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Tschetschenien und der Ukraine-KriegKadyrow droht Kiew

Das Oberhaupt der Tschetschenen behauptet, in der Ukraine zu kämpfen. Seine Truppen sind berüchtigt und dort schon länger aktiv.

Von vielen gefürchtet, für andere ein „Schisshase“: Kadyrow am 25. Februar in Grosny Foto: Chingis Kondarov/reuters

Berlin taz | Ramsan Kadyrow, Präsident der russischen Teilrepublik Tschetschenien, stellt derzeit fast täglich unter Beweis, dass er außer Waffen auch das Internet bedienen kann. In der Nacht zu Dienstag erklärte er via Telegram, dass tschetschenische Kämpfer an der „russischen Offensive“ in der Ukraine beteiligt und bereits anderthalb Kilometer weit in die von russischen Truppen eingekesselte Hafenstadt Mariupol vorgerückt seien. Tags zuvor hatte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow den Unwissenden gemimt und erklärt, er habe keine Informationen darüber, dass sich Kadyrow in der Ukraine aufhalte.

Derlei Gerüchte hatte Kadyrow aber selbst befeuert. Am Sonntag hatte er auf seinem Telegram-Kanal Fotos veröffentlicht, die ihn mit anderen tschetschenischen Kämpfern angeblich nach der erfolgreichen „Eroberung“ eines Waisenhauses zeigen – nur sieben Kilometer von Kiew entfernt.

24 Stunden später reagierte Kadyrow auf eine Äußerung von Oleksij Arestowitsch. Der Berater des Chefs der Kiewer Präsidialverwaltung hatte gesagt, es gebe Informationen, wonach Kadyrow am Vortag in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny gesichtet worden sei.

Der retournierte postwendend mit einem Video von tschetschenischen Soldaten der Nationalgarde (so etwas wie die Privatarmee von Präsident Wladimir Putin), vorgeblich aufgenommen im Donetsker Gebiet in der Ostukraine. „Habt ihr etwa dieses Video nicht gesehen oder soll ich an eure Tür klopfen?“, heißt es da. Und an den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski und „seine Bande“ gerichtet: „Wohin auch immer ihr gehen und wo auch immer ihr euch verstecken werdet: Unsere Kämpfer werden euch erwischen.“

„Kady­rowtsy“ wegen Brutalität gefürchtet

In sozialen Medien wird besagtes Anschauungsmaterial von Kadyrow mit Skepsis kommentiert. Kadyrow sei nicht in der Ukraine, aber er brauche Aufmerksamkeit. Beim Thema Ukraine-Krieg wolle er sich so gut wie möglich in Szene setzen, heißt es auf dem anonymen Telegramm-Kanal 1ADAT, den Kadyrow-Kritiker seit 2020 betreiben. „Kadyrows Propagandamaschine tut alles mögliche, um ihn als wahren Kämpfer zu präsentieren. In Wahrheit ist er aber nichts anderes als ein Feigling und Schisshase.“

Aber fürs Grobe hat man ja seine Leute. So ist die mithilfe tschetschenischer Truppen bei der Spezialoperation zur „Demilitarisierung“ und „Denazifizierung“ an verschiedenen Orten in der Ukraine mittlerweile hinreichend belegt – und das nicht erst seit Ausbruch des jüngsten Angriffskrieges. Die wegen ihrer Brutalität gefürchteten „Kady­rowtsy“ waren in den sogenannten Volksrepubliken Donetsk und Luhansk genauso unterwegs wie in Syrien.

Auch in ihrer Heimatrepublik gehen sie ihrem tschetschenischem Oberhaupt bereitwillig zur Hand. Sie sind für schwerste Menschenrechtsverletzungen an der tschetschenischen Bevölkerung, wie Ermordungen, Entführungen und Verschwindenlassen, verantwortlich.

Selbst im Ausland sind Tsche­tschen*­in­nen nicht vor ihnen sicher. In den Jahren 2017 und 2019 nahm Kadyrows Sicherheitsapparat vor allem homosexuelle Männer ins Visier. Diese wurden zum Teil Opfer tödlicher „Säuberungsaktionen“.

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14 Kommentare

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  • Die Hauptaufgabe der Kadyrow-Leute scheint zu sein, martialische Bilder für die russische Fernsehpropaganda zu liefern. Verschiedene Filme mit posierenden und "kämpfenden" Kadyrov-Leuten wurden, laut Augenzeugen sowie nachgewiesen durch Geolokalisation, in den russisch kontrollierten "Volksrepubliken", sowie in Belarus gedreht.



