Trumps Kandidatin fürs Oberste Gericht: Eine erzkonservative Katholikin
Donald Trump nominiert Amy Coney Barrett für den Obersten Gerichtshof. Sie lehnt Obamas Gesundheitsreform und Abtreibungen ab.
Falls die republikanische Mehrheit im Senat Barrett bestätigt – wonach es aussieht –, bekommt das Gericht erstmals nach Jahrzehnten wieder eine solide konservative Mehrheit von sechs zu drei Stimmen. Das reicht, um zahlreiche Reformen zu kippen oder auszuhöhlen: von den Rechten von Frauen, von ImmigrantInnen und von Minderheiten über Sozialleistungen bis hin zu der Gesundheitsreform Obamacare. Es wird zugleich die oberste juristische Instanz im Land, auf deren Tisch irgendwann alle umkämpften politischen Projekte landen, weit über die nächste Präsidentschaft hinaus rechts verankern. Denn das Amt gilt auf Lebenszeit und Barrett ist erst 48.
Trump hatte es eilig, die durch den Tod von Ruth Bader Ginsburg frei gewordene Position neu zu besetzen. Die 87-Jährige war nach langer Krankheit am Freitag der vorausgegangenen Woche gestorben. Nach Angaben aus ihrer Familie hatte sie kurz zuvor ihrer Enkelin Clara Spera einen letzten Willen diktiert: „Mein sehnlichster Wunsch ist es, dass ich nicht ersetzt werde, bis ein neuer Präsident im Amt ist.“
Aber Trump hat schon in seinem ersten Wahlkampf im Jahr 2016 versprochen, dass er die Gerichte mit Konservativen, die „Roe gegen Wade“ kritisch gegenüberstehen, füllen will. Das Grundsatzurteil aus dem Jahr 1973 hat Frauen in den USA das Recht auf Schwangerschaftsabbruch gegeben. Für fundamentalistische Evangelikale, deren Stimmen Trump im November braucht, ist die Abschaffung – oder zumindest Aushöhlung – von „Roe gegen Wade“ eine Obsession. Mit Barrett könnte Trump den Erfolg des juristischen Kreuzzugs vermelden, den die RepublikanerInnen in Washington seit Jahrzehnten vorbereitet haben. In den zurückliegenden knapp vier Jahren hat er mit der Nominierung von mehr als 200 BundesrichterInnen – darunter bereits zwei für das oberste Gericht – die Gerichtslandschaft nachhaltig verändert. Unabhängig von kommenden Wahlen können diese RichterInnen in Zukunft die Richtung bestimmen, die das Land nimmt. Trumps RichterInnen sind jung (Altersdurchschnitt bei der Nominierung: 48 Jahre), mehrheitlich weiß (85 Prozent) und rechts.
Bei der Barrett-Nominierung im Rosengarten des Weißen Hauses bemühte der US-Präsident sich noch um einen gewissen überparteilichen Gestus. Aber schon wenige Minuten später, in einem Kommuniqué, beschrieb er seinen Schachzug mit den Worten, die er auch im Wahlkampf benutzt. Darin ist Barrett „entscheidend, um Amerika wieder groß zu machen“.
Vom anderen Ende des Spektrums
Als Nachfolgerin der linksliberalen „RBG“ würde Barrett davon profitieren, dass die Verstorbene die Wege für Frauen an die Spitze der Macht geebnet hat. Aber politisch und juristisch kommt sie vom extremen anderen Ende des Spektrums. Die Juraprofessorin und gegenwärtige Berufungsrichterin Barrett gehört zu derselben konservativen „Federalist Society“ wie die fünf konservativen Männer, die bereits am obersten Gericht sind. Die Mitglieder dieser Gruppe nehmen für sich in Anspruch, dass sie die Verfassung so interpretieren, wie sie am Ende des 18. Jahrhunderts gemeint gewesen sein soll. Barrett nennt sich eine „Textualistin“ und „Originalistin“. Die Selbstbestimmung von Frauen über ihren Körper, gleiche Rechte für Homosexuelle und der Schutz des Wahlrechtes von AfroamerikanerInnen kamen in den Köpfen der Gründerväter nicht vor. Als sie ihre Verfassung schrieben, hatten Frauen politisch nichts zu sagen und schwarze Männer und Frauen waren SklavInnen.
