Transrechte in Schottland: Missbrauch der Selbstidentifikation?

Kann sich eine wegen Vergewaltigung verurteile Person zur Frau erklären und ins Frauengefängnis kommen? In Schottland tobt eine heftige Debatte.

Eine Frau in pinker Jacke hält einen Regenschirm vor ihrem Gesicht

Isla Bryson steht unter Verdacht, als männlich gelesene Person Frauen vergewaltigt zu haben Foto: Andrew Milligan/PA Wire

LONDON taz | Tagelang und immer wieder wich Nicola Sturgeon der Frage aus, ob sie Isla Bryson als Frau ansieht. „Ich betrachte diese Person als eine, die vergewaltigt hat“, lautet die ausweichende Formulierung der schottischen Regierungschefin.

Vor Kurzem noch prahlte Sturgeon mit ihrem Vorhaben eines fortschrittlicheren Gesetzes zur „Selbstidentifikation“, also der Möglichkeit, den amtlichen Geschlechtseintrag auch ohne ärztliche Diagnose zu ändern und damit Transrechte zu stärken. Doch dann kam erst ein Veto aus London und dann erwies sich, dass die von Geg­ne­r:in­nen der Gesetzgebung prophezeiten Gefahren keineswegs aus der Luft gegriffen sind. Nun sinken die Umfragewerte von Sturgeons Partei SNP und die Debatte ist heftig.

Es geht um zwei Personen, deren rechtliche Namen derzeit Isla Bryson und Tiffany Scott sind. Die beiden stehen unter Verdacht, als biologische Männer die Möglichkeit der geschlechtlichen Selbstidentifikation als Frau missbraucht zu haben, um sich dadurch Zugang zu für Frauen reservierte Strafanstalten zu verschaffen. Beide haben als Männer sexuelle Vergehen gegen Frauen und Mädchen begangen oder Frauen vergewaltigt.

Isla Bryson war zuvor ein Mann, der festgenommen wurde, weil er 2016 und 2019 zwei Frauen vergewaltigt hatte. Erst im laufenden Verfahren identifizierte er sich plötzlich als Frau namens Isla Bryson. Als Transfrau konnte Isla Bryson vor ihrer Verurteilung an einem Kosmetikkurs teilnehmen, wo Teilnehmerinnen unbekleidet auftraten. Nach dem Urteil wurde sie einer Frauenanstalt zugewiesen, allerdings in einem separaten Flügel.

Als in den Medien Fotos der verurteilten Bryson in blonder Perücke und pinkem Anorak auftauchten und ein heftiger Kritiksturm losbrach, kündigte Sturgeon an, dass Bryson ihre Strafe doch nicht in einer Frauenanstalt absitzen werde. Noch am selben Tag wurde Bryson verlegt.

Zweiter Fall: Tiffany Scott

Bald darauf wurde ein weiterer Fall bekannt: Tiffany Scott, die eine derart gewalttätige Vergangenheit hat, dass sie einer lebenslangen Beobachtung untersteht und erst freikommen darf, wenn sie keine Gefahr mehr für andere darstellt. Die Person, damals noch ein Mann, saß in einem Männergefängnis, von wo er eine 13-Jährige stalkte. Dabei ertappt, beanspruchte er eine neue weibliche Identität unter dem Namen Tiffany Scott und stellte einen Antrag auf Verlegung in ein Frauengefängnis. Laut Berichten stimmte die Gefängnisbehörde zu, was das schottische Justizministerium allerdings dementiert.

Weitere fünf Transfrauen sitzen in schottischen Frauenknästen, laut Regierung alle ohne gewalttätige Vergangenheit gegen Frauen. Doch aufgrund der Empörung über die beiden genannten Fälle erklärte die schottische Gefängnisbehörde Ende Januar, dass jeglicher Transfer von Personen mit Transidentität vorübergehend gestoppt werde. Es werde erst die Gewalttätigkeit der Personen insbesondere gegenüber Frauen überprüft.

Fälle aus England und Wales zeigen, was passieren kann, wenn gewalttätige Personen mit missbräuchlich deklarierter Transidentität in Frauengefängnisse gelangen. 2018 wurde Karen White, eine Transfrau, die vorher als Mann zwei Frauen vergewaltigt hatte und unter ihrer Transidentität zwei andere im Gefängnis sexuell angegriffen hatte, zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.

Die Unterbringung von trans Frauen rechtmäßig

Dennoch urteilte 2019 ein englisches Gericht im Fall von „FDJ“, einer Cis-Frau, die von einer Transfrau in einem Frauengefängnis vergewaltigt worden war, dass die Unterbringung von Transfrauen in Frauenknästen rechtmäßig sei. Wenn die Prüfungen der Einzelfälle richtig angewandt werden würden, könnte ausgeschlossen werden, dass Personen mit einer Vergangenheit von Gewalt oder sexueller Gewalt gegen Frauen in Kontakt mit Frauen kommen, hieß es im Urteil.

Etwa die Hälfte aller Transfrauen in englischen und walisischen Gefängnissen sind aufgrund von Sexualvergehen in Haft. Die dortigen Richtlinien zu Transpersonen im Justizsystem geben an, dass die Sicherheit aller gewährleistet werden muss. Ende Januar wurden diese Richtlinien verschärft: Transfrauen mit männlichen Sexualorganen sowie jene, die sich sexueller Verbrechen schuldig gemacht haben, sollen in Zukunft von Frauengefängnissen ausgeschlossen werden.

Um in England und Wales rechtlich als Frau anerkannt zu werden, müssen Transfrauen sich nicht das männliche Organ entfernen lassen. Sie müssen entweder beweisen, dass sie auf eine Entfernung warten, oder die Beibehaltung des Glieds begründen.

Trans Frauen erfahren ein erhöhtes Risiko von Gewalt

In Schottland gelten seit 2014 Richtlinien für Transpersonen in Haft, die gemeinsam mit der Gruppe Trans Alliance erarbeitet wurden. Diese erlauben die Unterbringung in Strafanstalten laut dem selbstdeklarierten Geschlecht als Ergebnis einer Einzelfallprüfung. Dahinter stecken tatsächliche Bedürfnisse von Transpersonen wie Hormontherapie oder Rechte auf kosmetische Versorgung.

Transfrauen erfahren in Strafanstalten für Männer ein erhöhtes Risiko von Gewalt und sexuellen Angriffen, mit teils verheerenden Konsequenzen. Laut der schottischen Gruppe Translucent nahmen sich aufgrund solcher Erfahrungen zwischen 2015 und 2017 vier Transfrauen innerhalb britischer Strafanstalten das Leben. Zählen Bryson und Scott unter die Gruppe veritabler Transfrauen, auch wenn man das Recht ihre Selbstidentifikation ernst nehmen muss, oder handelt es sich in ihren Fällen um dubiose Täuschungsmanöver?

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