Trans Landtagsabgeordnete in Bayern: „Ich bin mit Leib und Seele Frau“
Tessa Ganserer ist die erste bekennende transidente Parlamentarierin in Deutschland. Die Grünen-Politikerin sitzt seit 2008 im Landtag in München.
München taz | Es war vor zehn Jahren, als der damalige Markus Ganserer sein „Schlüsselerlebnis“ hatte, wie sie nun im Bayerischen Landtag erzählt. Damals zog er ein Kleid seiner Frau an – „und dann wusste ich, dass ich kein Mann bin“. Sondern eine Frau. Seitdem quälte sie, die 2008 erstmals als Grünen-Abgeordneter in den Bayerischen Landtag gewählt worden war, sich damit, als Mann wahrgenommen zu werden, aber zu wissen: „Ich fühle und definiere mich als Frau.“
Ende vergangenen Jahres hatte sich Ganserer, die nun mit Vornamen Tessa heißt, teilweise geoutet. Sie hatte vor, so sagte sie damals, als männlicher Politiker zu arbeiten, aber ab und zu auch Frau zu sein. Gestern nun hat sich Tessa Ganserer ganz zu ihrer Weiblichkeit bekannt, sie ist nun durchgehend eine Frau. Damit ist die 41-Jährige der einzige sich offen bekennende transidente Mensch in einem deutschen Parlament. Sie trägt Frauenkleidung, Frauenstiefel und eine blonde Langhaarperücke. Ihre Stimme klingt männlich, sie hat einen bayerischen Akzent, denn sie stammt aus Zwiesel im bayerischen Wald und ist diplomierte Wald- und Forstwirtin.
Über ihre bisherige seelische Not, sich bis jetzt nicht zu ihrem Geschlecht zu bekennen, sagt Tessa Ganserer: „Es ging einfach nicht mehr anders. Das Leiden war so schwer und hart, dass man das nicht mehr durchhält.“ Mit Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) hatte sie kürzlich ein „menschlich sehr angenehmes Gespräch“. Aigner versicherte ihr, sie als Frau zu behandeln, auch wenn ihr Vorname formell noch Markus lautet. Die Kollegen und Kolleginnen aus der Grünen-Fraktion hätten Schlange gestanden, „um mich zu umarmen“, auch Politiker der anderen Parteien zeugten Respekt und Verständnis. Allein von der AfD sei bisher keine Reaktion gekommen.
Im Namen der Grünen kritisiert Ganserer das ihrer Ansicht nach völlig rückständige Transsexuellengesetz aus dem Jahr 1980. Dieses legt Menschen, die ihr Geschlecht wechseln wollen, Steine in den Weg. So werden für eine Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrags, etwa im Personalausweis, weiterhin zwei psychologische Gutachten gefordert, welche die Betroffenen auch noch selbst bezahlen müssen. Die Landtags-Grünen sehen dies als Eingriff in die Privatsphäre und halten es für menschenunwürdig. Stattdessen sollte eine Person einfach per Antrag auf dem Standesamt sein Geschlecht ändern können, denn, so Ganserer: „Geschlechtsidentität ist ein Menschenrecht.“
Alltagsdiskriminierung, Vorurteile, Anfeindungen
Für Bayern verlangen die Grünen einen „Aktionsplan gegen Homophobie und Transphobie“. Denn transidente Menschen seien weiterhin vielfach von Alltagsdiskriminierung, Vorurteilen, Anfeindungen und auch Übergriffen betroffen. Bisher gibt es weitgehend nur ehrenamtliche Beratungsangebote. Tessa Ganserer fordert mit ihren Parteifreunden staatliche Programme und gezielte Prävention. Bayern sei das einzige Bundesland, das bislang keinen solchen Aktionsplan erstellt hat.
Transidentität ist nicht zu verwechseln mit nicht-binärer Geschlechtsidentität. Nicht-binäre Menschen nehmen sich weder als männlich noch als weiblich wahr. Bei transidenten Menschen dagegen weichen körperliche Geschlechtsmerkmale vom eigenen geschlechtlichen Selbstverständnis ab.