Die Katholikin Barrett gehört der erzkonservativen Gruppe von charismatischen Christen „People of Praise“ an. Und ist auch eine der JuristInnen in der Antiabtreibungsgruppe „Faculty for Life“. Religionsfreiheit ist ihr wichtiger als der Schutz besonderer Rechte.
Nach dem Tod der schwerkranken Bader Ginsburg hat die Demokratische Partei den Senat aufgefordert, mit der Nominierung eineR NachfolgerIn bis zum Amtsantritt des nächsten Präsidenten zu warten. Die DemokratInnen erinnerten den republikanischen Senatschef Mitch McConnell daran, dass er selbst es im Wahljahr 2016 abgelehnt hat, Obamas Kandidaten für die Nachfolge des verstorbenen Richters Antonin Scalia überhaupt anzuhören. McConnell argumentierte damals, so kurz vor den Wahlen sei eine Neubesetzung des obersten Gerichts nicht möglich. Scalia starb acht Monate vor den Wahlen von 2016, Bader Ginsburg nur sechs Wochen vor den kommenden Wahlen.
McConnell und fast allen anderen RepublikanerInnen ist die Verortung des Supreme Courts nach rechts wichtiger als die Parole, die sie selbst vor Jahren ausgegeben haben. Gegenwärtig erwägen nur zwei republikanische Senatorinnen, vor den Wahlen nicht über das oberste Gericht abzustimmen. Selbst ohne diese beiden haben die RepublikanerInnen genügend Stimmen, um Trumps Richterin zu bestätigen.
Demokraten fehlt eine Strategie
Die Demokratische Partei, die noch vor wenigen Tage optimistisch auf die kommenden Wahlen schaute, steht seit dem Tod von „RBG“ mit dem Rücken zur Wand. Eine politische Strategie, um Barretts Bestätigung im Senat zu verhindern, hat die Partei bislang nicht. Ihr Präsidentschaftskandidat Joe Biden appelliert lediglich an das „Gewissen“ der republikanischen SenatorInnen. Andere DemokratInnen drohen, dass sie in Zukunft die Zahl der Mitglieder des obersten Gerichtes aufstocken wollen (ein Schritt, der in demokratischen Reihen umstritten ist).
Linke Gruppen und Bürgerrechtsorganisationen warnen davor, dass Barretts Bestätigung viele Rechte gefährdet und überfällige Reformprojekte in schier unerreichbar weite Ferne rückt. Mit einer soliden konservativen Mehrheit im Gericht wird der finanzielle Einfluss von Konzernen auf PolitikerInnen wachsen, ist keine Unterstützung für Umwelt- und Klimapolitik zu erwarten, kann sich die Waffenlobby auf langfristige Unterstützung von ganz oben einrichten und werden längst überholte Institutionen, die aus den Anfangsjahren der USA stammen – wie das Electoral College, das den US-Präsidenten wählt –, unangetastet bleiben.
Die RepublikanerInnen im Senat wollen schon am 12. Oktober mit den Anhörungen von Barrett beginnen und sie wenige Tage vor den Wahlen am 3. November bestätigen. Sollte es klappen, könnte sie schon eine Woche nach den Wahlen über das wichtigste Reformprojekt von Obama, die Gesundheitsreform, mitentscheiden. Im Jahr der Pandemie, die schon jetzt in den USA mehr als 200.000 Menschenleben gekostet hat, könnte das Millionen Menschen die Krankenversicherung kosten. Und falls das Ergebnis der Präsidentschaftswahl vor Gericht angefochten wird – wovon auszugehen ist –, würde Barrett als Richterin auch über den nächsten Präsidenten der USA mitentscheiden.
Trotz ihrer Opposition gegen Barrett, müssen die DemokratInnen ihr gegenüber einen vorsichtigeren Ton anschlagen, als bei der letzten Nominierung von Trump für das Oberste Gericht. Anders als Brett Kavanaugh, der angesichts von Vergewaltigungsvorwürfen kein guter Vertreter seiner eigenen Sache war, hat Barrett ein gewinnendes Auftreten. Damit, und mit geschickt gewählten Antworten und Auslassungen, hat die Juristin schon 2017 bei ihrer Nominierung an ein Berufungsgericht beeindruckt.
Am Samstag kam sie mit ihrem Ehemann und ihren sieben Kindern – darunter zwei Adoptivkindern aus Haiti – zu der Zeremonie. Einziger Fauxpas: Zu dem abschließenden Gruppenfoto mit dem Präsidenten und seiner Gattin kam das jüngste Kind, das Downsyndrom hat, nicht mit auf die Bühne.
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