Trotz der Generation X: Als die Zukunft noch egal war
Die Generation X wuchs in einer Gegenwart auf, in der viel konsumiert und wenig protestiert wurde. Eine Selbstkritik.
Wir sind wirklich hoffnungsvoll gestartet. Wir – damit meine ich die Kinder der Achtziger, geboren irgendwann zwischen Ende der Sechziger und Mitte der Siebziger in der BRD. Dieses Wir ist natürlich ein hypothetisches, konstruiert aus ganz persönlichen Erfahrungen und einem naturgemäß völlig unvollständigen Datenabgleich.
Die erste Generation ohne direkte Auswirkungen eines Krieges, von den alten Nazis in der Familie, der Nachbarschaft und dem Schuldienst mal abgesehen. Es ging ums Wohlstandsichern, Häuschen abbezahlen, sich was leisten können. Offiziell herrschte Frieden, aber wir changierten in einem merkwürdigen Zustand aus Bequemlichkeit und Bedrohung. Der uns allerdings nicht zu irgendwelchen Aktivitäten veranlasste, wir hockten stattdessen drinnen vor dem Fernseher und zogen uns die Welt vom Sofa aus rein. Die RAF bombte sich noch unter letzten Zuckungen durch die Republik, Kriegstreiber Reagan stationierte Pershings in Deutschland und wir hockten in unserer bundesdeutschen Innerlichkeit und heulten bei „E. T. – Der Außerirdische“.
Wir sind noch zwischen Blöcken aufgewachsen, in einer binären Welt – da fiel die Orientierung deutlich leichter. Anfang der Achtziger, zu Zeiten des Nato-Doppelbeschlusses und den Protesten gegen Brok- und Wackersdorf, haben wir als Kinder noch blind alles inhaliert, heiß gewünscht und toll gefunden, was aus den USA kam: Musik, Süßkram mit klebriger Erdnussbutter, Jeans, die einen nicht gar so birnenförmig erscheinen ließen.
Natürlich gab es unter uns auch die, die dann später Anwälte geworden sind – weniger aus Gründen der Gerechtigkeit, sondern damit der Konsum nie wieder aufhören muss. Die, die nur auf Kohle aus waren, gab’s halt immer.
Keine Ideale zu haben ist viel leichter zu erfüllen. Wer kein blinder Konsument sein wollte, der war halt irgendwie links. Dafür reichte es schon, dass man die Amis nicht ganz so toll und die Sowjetunion nicht ganz so scheiße fand. Man musste sich einfach nur bequem irgendwo einfädeln, denn die Wege der echten Rebellion waren bereits kindersicher für uns vorplaniert: Die 68er waren jetzt Lehrer und bei den frisch gegründeten Grünen, die Friedensbewegung war genauso erfunden wie die Proteste gegen Atomkraft. Und der Punk war längst schon wieder tot.
Es war nicht mehr ungewöhnlich, dass beide Eltern arbeiteten, wir bekamen also den Haustürschlüssel mit Paketkordel um den Hals gehängt und durften fortan zu Bürozeiten unbeobachtet jung sein, nach Schulschluss die klebrigen Liköre aus Papas Hausbar austrinken und keine größere Not haben als die der eigenen Hormone, des nächsten Konsums und der dringende Wunsch, jemanden zu finden, mit dem man zu Tracey Chapman knutschen kann.
Moden und Gesinnungen gab es zuhauf im Angebot, man musste sich nur eine aussuchen und sich dementsprechend uniformieren. Mufflige Wildlederjacke vom Flohmarkt als Ausweis dafür, dass wir zu den Guten gehören, Poloshirts mit hochgestelltem Kragen und dem kleinen Krokodil auf Brusthöhe für die anderen. Zum Bund oder Zivi, Lehre oder Studium, Interrail oder Lloret de Mar – das waren erst mal die dringendsten Fragen.
Risikoarme Westarroganz
Wir demonstrierten hin und wieder gegen eine damals glücklicherweise noch überschaubare Anzahl von Nazis – bis die Wende kam. Ihr im Osten hattet zwar keine richtigen Jeans und auch keinen richtigen Sozialismus, aber dafür eine richtige Revolution. Ihr habt euch 1989, ganz im Gegensatz zu uns, wirklich was getraut, und wir standen da mit unserer risikoarmen Westarroganz und machten ein dummes Gesicht. Wir knutschten und vögelten den aus dem anderen Deutschland mal einen Sommer lang als gegenseitige Trophäenjagd, aber so richtig warm wurden wir trotzdem nicht miteinander.
Wir kreisten mit dem Walkman auf den Ohren, abgekoppelt auf der eigenen Umlaufbahn, während ein paar gleichaltrige Nerds – die Ersten, die lieber mit Pacman auf dem heimischen Fernseher statt mit echten Menschen interagierten – auf der anderen Seite des Atlantiks beschlossen, einen Golem namens Google zu erschaffen, um sich bald sämtliche Informationen der Welt untertan zu machen. Aber das wussten wir damals noch nicht. Auch Tschernobyl konnte uns nicht aus unserer Bräsigkeit reißen. Ich erinnere mich noch, als ich vom Uni-Asta frisch politisiert und die Gesinnung zwischen Infoladen und Bauwagenplatz zum Sixpack gestählt, in einem Anti-AKW-Camp herumhing und ankettungswillig an den Bahngleisen den Castortransport herbeisehnte, der dann nicht kam.
Stattdessen lauschten wir abends andächtig den Vorträgen verhärmter RAF-Veteranen, die selbstgedrehte Kippen zwischen ihren gelben Fingern hielten und ex cathedra von der Isolationshaft referierten, dem bewaffneten Kampf und dem Bullenstaat.
Bleibendes der Generation
Jetzt sind wir alle um die fünfzig, und ich kann mich nicht erinnern, dass unsere Generation irgendwas Bleibendes gerissen hätte – weder musikalisch noch literarisch noch gesellschaftlich. Wir haben nichts erfunden, nichts gegründet, die Welt wirklich nicht vorangebracht.
Auch das erbärmlich-hilflose X als Bezeichnung ist mehr Krücke als Ausdruck eines Lebensgefühls. Höchstens: Ein Satz mit X – war wohl nix. Natürlich gibt es viele ehrenwerte Menschen, die Ärzte oder Lehrer geworden sind, ein paar Journalisten oder Schauspieler sind auch dabei – aber sonst?
Wir haben halt ein bisschen rumprobiert, dabei aber vor allem uns selbst im Blick. Die meisten verkrochen sich mit Eintritt ins Steuerzahleralter zurück in die dröge Innerlichkeit ihrer Jugend, diesmal im geerbten Haus mit selbst gefliester Terrasse.
Von hinten überholt
Viele haben inzwischen Jobs mit aufgeblasenen, englischen Bezeichnungen, verkaufen irgendwas und gucken auf ihren Firmenfotos im Anzug willensstark in die Kamera.
Muss ja. Immer war irgendwer schneller als wir, und jetzt werden wir auch noch mit Karacho von hinten überholt: Die Klimakids, LGBTQ, Gendergerechtigkeit, MeToo und endlich mal ein ernstzunehmendes Aufbegehren gegen Rassismus in den Institutionen. Kam alles nicht von uns.
Anstatt zum ersten Mal so etwas wie Größe zu zeigen, dass jemand das tut, was wir uns immer als Privileg eingefordert hatten, nämlich, es besser zu können, werden wir stattdessen auch noch knurrig. Natürlich fanden wir Fridays for Future am Anfang toll. Es ist großartig, junge Menschen für eine gute Sache demonstrieren zu sehen, wenn man sich selbst auch noch heimlich dazu zählt. Bösen Konzernen irgendwas wegzunehmen – da sind wir natürlich dabei. Theoretisch.
Zu den Guten gehören
Aber wir als Kreateure und Kreaturen des perfekten Konsums sollen uns selbst auch noch immer grenzenloser verfügbare Freuden verkneifen? Ach komm, hört doch uff, man kann’s auch übertreiben! Gemeinschaft und Solidarität haben wir verwöhnten Solisten einfach nicht wirklich gut drauf. Diese Kids mit ihrer heiligen Ernsthaftigkeit im Verzicht machen uns auch ein bisschen Angst: Veganismus, selbst wenn keiner hinguckt, Lastenrad statt Sitzheizung im lausigen November und nicht mal ein sexistischer Witz, wo wir doch alle wissen, dass es gar nicht so gemeint ist? Richtig ernsthaft können wir nämlich gar nicht so gut, Zynismus beherrschen wir besser – den kalten, abgefuckten Sound der Achtziger.
Natürlich sind wir für Gleichberechtigung. Ich war schon Feministin, als sie noch Emanzen hießen. Gendern ist völlig o. k. Aber mit Augenmaß, Kinder – überall diese Gendersternchen, das sieht ja aus wie Einschusslöcher, so kann man doch kein Buch mehr lesen! Macht uns doch unsere heimelige, duale Welt nicht gleich kaputt. Wahrscheinlich kommen wir auch deshalb auf „nicht binär“ nicht gut klar. Muss jetzt jeder persönlichen Spielart mit größtmöglichem politischem Tamtam Rechnung getragen werden?
Das denken wir heimlich, wenn keiner hinguckt, und schämen uns, weil wir auf den nicht mehr vorplanierten Wegen alles andere als trittfest sind. Wenn wir ehrlich sind, sind wir schon längst die alten weißen Männer. Irrlichtern wie Catweazle durch eine unübersichtlich-diverse Welt, der wir uns immer noch halsstarrig verweigern, weil wir sie nicht selbst gestaltet haben. Unsere Kernkompetenz ist der Trotz. Natürlich wollen wir zu den Guten gehören, aber trotzdem auch mal ganz sorglos grillen. Das haben wir uns verdient – wir sind schließlich schon länger da.
Die Hälfte unseres Lebens haben wir jetzt schon hinter uns. Also immer noch genügend Zeit, um endlich mal Größe zu zeigen und neidlos die nächste Generation vorzulassen. Die es einfach besser draufhat. Oder um vielleicht selbst doch noch etwas zu reißen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut