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Thirdlife-CrisisWie leben jenseits der 30?

Laila Oudray
Essay von Laila Oudray

Obwohl scheinbar alles gut läuft, steckt unsere Autorin in einer Krise – und fordert mehr Akzeptanz für alternative Lebenswege jenseits der 30.

Vergänglichkeit kann sooo schön sein Foto: Benjakon

I ch stecke in einer handfesten Krise. Dabei ist eigentlich alles okay. Ich habe einen Job, den ich zuweilen sogar ganz gut finde. Ich bin in einer festen Beziehung, die zuweilen sogar sehr glücklich ist. Ich habe gute Freund*innen, die ich zuweilen sogar sehen kann. Ich könnte mich zurücklehnen und das Leben genießen. Doch ich werde von dem Gefühl gequält, dass es so nicht mehr weitergehen kann.

Die menschliche Existenz ist eine einzige Krise, doch einige Krisen fallen besonders auf. Da ist die allseits bekannte Midlife-Crisis, die angeblich vor allem Männer zwischen 40 und 55 Jahren trifft. In dieser Zeit trauert die Person verpassten Lebenschancen nach und wird sich ihrer Sterblichkeit stärker bewusst. Also klammert sie sich an ihre Jugend, indem sie sich einen Porsche und/oder eine junge Geliebte anschafft – so das Klischee.

Seit einigen Jahren kennt man nun auch die Quarterlife-Crisis, die vor allem Personen in ihren 20ern betrifft, wenn sie das erste Mal wirklich „erwachsen“ sein müssen – zum Beispiel nach dem Uniabschluss. Diese Zeit ist mit einem orientierungslosen Rumgeeiere verbunden und dem anstrengenden Kampf um seinen Platz in der Welt.

Jetzt könnte man meinen, dass es die thirtysomethings gut getroffen hat. Man ist nicht mehr der Praktikant, sondern jemand, dem die Menschen tatsächlich auch mal zuhören. „Fomo“ (Fear of missing out) quält einen nicht mehr, da man schon einige wilde Partys gefeiert hat und die Ruhe schätzen kann.

Andererseits fällt man noch nicht negativ auf, wenn man doch clubben will (zumindest in Berlin). Es scheint das Beste aus zwei Welten zu sein. Stattdessen fühlt es sich an, als ob beide Krisen zu einer neuen Krise fusioniert sind.

Ich fühle mich immer noch nicht angekommen und weiß nicht, wie die nächsten Schritte aussehen sollen. Wie damals nach der Uni. Gleichzeitig fühle ich einen immensen Druck. Als ob ich mich am Ende eines wichtigen Zeitfensters befinde. Als ob gilt: Jetzt oder nie.

Und da zeigt die Midlife-Crisis ihr Gesicht. Ich bin vielleicht noch jung, aber auch nicht mehr die Jüngste. Der erste Verschleiß ist da: Jetzt brauche ich tatsächlich mal Schlaf und nach dem Weingenuss folgt erst einmal das Sodbrennen. Und auch bei meinen Freun­d*in­nen sehe ich mehr graue Haare, die ersten Fältchen und die ersten ­Wehwehchen. Und wir wurden gewahr, dass wir immer älter werden und wir waren immer noch auf der Suche nach etwas. Nur nach was?

Es winkte eine herrliche Zukunft

Letztes Jahr las ich das erste Mal die „Glasglocke“ von Sylvia Plath. Darin schreibt sie: „Gleich dicken, purpurroten Feigen winkte und lockte von jeder Zweigspitze eine herrliche Zukunft.“ Damit beschrieb Plath eindrucksvoll, wie man als junger Mensch angesichts einer immensen Auswahl an Lebensentwürfen paralysiert ist, unfähig, eine Entscheidung zu treffen.

Ich zog eine Parallele zu meiner aktuellen Situation. Auch ich fühle mich an einem Scheideweg und müsste mich mal entscheiden. Und einige der Feigen scheinen mittlerweile verdorrt zu sein oder erscheinen mir entfernter denn je.

Ich möchte keine Familie gründen. Der Zeitpunkt für einen wie auch immer gearteten Karrieredurchbruch scheint auch vorbei zu sein. Ein Aussteigerleben kommt mir unangenehm vor. Ewig rumreisen ist zu anstrengend. Weitermachen wie bisher wird irgendwann peinlich. Man muss doch den Absprung schaffen.

Will ich mit 50 immer noch so leben wie mit 30?

Dann fiel der Groschen. Meine diffusen Sorgen, dieser Druck, diese Vorstellungen: Sie haben ihren Ursprung im extrem negativen, einseitigen Bild vom Alter jenseits der 30, das in der Gesellschaft verankert ist.

Das gilt vor allem für Frauen. Da ist das Narrativ der armen Frau, die eben das Zeitfenster für das gute Leben (Heim/Kinder) verpasst hat. Die nun verwelkt ist und nicht merkt, dass auf der Tanzfläche alle miteinander tanzen, aber niemand mit ihr. Sie ist „liegen geblieben“, hat es „nicht geschafft“.

Das gilt auch für den Bereich Karriere: Wenn man jetzt nicht durchstartet, wann dann? Es gibt ja nicht ohne Grund die Rubrik „30 unter 30“. Ich weiß natürlich, dass es viele Wege zum sogenannten guten Leben gibt. Ich weiß, dass mit 30 noch lange nicht Schluss ist.

