Überall arbeiten die Menschen an der Zerstörung ihrer eigenen Lebensgrundlagen. Die Menschen in Kiribati bilden da anscheinend keine Ausnahme.

      • @tomás zerolo:

        Eine Verdoppelung der Weltbevölkerung ist für Sie kein Problem solange Sie den globalen Süden weiterhin als eine Region betrachten in der Menschen in Armut leben oder an Hunger verrecken und Sie es weiterhin gut und versorgt haben.

        Zudem ist es eine rassistisch paternalistische Ansicht, Menschen in Kiribati eine Mitverantwortung an den dortigen Zuständen abzusprechen und diese wie Kinder zu behandeln.

      • @tomás zerolo:

        "widerlich" und "zynisch" sind emotional affektierte Sprechverbote aber keine Argumente.

        • @El-ahrairah:

          Wer hat hier was verboten? FLY darf sagen, was er/sie will (es steht mir nicht zu, das zu erlauben oder zu verbieten).

          Ich eben auch.

          Und emotional -- dazu stehe ich, bei diesem Thema.

          • @tomás zerolo:

            Ihr "Man darf doch noch sagen dürfen" ist ebenfalls kein Argument.

            • @Rudolf Fissner:

              "Man" darf aber nun mal.

              • @tomás zerolo:

                Klar jeder darf seine gefühlten Wahrheiten haben: daserste.ndr.de/ex...ht,extra16652.html

                • @Rudolf Fissner:

                  Jetzt bin ich aber verwirrt: wollen Sie damit sagen, dass Sie Klimawandelleugner sind? Das hätte ich Ihnen nicht zugetraut.

                  Aber Sie haben natürlich jedes Recht auf Ihre gefühlten Wahrheiten.

                  Dennoch: mir wird das zu bizarr (und etwas unergiebig). Ich bin raus.

                  • @tomás zerolo:

                    Nein Zerolo, ich wollte Ihnen aufzeigen, dass ihre emotionalen Wahrheiten ("Und emotional -- dazu stehe ich, bei diesem Thema"), gefühlte Wahrheiten sind und habe gehofft, dass Sie den Zusammenhang zu den gefühlten Wahrheiten der Klimaleugner sehen.

                    Das ging, siehe ihre völlig vermurkste Verleumdung wieder einmal, wohl völlig in die Hose.

                    in diesem Sinne - wenn es denn ihrem Wohlbefinden dient - erfühlen Sie ihre Wahrheiten weiter.