US-Wahlen noch nicht entschieden: Von „blauer Welle“ keine Spur
Noch hat Joe Biden eine rechnerische Chance, nächster Präsident zu werden. Aber für die Demokrat*innen ist die Wahl dennoch eine Riesenenttäuschung.
Berlin taz | Es ist das Szenario, was seit Wochen befürchtet wurde: Die US-Wahl ist auch in den Morgenstunden des Mittwochs nicht entschieden. US-Präsident Donald Trump liegt in den entscheidenden Bundesstaaten in Führung.
Nur die – mutmaßlich sehr viel häufiger von Wähler*innen des demokratischen Kandidaten Joe Biden abgegebenen – Briefwahlstimmen können das Ruder noch zu einem Biden-Sieg herumreißen, und in diesem Moment stellt sich Trump vor Anhänger*innen und Presse und erklärt, er habe die Wahl gewonnen, wolle sich beim Obersten Gerichtshof darum bemühen, dass keine weiteren Stimmen mehr gewertet werden und insinnuiert, dass da Wahlbetrug im Spiel sei.
Selbst Trumps Leib- und Magensender Fox News wies darauf hin, dass er die Wahl keinesfalls bereits gewonnen habe, CNN empörte sich über die Lügen und Drohungen des Präsidenten, und weltweit zeigten sich Beobachter*innen schockiert über Trumps erneutes Torpedieren des demokratischen Wahlprozesses – ohne dass aber jemand behaupten könnte, Trump werde die Wahl deutlich verlieren.
Die reinen Zahlen geben kein klares Bild: Würde sich der frühe Trend bestätigen, dass Trump nach Ohio und Florida auch die Rust-Belt-States Michigan, Wisconsin und Pennsylvania für sich entscheiden könnte, hätte er die Wahl klar gewonnen.
Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.
Aber gegen fünf Uhr morgens der Washingtoner Zeitzone, elf Uhr deutscher Zeit, drehte sich plötzlich die Führung Trumps in Wisconsin: Nach Bekanntgabe der Stimmen aus dem klar demokratischen Milwaukee County lag Joe Biden in Wisconsin plötzlich mit 11.000 Stimmen in Führung. Ein Lichtblick für den demokratischen Kandidaten, der schon Stunden vorher seine eigenen Unterstützer*innen mit Durchhalteparolen aufgerufen hatte, noch nicht alle Hoffnung aufzugeben. Aber eben nur ein Lichtblick.
Kein Referendum über Trumps Coronapolitik
Denn die Nacht lief schlecht für die Demokrat*innen, viel schlechter als erhofft. Von der „blauen Welle“, die sich viele erhofft hatten, kann nicht die Rede sein, im Gegenteil. Die wichtigen Swing States Florida und Ohio (ohne die seit John F. Kennedy kein Kandidat mehr gewonnen hat) gingen an Trump, die Hoffnungen, in Texas mitspielen zu können, erfüllten sich nicht, in Georgia und North Carolina liegt Biden hinten, und auch der Senat scheint trotz zweier demokratischer Zugewinne in Colorado und Arizona unter republikanischer Kontrolle zu bleiben.
Und selbst wenn es für Biden zum Gewinn der Präsidentschaft letztlich doch noch reichen sollte – und es Trump nicht schafft, diesen Wahlsieg auf juristischem Wege zu torpedieren –, müssen sich nicht nur erneut die Umfrageinstitute fragen, was da eigentlich wieder falsch gelaufen ist, sondern auch die Demokrat*innen.
Ganz sicher ist: Ihr Versuch, die Wahl zu einem Referendum über die Coronapolitik des Präsidenten zu machen, ist gescheitert. In Nachwahlumfragen sagte zwar eine klare Mehrheit der Befragten, dass sie mit Trumps Umgang mit Corona nicht zufrieden sind und Biden da mehr zutrauen – aber es war bei weitem nicht ihr wichtigstes Thema. Das war die Wirtschaft, und da liegen Trumps Zustimmungswerte deutlich über Bidens.
Und: Für die meisten Trump-Gegner*innen ist er ein offen rassistischer Präsident – aber seine Zustimmungswerte unter Schwarzen und Latinos sind gestiegen. In Florida etwa holte Hillary Clinton vor vier Jahren 62 Prozent der Latino-Stimmen, Biden nur 52. Das Dauerbombardement der Trump-Kampagne, bei dieser Wahl gehe es um eine Entscheidung zwischen Freiheit und Kommunismus, scheint insbesondere bei der kubanischen und venezolanischen Community massiv verfangen zu haben.
Trump bei Schwarzen, Latinos und Asians besser als 2016
Landesweit verbesserte sich Trump bei Schwarzen (von 8 auf 12 Prozent), bei Latinos (von 28 auf 32) und bei Asian-Americans (von 27 auf 31 Prozent). Woran das im Einzelnen liegt, müssen weitergehende Analysen zeigen: Sicher scheint, dass die demokratische Gewissheit, Trumps rassistische Rhetorik würde ihnen die Stimmen quasi von allein zuspielen, sich keinesfalls bewahrheitet hat.