Ab 25 verringert sich der Freundeskreis

Denkt doch mal an „Sex and the City“, wo die Protagonistinnen in ihren 30ern sind und trotzdem Cocktails trinken, Party machen und Männer verführen – in den ersten Staffeln zumindest. Denn auch Carrie, Miranda und Charlotte heiraten und kriegen teilweise Kinder. Selbst Samantha wird ruhiger. So fehlen die Vorbilder, die die unbewusste Angst des „Liegenbleibens“ herausfordern.

Gleichzeitig wird die Angst von der Realität immer wieder bestätigt. Eine Studie der Aalto-Universität und der Universität Oxford besagt: Bis 25 Jahren vergrößert sich der Freundeskreis stetig. Danach werden es immer weniger.

Gefühlt nimmt der Abwärtstrend ab 30 noch mehr an Fahrt auf. Wenn man sich in seinem Freun­d*in­nen­kreis umschaut, sind einige in derselben Situation wie man selbst. Aber viele andere entwickeln sich weiter, sie klettern an den Zweigen entlang und lassen einen zurück. Sie gründen Familien, sie machen die große Karriere. Plötzlich fehlt Zeit und gegenseitiges Verständnis.

Selbst wenn ich also alles so belassen will, wie es gerade ist. Wie lange geht das noch gut? Wie lange habe ich überhaupt noch Freund*innen, mit denen ich die Nacht zum Tage machen kann? Wie lange macht das mein Körper mit? Werde ich meine Entscheidungen noch bereuen?

Das Leben geht weiter und in diesem Fall ist es eine Drohung. Es ist eine Zeit der Orientierungslosigkeit und der Einsamkeit, des gesellschaftlichen Drucks und der mangelnden Alternativen: herzlich willkommen in der Thirdlife-Crisis. Was tun?

Die Medien müssen die altersfeindlichen Narrative aufbrechen und die Vielfältigkeit eines Lebens jenseits der 30 aufzeigen. Wir als Gesellschaft müssen Möglichkeiten schaffen, die ein Leben jenseits der traditionellen Familien- und Karrierestrukturen vereinfacht und ermöglicht. Jeder Einzelne von uns muss sich mit seinen Vorurteilen auseinandersetzen. Das sind alles große Umwälzungen und das dauert. Bis dahin hoffe ich mal auf zwei solide Jahre, bis mich die Midlife-Crisis umhaut.

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Laila Oudray
schreibt über Medienphänomene, Darstellungen von Minderheiten und Literatur. Pöbelt auf göttlichem Niveau.
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16 Kommentare

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  • Altern ist eine Krankheit, und sie trifft einen immer früher.



    Das sagen jedenfalls die Amis, und denen glaubt man ja alles.

  • Mit 50 geht man dann eben zum Tango Argentino, oder was in 20 Jahren in dieser Altersgruppe so in sein wird.

  • Also ich bin echt froh die 20er und bald auch die 30er hinter mir zuhaben ;)

  • "Wir als Gesellschaft müssen Möglichkeiten schaffen, die ein Leben jenseits der traditionellen Familien- und Karrierestrukturen vereinfacht und ermöglicht."

    Was soll man da denn noch vereinfachen? Leichter wird das Leben doch sowieso nie werden :D

  • Da lache ich mit meinen 63 doch drüber...

  • Weniger Nachdenken hilft ab und an, weniger sich selbst beobachten auch, mehr "egal" und weniger "Ich muss doch Ziele haben und einen Lebensentwurf" sowieso, weniger "Studien haben ergeben, dass der Freundeskreis schrumpft... Frauen dies... Männer das...", und weniger "die Anderen (Medien, Politik) müssen etwas tun, damit es mir gut geht" hilft immer.

    Was noch hilft? Kaffee und Limo trinken mit denen, die gerade kaum Zeit haben, weil Kinder oder sonstwie einen anderen Lebensentwurf. Mehr "Ach, da lebst du anders als ich, sehr schön, dann bleibt die Freundschaft spannend."

    Ansprüche runter an sich und die Welt, raus aus den dis-social media und weiterleben.

    Wenn das alles NICHT hilft: Könnte auch schlicht ne mittlere Depression sein.

    • @hierbamala:

      ... und dann keinesfalls Syliva Plath lesen.

  • "Getting older without getting old." - Andrew Steele (Physiker)

  • "Wir als Gesellschaft müssen Möglichkeiten schaffen, die ein Leben jenseits der traditionellen Familien- und Karrierestrukturen vereinfacht und ermöglicht."



    Wir? Ganz bestimmt nicht. Die Gesellschaft ist schon kinderfeindlich genug - Hotels und Restaurants wo Kinder ausgeschlossen werden kommen mehr und mehr in Mode. Wenn man Kinder heute mal 'freien Lauf' lässt und sie richtig toben und lärmen dürfen erntet man überall böse Blicke...



    Sie können ihr Leben gerne gestalten wie sie wollen, aber im Namen des WIR etwas einzufordern nur um das ICH sich wohler fühlen zu lassen - nein danke. Den Zweikampf mit ihrem Ich müssen sie schon selbst führen.

  • Die Herausforderung individuelle, lebenserfuellende Inhalte zu finden und zu vollziehen sind in jeder Lebensphase schwierig. