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TV-Debatte Trump gegen BidenTrump wütet, Biden bleibt ruhig

Die erste TV-Debatte der beiden Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und Joe Biden war chaotisch – vor allem durch das Verhalten Trumps.

Immer schön gleichzeitig reden: TV-Debatte in Cleveland, Ohio Foto: Patrick Semansky/ap

New York taz | Der Donald Trump, der 2016 auf einer Debattenbühne drohend hinter Hillary Clinton lauerte, war ein handzahmer Chorknabe gegenüber dem wildgewordenen Mann, der vier Jahre danach am Dienstagabend mit seinem Herausforderer Joe Biden diskutiert hat. Der US-Präsident hängt lauernd und feixend in seinem Pult. Jederzeit bereit, Tiefschläge auszuteilen. Sowohl gegen den demokratischen Präsidentschaftskandidaten als auch gegen den Moderator, den Journalisten Chris Wallace vom rechten TV-Sender Fox. Trumps Unterbrechungen und Attacken haben nur selten mit dem Thema zu tun. Er debattiert nicht. Er versucht die anderen zu zerstören.

„Sozialist“, zischt Trump schon nach weniger als fünf Minuten Debatte. Wenig später höhnt der 74-jährige US-Präsident über seinen 77-jährigen Herausforderer als einen Schulversager. „Joe hat keine Ahnung, was klug ist“, unterbricht er ihn. Und behauptet, als hätte das irgendeine Bedeutung für die Debatte oder für die Arbeit im Weißen Haus, dass er in der frühen Mitte des 20. Jahrhunderts ein brillanter, Biden hingegen ein schlechter Student gewesen sei.

Als Biden darauf hinweist, dass die USA mit nur 5 Prozent der Weltbevölkerung 20 Prozent der Coronatoten haben, lobt Trump seinen eigenen Umgang mit der Pandemie als einen „phänomenalen Job“ und krakeelt: „Biden hätte nicht einmal Beatmungsgeräte hergestellt.“ Bei mindestens drei anderen Gelegenheiten unterbricht er Biden, um den Vornamen von dessen jüngerem Sohn „Hunter“ zu raunen. Sowie die Namen von Ländern, in denen der Geschäfte gemacht haben soll.

Wer Trump über die Jahre beobachtet, konnte sich keine Illusionen über die potenzielle Qualität dieser Debatte machen. Die Umfrageergebnisse der letzten Zeit, in denen Trump konstant hinter Biden liegt, haben ihn noch wütender gemacht. Aber am Dienstagabend übertrifft er dennoch selbst die schlimmsten Befürchtungen.

Biden zu Trump: „Mann, jetzt halte endlich mal den Mund!“

„Ich bin der Moderator dieser Debatte. Und ich würde jetzt gern eine Frage stellen“, sagt Wallace nach den ersten Minuten. Schon zu dem Zeitpunkt muss er sehr und bestimmt laut reden, um gehört zu werden. Später erinnert Wallace Trump mehrfach daran, dass seine Kampagne die Regeln für die Debatte mit ausgehandelt hat. Und fordert ihn immer wieder entschieden auf, Biden zu Wort kommen zu lassen: „Herr Präsident, bitte!“

Für Biden ist der Abend nach langen Pandemie-Monaten, in denen Trump auf allen Bildschirmen zu sehen war, die erste Gelegenheit, sich dem großen Publikum zu zeigen. Er spricht mehrfach direkt an die WählerInnen – während Trump vor allem ihn und den Moderator anstiert.

Biden sieht jünger aus und wirkt deutlich energiegeladener als der Mann, den Trump „Sleepy Joe“ nennt. Er stottert auch kaum. Und er schafft es – trotz aller Provokationen – fast durchgängig die Ruhe zu wahren. Wenn Biden Trump als „Clown“ beschreibt und als er ihm nach der x-ten Unterbrechnung sagt: „Mann, jetzt halte endlich mal den Mund“, klingt das immer noch freundlich. Aber er hat auch härtere Vorwürfe. Er nennt Trump den „schlechtesten Präsidenten, den wir je hatten“ und einen „Rassisten“.

Dennoch schafft Biden es kaum, über sein Programm und seine Bilanz zu sprechen. Moderator Wallace stellt Fragen zur Besetzung des Obersten Gerichts, über die Pandemie, über die Wirtschaftspolitik, das Klima und über systemischen Rassismus. Aber wenn Biden versucht zu antworten, fällt ihm Trump ins Wort.

Trump zu Rechtsextremen: „Haltet euch bereit!“

Wer den Schlagabtausch lange genug erträgt, erfährt immerhin, dass Biden Trumps Steuersenkungen für SpitzenverdienerInnen wieder abschaffen will. Dass er einen Klima-Plan hat, der Millionen Arbeitsplätze schaffen soll und dass er die USA zurück zum Pariser Klima-Abkommen bringen will. Er sagt auch, dass er die Polizei nicht abschaffen, aber reformieren will.

Trump beantwortet die Fragen des Moderators nicht. Er ist nicht bereit, auch nur das Wort „Klimaforschung“ in den Mund zu nehmen. Er will nicht auf Distanz zu weißen Rassisten gehen. Als Moderator Wallace ihn ausdrücklich dazu auffordert, sagt Trump an die Adresse der militanten rechtsextremen „Proud Boys“: „Tretet zurück. Und haltet Euch bereit!“ Jemand müsse etwas gegen die Antifa und die Linke unternehmen, fügt er hinzu.

Er weigert sich auch zu sagen, dass er abtreten wird, falls er im November verliert. „Wir wissen es möglicherweise erst nach Monaten“, warnt er über das Wahlergebnis. Und beschreibt ein Szenario, das von Chaos und Fälschungen geprägt ist, obwohl Wahlfälschung in den USA so selten vorkommen, dass sie statistisch kaum nachweisbar sind. Bei derselben Gelegenheit fordert der Präsident seine AnhängerInnen – nicht jedoch seine Landsleute insgesamt – auf, wählen zu gehen.

Am Ende der eineinhalb Stunden schlägt eine Freundin in Washington vor, eine Petition zu organisieren. Thema: „Wir, das Volk, verlangen die sofortige Absage der weiteren Debatten.“ Vermutlich würde ein Abbruch der Debatten wenig am Wahlausgang ändern. Denn abgesehen von einer kleinen Gruppe von Unabhängigen haben die meisten WählerInnen, die überhaupt abstimmen wollen, ihre Entscheidung längst gefällt. Zigtausende von ihnen haben sogar – per Briefwahl – bereits ihre Stimme abgegeben.

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13 Kommentare

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  • Dorothea Hahn hat recht, wenn sie sagt, dass Biden selbst nach dieser unendlichen Anzahl von Provokationen eines Gegenübers mit Schlägerfresse noch freundlich klingt. Selbst als er rief, "this clown", fügte er hinzu, "sorry, this person".



    Man muss wissen, dass die Rechtsextremen und Faschisten von der Mentalität eines Trump viele Hundert Menschen in den USA ermordert haben - Trump hingegen spricht von der Antifa (Code für BLM) als Problem, was mit der Realität nichts zu tun hat (erinnert sehr an Naziland, wo von etwa 300.000 am Holocaust beteiligten Tätern nur 500 verurteilt wurden).



    David Renton hat im Guardian Hitlers SA und verwandte Gruppen in den USA miteinander verglichen und rechtsextreme Morde aufgelistet.



    Angenommen, die USA wären eine Demokratie statt eine Entertainmentdiktatur für die Meistbietenden, dann hätte diese Debatte, zugespitzt auf zwei ältere Herren, allerdings für Inhalte stehen müssen, für Bewegungen und Denkmodelle. Stattdessen haben wir einer verbalen Vergewaltigung der US-Wähler auf offener Bühne erlebt. Durch einen kaum verhohlenen Faschisten, dem einige immer noch demokratische Legitimität einräumen. Es scheint vergessen, dass die schlimmsten Faschisten durch Wahlen an die Macht gekommen sind (trotzdem wird diese Schlammschlacht letztlich die Massenbewegung für die US-Demokratie stärken)

  • Ist es denn nicht möglich, diesen Mann zu entlarven, in dem man ihm konkrete Fragen stellt, ihn festnagelt, und ihm dann ins Gesicht sagt, dass er nur Beleidigungen und keine Argumente zu bieten hat? Es ihm mit gleicher Münze heimzahlen, ihn bloßstellen und lächerlich machen, das würde ich mir in so einem TV-Duell wünschen.

  • Der US-Wahlkampf ist alle 4 Jahre eine einzige Schlammschlacht, Höhepunkte der Geschmacklosigkeiten sind die TV-Debatten in den USA. Aber ... in Deutschland sind einige Talkshows bemüht, mit den Amerikanern gleichzuziehen. Da wird gnadenlos anderen ins Wort gefallen, es reden 4 Personen gleichzeitig und durcheinander/überKreuz. Gutes Benehmen ist da nicht mehr gefragt, von Kinderstube oder Höflichkeiten> absolute Fehlanzeige.

  • Und ich dachte schon in den einfachen Sphären (z.B. Job), in denen ich mich bewege, gäbe es eine problematische (= fast nicht vorhandene) Diskussionskultur.

    Grundproblem ist auch, wenn einer die Regeln bricht, hat der andere das Nachsehen, wenn er/sie sich weiter brav an die Regeln hält. Das Fazit der Zeit ist übrigens, dass es sich um einen Streit der wütenden weißen Männer handelt, was dann doch etwas zu einfach gefasst ist. Daher auch danke für die ausführliche Berichterstattung!

  • Trumps größtes Problem ist schlicht, dass er in den USA geboren wurde und nicht in Belarus oder sonstwo, wo er zur richtigen Zeit sowohl erfolgreicher Geschäftsmannoligarch als auch Dauerpräsident per "fairer" Wahl geworden wäre.

  • Armut

    Da wurde gezeigt,



    wie man nicht diskutiert.



    Besonders von Donald Trump.



    Ein Armutszeugnis.

  • Ein TV-Clown gegen einen Greis?



    So long, USA...

    • @amigo:

      Drei Jahre Alterunterschied sind nicht viel. Nicht jeder, der US Präsident werden will, ist fies. Sind sie es dann aber, werden sie es. DrohnenObama, Friedensnobelpreis, lächerlich. Obama wollte bei der NSA aufräumen, war dann aber sehr angetan.

  • Wie kann das sein, dass man einen FOX News Mann als einzigen die Fragen aussuchen lässt? Schon die erste Frage zeigt, was er getan hat. Diskussionspunkt ist die Recht- oder Unrechtmäßigkeit der Bestimmung Barrets an den Supreme Court. Da kann Biden nur verlieren, denn natürlich ist es rechtmäßig. Dass die Rechtmäßigkeit natürlich völlig undemokratisch ist, ist halt das Problem, aber das wird ja nicht diskutiert.

    Wer die Fragen aussucht, hat ähnlich viel Macht, wie der Präsident selbst. Kacksystem.

    • @Jalella:

      "Kacksystem"

      War das denn vorher anders?

    • @Jalella:

      Ich fand es klug, einen gemäßigten FOX-News-Mann für die erste Debatte zu nehmen. Es kann so keine Vorwürfe der Parteilichkeit von der Trump-Seite geben, die bei einem progressiveren Moderator ganz sicher gekommen wären. Denn dass Trump die Debatte inhaltlich nicht gewinnen kann und nur herumpoltert, das wäre auf jeden Fall so gekommen, man hätte es aber auf den Moderator geschoben.

      • @AndiP:

        Trump hat es auf den Moderator geschoben.

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @Jalella:

      Und trotzdem lief es schlecht für Trump. Wobei man sagen muss das ist das bestimmende Thema derzeit neben Corona.