Reaktionen auf US-Wahl: Bestürzung in Deutschland

Deutsche Politiker:innen äußern sich besorgt über die unklare Lage in den USA während der Stimmenauszählung. AKK spricht von einer „sehr explosiven Situation“.

Annegret Kramp-Karrenbauer

Annegret Kramp-Karrenbauer äußerte sich am Mittwoch zu den US-Wahlen Foto: ap

BERLIN afp/dpa/reuters | Politiker in Deutschland haben US-Präsident Donald Trump undemokratisches Verhalten vorgeworfen. Vizekanzler Olaf Scholz hat eine Auszählung aller Stimmen angemahnt. Die Wahlen müssten „komplett stattfinden“, so dass das Votum jedes Bürgers und jeder Bürgerin Einfluss auf das Ergebnis haben könne, sagte der SPD-Politiker am Mittwochmorgen in Berlin. Zuvor hatte sich US-Präsident Donald Trump vorzeitig zum Sieger erklärt, obwohl die Auszählung der Wahlergebnisse noch nicht abgeschlossen war.

Scholz sagte, die Entwicklung in den USA sei Anlass, darauf zu bestehen, dass Europa eine eigene Kraft entfalte. „Es geht also um europäische Souveränität, wenn wir über die Politik der Zukunft diskutieren.“ Eine regelbasierte Weltordnung biete die Grundlage für eine gute Entwicklung jeder Nation. „Deshalb geht es gerade jetzt, auch bei dieser Gelegenheit darum, dass wir Europa stark machen“, sagte der Bundesfinanzminister. Er äußerte sich vor einer Onlinekonferenz mit seinen EU-Kollegen.

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sieht wegen der Unsicherheit über den Wahlausgang in den USA „eine sehr explosive Situation“ dort. Es sehe so aus, „dass jetzt die Schlacht um die Legitimität des Ergebnisses, wie immer es aussehen wird, begonnen hat“, sagte die CDU-Chefin am Mittwoch im ZDF-“Morgenmagazin“. Offensichtlich werde der Wahlkampf nach der Wahl fortgesetzt.

Trump hatte zuvor einen Sieg bei der Präsidentschaftswahl für sich beansprucht – und will eine weitere Auszählung der Stimmen vom Obersten Gerichtshof des Landes stoppen lassen. „Wir haben diese Wahl gewonnen“, sagte Trump in der Nacht auf Mittwoch (Ortszeit) im Weißen Haus, obwohl der Ausgang der Wahl in mehreren wichtigen Bundesstaaten noch offen war.

Der Amtsinhaber sprach von angeblichem „Betrug an der Nation“ bei der Wahl und fügte hinzu: „Wir werden vor den Supreme Court ziehen. Wir wollen, dass alles Wählen endet.“ Vermutlich bezog sich Trump damit auf die nach wie vor laufende Auszählung zahlreicher Briefwahlstimmen.

Kramp-Karrenbauer widersprach der Darstellung von US-Präsident Donald Trump. „Diese Wahl ist noch nicht entschieden“, betonte die CDU-Politikerin, denn „die Stimmen werden noch ausgezählt.“ Sie warnte angesichts des Auftretens von Trump vor „einer Verfassungskrise in den USA“. Dies sei „etwas, das uns insgesamt sehr beunruhigen muss“.

Lindner: „Kritische Situation“

Zum deutsch-amerikanischen Verhältnis sagte die CDU-Vorsitzende, die Freundschaft zwischen beiden Ländern sei „in den vergangenen vier Jahren auf eine harte Probe gestellt worden“. Dennoch bleibe sie dabei: „Diese Freundschaft ist mehr ist als die Frage einer aktuellen Administration im Weißen Haus.“

Klar sei auch, dass Deutschland auf Dauer weiter gute Beziehungen zu den USA brauche. „Deswegen halte ich nichts davon, wenn wir sagen, wir lösen uns von den Vereinigten Staaten“, hob Kramp-Karrenbauer hervor. Allerdings gelte für die Zukunft: „Wir werden sehr viel mehr für unsere eigenen Interessen tun müssen – als Deutschland und insbesondere mit den anderen Europäern.“

Der Präsident des deutschen Industrieverbandes BDI, Dieter Kempf, warnt vor einer längeren Phase der Unsicherheit. Alle Stimmen müssten ausgezählt und der rechtmäßige Sieger gekürt werden. „Wir hoffen sehr, dass die Situation in den Vereinigten Staaten nun nicht eskaliert und alle einen kühlen Kopf bewahren.“ Nach der Wahl müsse es einen Neustart in den transatlantischen Beziehungen geben. „Unsere Partnerschaft ist in den vergangenen vier Jahren in schwieriges Fahrwasser geraten. Die USA müssen endlich darauf verzichten, Zölle unter dem Deckmantel der nationalen Sicherheit zu erheben oder anzudrohen.“

Dass Trump noch vor Auszählung aller Stimmen den Sieg bei der Präsidentschaftswahl für sich beansprucht, führe zu einer „kritischen, einer bestürzenden Situation“, sagte FDP-Chef Christian Lindner am Mittwoch im ZDF. „Damit bahnt sich eine dramatische Konfliktsituation in der amerikanischen Demokratie an mit unabsehbaren Folgen nicht nur für das amerikanische Volk, sondern darüber hinaus – auch für die Welt und mithin auch uns in Europa“, warnte Lindner.

Es könne nun eine Situation entstehen, in der die Vereinigten Staaten „auf der internationalen Bühne überhaupt nicht handlungsfähig sind“, sagte Lindner. Dass Trump den Sieg bereits für sich beanspruchte und die Auszählung von Stimmen gerichtlich stoppen lassen will, breche mit „Tradition und Regeln“, kritisierte der FDP-Chef. Was Trump nun mache, „übersteigt doch das, was man vor wenigen Monaten für möglich gehalten hätte“.

Auch der Linken-Außenexperte Gregor Gysi kritisierte Trumps Vorgehen scharf. „Das ist wirklich undemokratisch“, sagte Gysi im ZDF. „Er will die Leute aufputschen.“ Gysi kritisierte Trumps Ankündigung, die Auszählung von Stimmen gerichtlich stoppen lassen zu wollen. Damit habe der Präsident „weder sich noch seinem Land noch der Menschheit einen Gefallen getan“.

Der Vorsitzende der Atlantik-Brücke Sigmar Gabriel hat vor einem außenpolitischen Vakuum nach einem unklaren Wahlausgang in den USA gewarnt. Sollte die USA auf Monate mit sich selbst beschäftigt und ohne klare Führung sein, wäre das ein „Riesenproblem“, sagte der frühere SPD-Chef am Mittwoch im ZDF-“Morgenmagazin“. „Das wird die freuen, die das Vakuum füllen wollen. Das sind China, Russland, die Türkei.“ Europa sei leider zu schwach, um das zu tun, sagte Gabriel. Für die Welt sei es sehr schwierig, wenn eine so große Nation wie die USA praktisch ausfalle. Er verwies auf Herausforderungen wie die Coronapandemie oder die Verbreitung von Nuklearwaffen zu verhindern.

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Am 3. November 2020 haben die USA einen neuen Präsidenten gewählt: Der Demokrat Joe Biden, langjähriger Senator und von 2009 bis 2017 Vize unter Barack Obama, hat sich gegen Amtsinhaber Donald Trump durchgesetzt.

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