Und auch die alte Weisheit, dass hohe Wahlbeteiligung quasi automatisch zu demokratischen Wahlsiegen führt, sollte endlich ad acta gelegt werden: Am Mittwochmorgen schon hatten beide Kandidaten jeweils über drei Millionen Stimmen mehr erhalten als Trump und Clinton 2016. Trump hat die Dynamik gedreht: Hohe Mobilisierung nutzt ihm.
Sicher scheint auch, dass Trump zwar gute Chancen hat, wiederum die Mehrheit von über 270 Stimmen im Electoral College zu bekommen und damit im Weißen Haus zu bleiben, erneut aber keine Mehrheit der US-Amerikaner*innen von sich hat überzeugen können. In den frühen Morgenstunden des Mittwochs in den USA lag Biden beim – für den Wahlausgang unbedeutenden – „popular vote“, also den landesweit insgesamt abgegebenen Stimmen, gut zwei Millionen Stimmen vor Trump.
Aktuelle News zu den US-Wahlen finden Sie in unserem Liveticker.
Leser*innenkommentare
Deep South
Ja klar. Man hatte 4 Jahre Zeit, einen geeigneten Kandidaten zu finden oder aufzubauen. Am Ende setzt man auf Biden. Einen fast 80jährigen Polit-Dinosaurier, der nicht weniger blass sein könnte. Er hat weder das Potential enttäuschte Trump-Wähler zurückzugewinnen noch glaubhaft für Zukunft und Wandel zu stehen, noch das gespaltene Land wirklich zu einen.
Es ist die gleiche alte Bräsigkeit und Überheblichkeit, mit der schon Clinton gescheitert ist. Es reicht eben nicht, nur darauf zu verweisen, wie ungeeignet und undiplomatisch der Gegenkandidat ist. Das interessiert die egoistisch/lobbyistisch geprägte Wählerschaft einen feuchten.
Und falls es für Trump reichen sollte, dann dürfen sich die Medien (und damit mein ich tatsächlich auch mal fast ausnahmslos alle etablierten Medien) den Schuh anziehen, über jedes noch so billige Stöckchen geprungen zu sein, was ihnen Trump hingehalten hat. Der Mann hat seit Beginn seines ersten Wahlkampfs, auch von seinen Gegnern, für jede billige Provokation die größtmögliche Bühne bekommen.
Auch hier bei uns, auch in der taz. Wir regen uns hier auf, dass Höcke und Co in jeder zweiten Talkrunde ihren Blödsinn verzapfen düfen, widmen aber einem notorischen Lügner und Rassisten nahezu jeden Tag 2-3 Artikel.
FancyBeard
Man hat das Gefühl die US Demoskopen und Demokraten verstehen die USA genauso schlecht wie wir Europäer:D
Yodel Diplom
Wer aufgepasst hat und die Umfragen zum Wahlverhalten gesehen hat weiß dass Republikaner bei dieser Wahl dazu tendieren vor Ort zu wählen, am Wahltag, und Demokraten dazu tendieren Briefwahl zu machen.
D.H. die bisherigen Ergebnisse mögen eng sein, aber es warten noch millionen von Briefwahlumschläge. Wir wissen erst wie es tatsächlich steht bis diese ausgewertet sind, und es steht zu erwarten dass diese überwiegend Stimmen sind die den Demokraten, und somit Joe Biden, zuzuordnen sind. Die "Blaue Welle" kann sich also durchaus noch zeigen.
satgurupseudologos
@Yodel Diplom Ihre einschätzung ist wahrscheinlich zutreffend.
Ich mag beide kandidaten nicht und misstraue dem der" demokraten "sogar noch mehr weil er für mehrere kriege mitverantwortlich ist.andererseits geht klimaschutz -der für die sicherung der zukunft der ganzen menschheit wichtig ist mit der republikanischen partei und deren kandidaten garantiert nicht.aus meiner sicht wäre es am besten wenn Joe Biden möglichst bald nach dem nun vielleicht doch noch möglichen wahlsieg zurückträte.dann hätten die usa ihre erste präsidentin
auf keinen fall darf dieser für den tod von so vielen zivilist*innen mitverantwortliche alte weisse mann(der George zuweilen nicht von Donald unterscheiden kann und manchmal nicht weiss ob er für den senat oder das amt des präsidenten kandidiert) irgendwelche einsamen entscheidungen treffen.
der linke parteiflügel muss versuchen die aussenpolitik zu bestimmen sich vetorechte im hinblick auf den gebrauch militärischer gewalt zu verschaffen und zu sichern und entsprechende personalpolitische akzente zu setzen
sonst droht die fortsetzung des katastrophalen imperialistischen militarismus
der ausserdem auch noch die öffentlichen mittel frisst die für einen sozialvertäglichen klimaschutz und die verbesserung der lage der armen dringend benötigt werden
hier ein artikel von Mohammed Lannif der deutlich macht wie notwendig eine entmilitarisierung der aussenpolitik der usa ist
www.theguardian.co...esidents-joe-biden
"US presidents are like the boss who goes to work terrorising his employees but comes home to spread sunshine and love. Deal with Trump by all means, lock the door and throw away the key. Elect the person you believe will save the US soul – but don’t send him out into the world to save us."