    Gegen gut ausgebildete und ausgerüstete ukrainische Soldaten zu kämpfen, ist etwas anderes, als unbewaffnete Zivilisten zu terrorisieren. Deswegen ist nicht davon auszugehen, das Kadyrows "Armee" viel Einfluss aufs Geschehen haben wird.

    • @Barbara Falk:

      Die Kadyrowtski, wie diese im Dienste Russlands stehenden Söldner auch genannt werden, haben viel mehr zu verlieren als die russischen Soldaten, sollten Putin und sein Bluthund Kadyrow in Grosny entmachtet werden … nicht weniger als ihr Leben, wenn sie es dann wagen sollten, in ihre tschetschenische Heimat zurückzukehren. Dass sie für den Tod Tausender ihrer Landsleute in den Tschetschenien-Kriegen verantwortlich sind, erfordert gemäß dem Gesetz der Blutrache in der Kaukasus-Region auch ihren Tod … sie und auch ihre Familien sind dort Geächtete, wenn sich die Machtverhältnisse ändern.



      Genau deshalb werden sie mit aller denkbaren Härte und Brutalität weiterkämpfen … ich fürchte, dass ist auch den Kriegsstrategen im Kreml bekannt.

  • Wirklich, wir leben in finsteren Zeiten!



    Eine perverse Form von militantem "Dark Tourism" ist Kalkül zur Konflikteskalation nach der Kreml-Doktrin. Wagner-Gruppe, grimmig wirkende, brutal entschlossene Tschetschenen und angsteinflößende Söldner aus Syrien. Die Konventionen von Völkerrecht und "Kriegsrecht" werden missachtet, die Grenzen verschwimmen zwischen sog. Regulären Truppen und den Terroreinheiten mit analoger schwerer Bewaffnung. Das Internationale Völkerstrafrecht gibt den Behörden in der Bundesrepublik die Möglichkeit, Ermittlungen zu führen. Die Ausstellung internationaler Haftbefehle im Vorfeld der realen Zugriffsmöglichkeiten wäre ein Zeichen für den Weg aus der Anonymität bei Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung. Auch die Opfer müssen ihre Geschichte bekommen und dürfen keinesfalls namenlos bleiben, das Netz als Plattform und Vorinstanz für ein Forum bietet sich an, es vergisst nicht. Vielleicht kann humane Schwarmintelligenz dem Terror dauerhaft das Handwerk legen. Auch der Zorn über das Unrecht macht nicht nur meine Stimme heiser.



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    www.lyrikline.org/...nachgeborenen-740/



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    www.kreiszeitung.d...ato-91373123.html/



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    taz.de/Aktion-von-Anonymous/!5254177/



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    taz.de/Krise-der-Z...C3%B6ldner+Syrien/



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    taz.de/Assad-Regim...-Gericht/!5738111/



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    taz.de/!1799959/



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    🏳️‍🌈März 2022, MR🕊🇺🇦🕊

  • Die erfolgreiche „Eroberung“ eines Waisenhauses durch bewaffnete Kämpfer... Das hat schon, und trotz der Anführungszeichen, was Unterirdisches an sich.



    Die Tschetschenen, falls es wahr ist, dass ihr unterirdisches „Oberhaupt“ z.Z. abwesend sei, sollten die Gunst der Stunde nützen, und dem Prahl- und Drohmachokotzbrocken (bzw. „Feigling und Schisshase“) die (Macht-) Rückkehr verunmöglichen.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    "" Sie sind für schwerste Menschenrechtsverletzungen an der tschetschenischen Bevölkerung, wie Ermordungen, Entführungen und Verschwindenlassen, verantwortlich.""

    ==

    Europa hat noch nicht begriffen, dass die ukrainischen Flüchtlinge zu Putins Angriffsplan auf Europa gehören.

    Schwerste Menschernrechts-verletzungen sind Putins Hebel von 22 Millionen Syrern die Hälfte auf die Flucht (intern & extern) und den Ukrainern durch schwerstes blutiges und brutales Unrecht über Europa zu verteilen.

    Mittlerweile dürften die meisten begriffen haben, das nach Grosny, Aleppo und jetzt Mariopol und Kiew noch viele andere Städte folgen werden - und zwar in Europa.

    Putins zynisches Ziel, durch brutale Kriegsführung wie schon in Syrien und Tschetschenien die EU zu erpressen sollte scheitern. Putins Kalkül ist so brutal wie nachvollziehbar: durch Vertreibung von Zivilisten in der Ukraine nicht nur die Ukrainerinnen und Ukrainer zu demoralisieren und zur Aufgabe zu zwingen, sondern auch die EU dazu zu bringen, die Ukrainerinnen zu verraten.

    Was es jetzt braucht sind tausende von bewaffneten Drohnen, hunderte von intelligenten Raketenabwehrgeschützen



    und tausende schlagkräftige Einsatzkommandos mit transportablen Flugabwehr - und Panzerabwehrwaffen - koste was es wolle - ist völlig egal - um den tätigen Massenmördern und Zerstörern von Geburtskliniken und Krankenhäusern Einhalt zu gebieten.

    Worte werden angesichts der Brutalität und angesichts des Umfangs der Verbrechen nicht mehr helfen.

    • @06438 (Profil gelöscht):

      Und dann kommt Putin mit Atomwaffen. Was dann?

      • @Martin Weber:

        Und dann marschiert Russland mit der gleichen Begründung in die Nato-Staaten ein, und was kommt dann. Wo endet dieses Spiel? Auch wenn es mir lieb ist, die Russen selbst erledigen es, Staatsstreich oder über die Straße, bleibt letztendlich die Option, das atomare Pokerspiel mitzumachen.

      • 0G
        06438 (Profil gelöscht)
        @Martin Weber:

        1.. Atomwaffengefahr - ist nicht auszuschliessen - aber solange die NATO bei Ihrer Position bleibt ist es derzeit keine Option. (Russlands Drohung mit Atomwaffen steht momentan auf der gleichen Stufe wie 2014). Aber die Auslöschung von Berlin bedeutet auch die Auslöschung von Moskau - nach allem was aus Russland zu hören ist, ist diese Eskalationsstufe nicht erreicht - und zwar höchstwahrscheinlich solange wie die NATO bei Ihrer momentanen Position bleibt.

        2..Hunderte von intelligenten Raketen- und Flugabwehrrajketen und Geschützen vor allem im Westen der Ukraine sichert ein wenn auch nur relativ ruhiges ukrainisches Hinterland. -

        Die Bahnverbindungen in den Westen zu schützen ist ein wichtiges Ziel - aber zu verhindern, das russische oder sonstige Raketen in die Nähe oder auf dem Gebiet Polens einschlagen ist der wichtigste Background, alle 100km die Ukraine mit S-300 Abwehrheinheiten auszustatten die das verhindern, was sie am meisten befürchten:

        Die Gefahr einer direkten Konfrontation mit der Nato - die höchstwahrscheinlich (sicher ist das auch nicht - wie nichts in dieser Konfrontation) in eine atomare Auseinandersetzung münden würde kann also am besten verhindert werden indem im ersten Schritt der Westen der Ukraine militärisch abgesichert wird.

        3.. Es gibt sehr viele Orte auf der Welt in denen diese intelligenten aus russischer Produktion stammenden Abwehrgeschütze herumstehen.

        Die lassen sich momentan besser in der Ukraine besser einsetzen

        a. um den Staat der Ukraine zu stabilisieren

        b. um soziale und medizinische Hilfe für alle Ukrainer einigermassen sicher anbieten zu können

        c. und um die Gefahr eines Atomkrieges deutlich zu minimieren: - Nämlich durch Abwehr von Geschossen, die auch nur in die Nähe eines Natostaates gelangen könnten.

  • Kadyrows Männer sind als Plünderer und Vergewaltiger berüchtigt - eine Waffe für Staatsterroristen.

  • Nuja. Kadyrow, demnächst dann vermutlich Assads Möderbanden, Hizbollah und - wer weiss - die iranischen Al-Quds-Brigaden. Gleich und Gleich gesellt sich halt gern.

    • @Kaboom:

      Tschetschenen sind Sunniten. Hisbollah und Iran sind Schiiten. Da wird es wohl kaum viel Zuneigung geben.

      • @Andreas J:

        Die Tschetschenen sind schon vor Ort, und die "Freiwilligen" aus dem Nahen Osten sind angekündigt.

        www.n-tv.de/politi...ticle23198479.html

        • @Kaboom:

          Ja, aber wohl nicht die Hizbollah oder die Al-Quds-Brigaden.

          • @Andreas J:

            Hizbollah hat - ebenso wie die Al-Quds-Brigaden - schon in Syrien gemeinsam mit den Russen gekämpft. Warum sollte das in der Ukraine anders sein?