Trumps undemokratisches Verhalten: Krieg um die Demokratie

Trump verhält sich wie ein Diktator. Doch nur weil er mit komplizierten demokratischen Strukturen überfordert ist, müssen wir es nicht sein.

Donald Trump wirft eine rote Mütze bei einer Wahlkampfveranstaltung in die Zuschauermenge

Donald Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung in in Avoca, Pennsylvania, am Montag Foto: Carlos Barria/reuters

Es ist nicht so, wie alle gedacht haben. Nein, es ist so: Der US-Präsident ruft zum Putsch gegen das demokratische System auf und erntet dafür Applaus von den einen (so viel war klar) – und Schulterzucken von den anderen. „Nicht überraschend“, sagen die Abgebrühten und Superchecker von den US-Demokraten bis zur deutschen Linken dazu. Nicht überraschend?

Es ist also nicht überraschend, dass der amtierende Präsident eines demokratischen Landes in der am meisten beachteten Präsidentschaftswahl der ganzen Welt sagt, dass ihm der Sieg geklaut wird? Obwohl noch lange nicht alle Stimmen ausgezählt sind? Nicht überraschend, dass dieser Präsident von „Betrug am Wähler“ spricht und damit die andere Hälfte seiner wählenden Bevölkerung als Betrüger bezeichnet? Obwohl er der Betrüger und Lügner ist? Nicht überraschend, dass er dazu auffordert, das Zählen der Briefwahlstimmen zu beenden? Obwohl das Zählen der Briefwahlstimmen noch weit davon entfernt ist, beendet zu sein?

Wem das nicht überraschend genug ist, hat die Demokratie aufgegeben. Wer jetzt mit den Schultern zuckt, der zuckt auch mit den Schultern, wenn Donald Trump in zwei Jahren sagt: „Wenn Wahlen etwas ändern könnten, wären sie verboten.“

Wer – zu Recht – Twitter und Facebook für ihre Toleranz der Intoleranz kritisiert (siehe Nazi-Netzwerke), kann nicht wegschauen, wenn ein Präsident die Demokratie angreift, nur weil man wusste, dass es so kommen würde. Nur weil der Präsident angekündigt hatte, die Briefwahl nicht zu akzeptieren, müssen wir es ja nicht tun.

Ein Verhalten wie aus Diktaturen

Es ist fast so, als könnten wir vor lauter Empörung über dieses und jenes in der Welt ein Ereignis gar nicht mehr erkennen, das jedem Demokraten dieser Welt die Sprache verschlagen muss. Was Trump hier an den Tag legt, ist ein Verhalten, was wir aus autokratischen, modernen Diktaturen kennen: Wer nicht für mich stimmt, dem drohe ich mit der Staatsgewalt.

Wollen wir es da wirklich Twitter überlassen, dieses undemokratische, eines Diktators würdige Verhalten als „irreführend“ zu kennzeichnen?

Nur weil dieser Tyrann von komplizierten demokratischen Prozessen überfordert ist, müssen wir es nicht sein. Nur weil der Präsident jetzt berechenbar geworden ist, sollten wir es nicht sein. Ja, es ist sehr eng dieses Mal. Und ja, es dauert eben, bis alle Stimmen ausgezählt sind. Aber auch das war zuvor bekannt.

Was nicht zur Abstimmung steht

Dass das US-Wahlsystem nicht mehr adäquat ist, dass die Registrierung der Wähler eine unverhältnismäßige Hürde darstellt, all das stand bei dieser Wahl nicht zur Abstimmung. Zur Abstimmung standen zwei Namen. Es ist völlig egal, ob der nächste gewählte Präsident Trump oder Biden heißt: Donald Trump wusste es zum Zeitpunkt seiner Rede in der Wahlnacht nicht. Oder doch?

Wir befinden uns mitten im Krieg um die Demokratie. Und wer dafür Anschauungsmaterial braucht, der gucke sich auf CNN die aufgeregten Moderatoren an, wie sie den Zuschauern eindringlich ins Gewissen reden, nicht zu glauben, was der Präsident gesagt hat, sondern abzuwarten, bis die Ergebnisse da sind.

Wenn der Präsident seinen Landsleuten sagt, sie sollen das Zählen der Stimmen beenden, sollten wir es nicht tun. Es gibt aber jetzt US-Amerikaner, die morgen früh aufstehen und sich entscheiden müssen, ob sie gegen den Willen ihres Präsidenten ihren Job erledigen sollen: Stimmen auszählen.

Das ist der Irrsinn. Nicht dass wir am Mittwochmorgen noch kein Ergebnis haben. Dass wir das Ergebnis erst kennen, wenn es da ist, das ist Demokratie.

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Seit 2012 Redakteurin | taz am Wochenende. Seit 2008 bei der taz als Meinungs, - Kultur-, Schwerpunkt- und Online-Redakteurin, Veranstaltungskuratorin, Kolumnistin, WM-Korrespondentin, Messenreporterin, Rezensentin und Autorin. Ansonsten ist ihr Typ vor allem als Moderatorin von Literatur-, Gesellschafts- und Politikpodien gefragt. Manche meinen, sie kann einfach moderieren. Sie meint: "Meinungen hab ich selbst genug." Sie hat Religions- und Kulturwissenschaften sowie Südosteuropäische Geschichte zu Ende studiert, ist Herausgeberin der „Jungle World“, war Redakteurin der „Sport-BZ“, Mitgründerin der Hate Poetry und Mitinitiatorin von #FreeDeniz. Sie hat diverse Petitionen unterschrieben, aber noch nie eine Lebensversicherung.

Am 3. November 2020 haben die USA einen neuen Präsidenten gewählt: Der Demokrat Joe Biden, langjähriger Senator und von 2009 bis 2017 Vize unter Barack Obama, hat sich gegen Amtsinhaber Donald Trump durchgesetzt.

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