Tiktok-Trend „Subway Shirt“ für Frauen: Ein Shirt macht noch keine Freiheit
Immer mehr junge Frauen ziehen sich XXL-Shirts über ihre Outfits. Quasi als Schutzmantel vor sexualisierten Blicken. Eine gute Idee? Eher nicht.
G edankenverloren scrolle ich durch Tiktok. Eine junge Frau tanzt im Sommerkleid vor der Kamera. Feiere ich! Dann zieht sie sich mit einem breiten Grinsen ein XXL-Shirt über ihr kurzes Kleid. „It’s Subway Shirt Season“, schreibt sie. Es ist ein was? Kein Unterhemd, sondern ein Untergrundhemd? Ist das subversiv?
Ich scrolle weiter und finde unter dem Hashtag #subwayshirt tausende Videos: Junge Frauen, die ihr Outfit – kurze Röcke, tiefe Ausschnitte, nackte Haut – unter weiter Kleidung verstecken. Es scheint einen neuen Kartoffelsack-Trend zu geben. Die Idee dahinter: Um sich vor sexueller Belästigung und aufdringlichen Blicken zu schützen, ziehen Frauen ein weites T-Shirt über ihr knappes Party-Outfit. Sie gehen dann damit raus, fahren U-Bahn und ziehen es erst wieder aus, wenn sie am Ziel angekommen sind.
Den Videos nach zu urteilen scheint der Trend in den westlichen Metropolen New York, London und Paris weit verbreitet.
Die Videos ähneln sich, sind charmant, bunt und mit Gute-Laune-Musik unterlegt. Die Kommentare der Userinnen lauten: „Es ist eine Möglichkeit, sicher von A nach B zu gelangen“, oder: „Jedes Mal, wenn ich mein Subway-Shirt vergesse, bereue ich es sofort und denke darüber nach, umzukehren.“
Warum schränkt ihr euch so ein?
Je mehr von den bunten, gutgelaunten Videos ich gucke, umso schlechtgelaunter werde ich. Was die Userinnen da beschreiben, ist ja eigentlich nicht lustig. Eigentlich thematisieren sie ja hier ihre Angst. Ihre Angst vor sexualisierter Gewalt.
Nach zehn Videos möchte ich nur noch schreien: Warum macht ihr das? Warum schränkt ihr euch so ein? Kämpfen wir nicht seit etlichen Jahren dafür, dass jede:r tragen kann, was er:sie möchte – ohne sexualisiert zu werden. Es sollte doch langsam möglich sein, dass ein Frauenkörper nicht objektiviert wird. Auch, wenn er nackt wäre, wäre es nicht o. k.
Hässliche Sackkleidung über der Kleidung, die ich eigentlich tragen möchte – das fühlt sich nach Freiheitsberaubung an. Und nach Rückschritt. Frauen beugen sich wieder mal dem Patriarchat und der männlichen Dominanz. Dennoch verstehe ich diese Frauen. Knappe Kleidung in der Öffentlichkeit birgt leider immer noch Risiken. Obwohl sich längst rumgesprochen hat, dass selbst nackt rumlaufen kein Freibrief für ungefragtes Grapschen ist.
Laut Angaben des Familienministeriums erlebt jede dritte Frau in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben körperliche oder sexualisierte Gewalt. Solange die Frage „Und was hatte sie an?“ immer noch eine Rolle bei Vergewaltigung und Übergriffen spielt, kann man keiner Frau verübeln, ein Subway-Shirt zu tragen, um sich sicherer zu fühlen.
Der Unsichtbarkeitsumhang
Lautet die eigentliche Frage also: lieber dem Patriarchat beugen oder „sicherer“ sein?
Mein Respekt gilt jeder Frau, die stark genug ist, sich nicht einschüchtern zu lassen, aber auch denen, die es nicht sind. Es ist verdammt anstrengend, jedes Mal anzüglichen Blicken standzuhalten und den Weg nach Hause nur mit Schlüssel in der Faust und einem Kopfhörer im Ohr zu bestreiten. Die Angst als treuer Weggefährte. Wenn das Subway-Shirt wie ein Unsichtbarkeitsumhang wirkt, dann go for it. Ich verstehe es.
Ich finde den Trend trotzdem nicht gut. Unfreiwillig befeuert er die Annahme, dass Frauen mit ihren Outfits sexuelle Übergriffe provozieren. Die Verantwortung wird umgekehrt und liegt plötzlich beim Opfer und nicht beim Täter. Dabei ist der Täter immer derjenige, der zur Verantwortung gezogen werden sollte. Egal, was die Frau trägt.
Jetzt fehlt nur noch, dass ein Männer-Start-up auf die Idee kommt, pinke Subway-Shirts zu designen und aus der Misere der Frau Profit zu schlagen.
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