„Das ist keine Modeerscheinung oder Krankheit“
Tessa Ganserer sagt über sich: „Das ist ein natürliches Phänomen und keine Modeerscheinung und keine Krankheit.“ Sie empfinde „weiterhin Zuneigung zu meiner Frau“. Auch werde sich ihr Leben „nicht grundsätzlich ändern, ich bin nach wie vor die gleiche Person“. Sie appelliert an die „Liberalitas Bavariae“, die bayerische Liberalität, und meint: „Ich bin mit Leib und Seele Frau – und Politikerin.“
Leser*innenkommentare
75026 (Profil gelöscht)
Gast
Aha, also vor zehn Jahren hat Ganserer erkannt, kein Mann, sondern eine Frau zu sein, und das "mit Leib und Seele". Andererseits wurde von ihr/ihm vor gerade zwei Monaten dieses berichtet:
"Er wechselt zwischen zwei Geschlechtern, mal ist er Mann, mal ist er Frau. In beiden Rollen fühlt er sich wohl, er will sich nicht für eine entscheiden müssen."
(www.google.com/amp...der-1.4204270!amp)
Da muss schon die Frage erlaubt sein, wie das zueinander passt.
Hamnial
@75026 (Profil gelöscht) @ErnaHek
Das Zitat "mit Leib und Seele" stammt nicht von vor zehn Jahren sondern von jetzt, wenn ich das richtig sehe.
Kann also gut sein, dass sie es vor zehn Jahren zum ersten Mal erkannt hat, sich vor zwei Monaten noch nicht sicher war, wie sie es ausleben möchte, und sich jetzt eben sicher ist, dass sie als Frau leben möchte.
Das ist ein für jeden Trans-Menschen sehr individueller Prozess. Und oft ein langwieriger, zumal er neben den Comming-Outs bei der Familie, Freunden und der Arbeit auch einiges am Papierkram mit sich bringt (wie im Text zB mit der Personenstands-/Namensänderung erwähnt).
Da finde ich es nachvollziehbar, wenn man sich langsam herantastet und sich zunächst nicht festlegen möchte.
DieLottoFee
Entschuldigung, dieser Kommentar ist eine Antwort auf Lydias Kommentar. Könnten Sie den bitte verschieben? Ich bin damit heute auch fertig und mache keine weitere Arbeit. ;-)
DieLottoFee
Lydia, du führst hier einen Kampf der sich gegen trans* Leute richtet, die deine orthodoxe Defintion von Transsexualität nicht teilen. Orthodoxe Haltungen, die nicht bereit sind, sich in die Positionen anderer zu versetzen, sondern ihre eigene als das einzig Wahre betrachten, sind mir immer suspekt. Mal ganz abgesehen davon frage ich mich, was eigentlich euer Verständnis von Emanzipation ist: Uns unsere Rechte, der Rest soll schauen, wo der Pfeffer wächst? Das ist wenig integrierend, inklusiv und politisch betrachtet: erfolgversprechend.
Lydia Stanke
@DieLottoFee Ich verbitte mir das Du.
Dass ich einen Kampf gegen "trans* Leute" führen würde, ist eine durch nichts zu belegende Unterstellung, die falsch ist.
Trans* und Transsexualität haben beide ihre Daseinsberechtigung. Beides gibt es nun mal und Menschenrechte gelten für alle.
Man darf eben nur nicht beides verwechseln, weil es zwei völlig verschiedene Sachverhalte beschreibt. Kann eigentlich nicht so schwer sein.
Schonmal von LGBTTIQ+ gehört? Hat seinen Sinn, warum dort 2 T enthalten sind.
cazzimma
Ich bin mit Leib und Seele Mensch.
cazzimma
Dieses "mit Leib und Seele" ein bestimmtes Geschlecht sein werde ich nie verstehen. ich selbst bin Frau und hatte auch noch nie Probleme damit oder Zweifel daran.
Das hat aber auch damit zu tun, dass ich mich meistens als Mensch fühle. Es gibt für mich nicht das weibliche oder männliche Gefühl, traurig, enthusiastisch, nachdenklich etc. zu sein.
Wenn ich als Frau, die nie irgendwelche Identitätsprobleme hatte, es aber gleichzeitig niemals unterschreiben würde, dass ich mich so ganz und dauernd "als Frau" fühle, weil ich einfach nicht weiß, was das für ein Gefühl sein soll, frage ich mich einfach, was eine Transfrau so fühlt.
Vielleicht ist sie die Überfrau, die ich nie sein werde.
Mir sind diese eindeutigen geschlechtsspezifischen Gefühle suspekt. Vielleicht handelt es sich auch um gefühlsmäßige Projektionen von Leuten, die sich in der vorherrschenden Heterowelt nicht so zuordnen können, keine Ahnung.
Aber mit diesen "Bekenntnissen", sich ja ach so "Frau" oder "Mann" zu fühlen, unterstützen Transmenschen doch nur die bestehende schwachsinnige Geschlechtereindeutigkeit.
Lydia Stanke
@cazzimma "...sich ja ach so "Frau" oder "Mann" zu fühlen..."
Wissen Sie, dass Sie eine Frau sind oder fühlen Sie sich nur so?
"...unterstützen Transmenschen doch nur die bestehende schwachsinnige Geschlechtereindeutigkeit."
"Transmensch" ist das neue Wort für "Transe". Beides ist nur als Selbstbezeichnung zulässig.
Bitte vermeiden Sie solche Schimpfwörter.
DieLottoFee
@cazzimma Auch wenn ich Ihrem Kommentar auf der Ebene der ganz persönlichen geschlechtlichen Selbstwahrnehmung etwas abgewinnen kann: Wie oft ist in Ihrem Leben bereits Vergleichbares gesagt worden: "Sie trägt Frauenkleidung, Frauenstiefel und eine blonde Langhaarperücke. Ihre Stimme klingt männlich..."? Abgesehen von trans* Frauen oder Männern mit 100% Passing, Anerkennung im persönlichen und erweiterten Umfeld und weiteren glücklichen (Partnerschaft etc.) Umständen werden trans* Leute immer wieder nach ihrer geschlechtlichen Identität "Was bist du, Mann oder Frau?" gefragt oder sie wird Ihnen abgesprochen "Du bist doch eigentlich..., warst mal...". Wenn Sie sich tatsächlich uneindeutig definieren, was auch zunimmt (Bewegung der Nichtbinären), dann hat das ständige Zuordnungszwänge zur Folge: Shopping (Herr/Frau), Formulare (männlich/weiblich), Toiletten Männer/Frauen oder bezeichnenderweise "behindert"). Ich kann gut verstehen, wenn wir uns bei trans* Leuten wünschten, sie wären unsere Vorreiter*innen zum einfach nur Mensch-sein-Können, aber was wir von ihnen damit verlangen hat mit dem Erleben von nichttrans* Personen wenig gemein (siehe Suggestivfragen und die an dieser Stelle geradezu obszön zweigeschlechtliche Beschreibung des Autors).
Wenn Betroffene den etwas geringeren Widerstand eines "mit Leib und Seele" einem sozial brutalen "weder Fisch noch Fleisch" vorziehen, wäre dürfte etwas Anderes von Ihnen verlangen?
DieLottoFee
@DieLottoFee natürlich "wer dürfte", nicht "wäre dürfte". ;-)
Lydia Stanke
"Bei transidenten Menschen dagegen weichen körperliche Geschlechtsmerkmale vom eigenen geschlechtlichen Selbstverständnis ab."
Dies ist FALSCH.
Diese Definition trifft (sehr vereinfacht) auf transsexuelle Menschen zu. Transidentität ist allein eine Frage der Geschlechtsidentität, die auf Gender Expressions basiert.
Hier wurde Transidentität mit Transsexualität verwechselt.
Ich verweise dazu auf den einzigen mir bekannten Menschenrechtsverein in Deutschland, der sich für transsexuelle Menschen einsetzt:
atme-ev.de/index.p...litaet-was-ist-das