Tottenham vor dem CL-Spiel gegen Bayern: Verbrauchte Magie
Bei den Tottenham Hotspurs passt vor dem Duell gegen den FC Bayern wenig zusammen. Es werden neue Impulse von Trainer Mauricio Pochettino vermisst.
Auch Pflichtsiege können große Erleichterung auslösen. Das war am Wochenende beim 2:1-Heimerfolg von Tottenham Hotspur gegen den von Ralph Hasenhüttl betreuten FC Southampton zu beobachten. „Ich bin so glücklich für die Spieler und die Fans. Sie haben sich diesen Sieg verdient“, offenbarte Tottenham-Trainer Mauricio Pochettino nach der gelungenen Generalprobe für das Treffen mit dem FC Bayern in der Champions League an diesem Dienstag.
Torwart und Kapitän Hugo Lloris, der den Gegentreffer gegen Southampton verschuldet, danach aber mehrmals stark pariert hatte, deutete den Erfolg in Unterzahl nach der Gelb-Roten Karte gegen Rechtsverteidiger Serge Aurier als Beweis für die intakte Moral des Teams: „Wir haben Charakter und Persönlichkeit gezeigt. Das Spiel belegt, dass immer noch Zusammenhalt im Verein herrscht.“
Dass der französische Weltmeister die Gemeinschaft betonen muss, liegt daran, dass zuletzt Zweifel am Betriebsklima bei den Nordlondonern aufgekommen sind. Nicht zuletzt Trainer Pochettino hatte diese befeuert, als er nach dem peinlichen Aus im Ligapokal gegen den Viertligisten Colchester United in der vergangenen Woche von einem „unruhigen Kader“ gesprochen hatte, dessen Mitglieder „verschiedene Agenden“ verfolgen würden.
Der überraschende Einzug ins Champions-League-Finale gegen den FC Liverpool (0:2), das auf den Tag genau vor vier Monaten stattfand, hat bislang nicht die erhoffte Schubkraft entfalten können. Stattdessen prägen Ungewissheit und Verunsicherung das Bild. Einige Beobachter glauben sogar, dass Pochettinos Amtszeit bei den Spurs ihr Endstadium erreicht hat. „Er ist einfach nur irgendein Fußballtrainer geworden. Und Fußballtrainer sind austauschbar“, bemerkte gerade der Guardian.
Nur drei Siege und viele Enttäuschungen
Der elektrisierende Marsch ins Endspiel der Königsklasse im Frühjahr verdeckte den Blick auf den Alltag, in dem Tottenham die Form eines Absteigers zeigte. In den letzten zwölf Partien der vergangenen Saison kam die Mannschaft nur auf elf Punkte. In der neuen Spielzeit gab es in den bisherigen neun Pflichtspielen nur drei Siege und viele Enttäuschungen.
Die Spurs unterlagen dem Abstiegskandidaten Newcastle United und verspielten im Nordlondon-Derby gegen den FC Arsenal und zum Auftakt der Champions League gegen Olympiakos jeweils einen 2:0-Vorsprung. Die Blamage gegen Colchester war der Tiefpunkt. „Der Trainer ist im sechsten Jahr hier, und wir machen immer noch die gleichen Fehler“, klagte Tottenhams Galionsfigur Harry Kane nach dem Remis in Piräus.
Pochettino hat seit seiner Ankunft im Norden Londons im Frühjahr 2014 einen bemerkenswerten Job gemacht. Der Klub operiert konstant über seinen Möglichkeiten und hat sich trotz finanzieller Unterlegenheit gegenüber der Konkurrenz als dritte Kraft im englischen Fußball hinter Manchester City und Liverpool etabliert. Doch ausgerechnet in der Saison, in der Tottenham in seinem neuen Stadion, dem Schwung des erreichten Champions-League-Endspiels und hochwertigen Verstärkungen wie Tanguy Ndombélé oder Giovani Lo Celso endlich um Titel mitspielen wollte, scheinen die Methoden des Argentiniers an ihre Grenzen zu stoßen.
Die Lage ist festgefahren
Ein Grund dafür sind die Gesetzmäßigkeiten des Spiels. Manchester Uniteds Ikone Sir Alex Ferguson hat einst geurteilt, dass eine Mannschaft unter einem Trainer maximal vier Jahre lang Erfolg haben könne. Dann müssten entscheidende Spieler ausgetauscht oder durch andere Veränderungen neue Reize gesetzt werden. Bei Tottenham ist die Lage festgefahren.
Zehn der 14 Profis, die Pochettino gegen Southampton einsetzte, sind schon seit mindestens vier Jahren bei den Spurs angestellt, darunter fast die komplette Mittelachse mit Torwart Lloris, den Verteidigern Jan Vertonghen und Toby Alderweireld, Regisseur Christian Eriksen und den Angreifern Heung-min Son und Kane. Bei dieser Kontinuität ist es kein Wunder, dass sich Pochettinos Magie abnutzt.
Pochettino selbst hat mit seinen Flirts mit Real Madrid und Manchester United und nebulösen Andeutungen zu seiner Zukunft einen Beitrag zur Unruhe geleistet. Man kann sich schlecht über verschiedene Agenden im Kader beschweren, wenn man seine eigene Agenda verfolgt.
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