Lage in der Ukraine: Unter russischer Besatzung
In den von Russland kontrollierten Gebieten der Ukraine werden Bürgermeister und Aktivisten entführt. Präsident Selenski sieht das als Terror.
„Gebt uns unseren Bürgermeister zurück. Skadowsk ist ukrainisch“, hörte man hunderte von Menschen rufen, die sich am Mittwochnachmittag vor der Stadtverwaltung der südukrainischen Hafenstadt Skadowsk versammelten. Nach ungefähr einer halben Stunde fielen Schüsse. Sie kamen von den russischen Besatzern, die sich in der Stadtverwaltung verschanzt hatten.
Mit Tränengasgranaten trieben sie die Demonstrierenden auseinander. Kurz zuvor war bekannt geworden, dass die russischen Besatzungstruppen den Bürgermeister der Stadt, Olexander Jakowlew, festgenommen haben. Skadowsk liegt hundert Kilometer südlich von Cherson, in der Nähe der Krim.
Jakowlew ist der jüngste Fall der Verhaftung eines gewählten Bürgermeisters in den von Russland seit dem 24. Februar besetzten Gebieten. Dort herrschen die Militärs mit Angst und Schrecken. Russische Nationalgarde und der Geheimdienst FSB suchen gezielt nach Bewohnern, die Proteste gegen die Besatzung organisieren. 400 Menschen seien, so der ukrainische Generalstab und die Menschenrechtsbeauftragte Liudmilla Denissowa, inzwischen festgenommen worden. Laut dem ukrainische Radiosender Hromadske sind die Zahlen möglicherweise zu hoch angesetzt.
Dennoch ist klar, dass die russischen Besatzer im großen Stil Jagd auf proukrainische Aktivisten machen. In einem Aufruf an die UNO und die internationale Gemeinschaft schlagen über 70 ukrainische Menschenrechtsorganisationen, darunter die Helsinki Gruppe, die Menschenrechtsgruppe Charkiw und das Roma-Radio Chiriklo, angesichts zahlreicher Verhaftungen, Entführungen und Morde von Politikern, Aktivistinnen, MenschenrechtlerInnen, Bürgermeistern, JournalistInnen durch die russischen Besatzungstruppen Alarm.
Tschetschenische Militärs treiben ihr Unwesen
Am 7. März wurde bekannt, dass das russische Militär den Bürgermeister von Gostomel, einem Vorort von Kiew, Jurij Prilipko, und zwei Freiwillige, Ruslan Karpenko und Iwan Sarja, erschoss, als sie Lebensmittel und Medikamente an die Bewohner der Siedlung Pokrowski verteilten. Gostomel ist in russischer Hand, dort treiben tschetschenische Militärs ihr Unwesen. Mehrere Dutzend Bewohner der Ortschaft, die noch rechtzeitig hatten fliehen können, wurden von diesen Militärs als Geiseln festgehalten, berichtet eine Bewohnerin von Gostomel der taz. Zudem seien Frauen vergewaltigt worden.
Das Portal sledstvie.info zitiert die Tochter des Bürgermeisters, Nadeschda: „Mein Vater und vier weitere Personen waren mit dem Auto auf der Hauptstraße von Gostomel unterwegs, als ihnen eine russische Kolonne entgegenkam. Aus der Kolonne fielen Schüsse in Richtung des Autos. Zwar hatten sie zunächst das Auto wenden und in eine andere Richtung fahren können, doch dann kamen sie in einer Straße, die mit einem Traktor verbarrikadiert war, nicht mehr weiter und mussten zu Fuß fliehen. Und dabei wurden sie und zwei weitere Männer erschossen.“
In Melitopol in der südukrainischen Region Saporischschja sind mindestens sechs Personen entführt worden. Dazu zählt der Bürgermeister Iwan Fedorow, die Aktivistin Olga Gaisumowa und der Vorsitzende des Bezirksrats Sergej Primu. Der Bürgermeister war am 11. März am helllichten Tag entführt worden. Man kann davon ausgehen, dass seine Weigerung, mit den Besatzern zusammenzuarbeiten, der Grund war. Einschüchtern ließ sich die Bevölkerung von Cherson durch diese Entführung nicht. Am Tag nach der Geiselnahme waren Tausende auf die Straße gegangen und forderten die Freilassung von ihrem Bürgermeister.
Präsident Selenski sieht in den Entführungen eine neue Stufe von Terror. Er erklärte gegenüber ukrainischen Medien, Fedorow sei gefoltert worden, die Besatzer hatten ihn zwingen wollen, in einem Video für sie Position zu beziehen. Seit dem 12. März sind der Aktivist Serhiy Tsygipa aus Novaya Kachovka im Gebiet Cherson und der Journalist Oleg Baturin aus dem benachbarten Kachovka spurlos verschwunden. Einen Tag später wurde auch der Bürgermeister von der südukrainischen Kleinstadt Dniprorudne, Jewhen Matwejew, entführt.
In Skadowsk zeigten die Proteste dagegen Wirkung: Der Bürgermeister wurde wieder freigelassen. Ungekämmt und schwer atmend wandte sich Jakowlew per Video an seine Mitbürger. Man habe ihn nach dem „Gespräch“ freigelassen, es sei alles in Ordnung.
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