Yodel Diplom
@satgurupseudologos Sie vertrauen Biden weniger als jemandem der Nazis "very fine people" nennt, dafür verantwortlich ist dass Kinder in Käfigen gehalten wurden, über Jahre, Frauen in Flüchtlingslagern zwangsweise die Gebärmutter entfernt wurde, der Freund von Jeffrey Eppstein war, den Coronavirus, trotz wider besserem Wissens herunterspielte und Maßnahmen dagegen sabottierte - und ich könnte jetzt noch viele Stunden so weiterschreiben ohne den Ausmaß der von Trump zu verantworteten Katastrophen zu erfassen
OK, dann ist hier uns Unterhaltung beendet. Dauerhaft.
Strolch
@Yodel Diplom Eine blaue Welle wird es nicht mehr geben. Aber mit etwas Glück ein blaues Auge. Ich habe gerade bei der FAZ unter Verweis auf NYT gelesen, dass in Michigan 78% der Briefwahlen für Biden waren. Rechnet man dies auf Pennsylvania hoch, würde Biden dort gewinnen. Auch ohne Pennsylvania könnte es noch etwas werden, wenn die Verhältnisse in allen Staaten so bleiben, wie sie gerade sind. Aber mein Post wird von der Wirklichkeit überholt werden, sobald ich ihn abgesandt habe...
Yodel Diplom
@Strolch Blaue Welle heisst für mich dass die Demokraten überdurchschnittlich viele Senatoren stellen und den Senat erobern. Ich habe da keine genaue Übersicht aber für mich sieht es danach aus als würde es so kommen. Und Biden ist auf dem besten Weg Präsident zu werden.
Aber vermutlich ist es eine Frage wie man "Blaue Welle" definiert
15797 (Profil gelöscht)
Gast
@Yodel Diplom Es sind möglicherweise nicht genug, die Trump unbedingt austauschen wollen.
Vor 4 Jahren hatte er auch schon "knapp aber sicher verloren" und dann kam im letzten Moment die Ueberraschung.
Es ist alles möglich, dort wo unmögliche Kandidaten zur Wahl stehen
15797 (Profil gelöscht)
Gast
"Blaue Welle" hahahahaha
Die Unterschiede zwischen beiden sind so gering, dass wirklich nur die Biden waehlen, die den Trump unbedingt aus dem Weissen Haus entfernen wollen.
Das alleine reicht nicht unbedingt für einen Wahlsieg.
Selbst Journalisten hätten das erkennen können
Markus Michaelis
Ja, Trump ist in vielen Dingen eine große Gefahr für die Demokratie (vornedran jetzt seine Siegeserklärung und das Stoppen-Wollen der Stimmauszählung).
Aber die Demokraten sollten den Moment zum Nachdenken nehmen, weil ihr Anteil vielleicht kleiner ist, aber vielleicht auch schon ausreicht die Demokratie zu beschädigen. Trump hat (was man liest) nur bei weißen Männern Stimmen verloren, bei Frauen und "Minderheiten" Stimmen gewonnen. Wie kann das sein?
Kämpfen die Demokraten nicht gegen Rassismus und Diskriminierung, Solidarität und Gerechtigkeit und für ALLE Minderheiten und Benachteiligten?
Jede Abweichung von dieser gefühlten Realität, zusammen mit den massiven Vorwürfen gegenüber die "rassistischen, undemokratischen ....." Menschen auf der Gegenseite, und jedes Abweichen in der Realtiät davon, dass die in akademisch-universitären Kreisen fest definierten und verteidigten identitären Gruppen doch nicht so monolithisch sind, hat auch genügend Sprengkraft für die Demokratie.
Abgeschwächt gilt Ähnliches für Deutschland und andere Staaten.
Götz-Michael Freimann
Meine Partnerin ist US - Amerikanerin und Peruanerin. Ihre Familie wurde in ihrer Kindheit von linken Terroristen durchs ganze Land gejagt. Sie hat schon vor Monaten in der Botschaft abgestimmt. Vermutlich für Trump.
Vielleicht gewinnt Biden ja trozdem. Allan Lichtman, der Schlüssel Mann, hat es ganz zuletzt so prognostiziert.
Außerdem:
Die selben Leute, die Biden klar vorne sahen, glauben auch an 85 Prozent Zustimmung zu den Corona Maßnahmen.
Linksman
@Götz-Michael Freimann Och, die pöhsen linken Terroristen. Gibt wohl keine anderen. Sie sollten sich den Proud Boys anschließen.
Ihr Avatar vom Trumpjünger John Lydon ist recht passend.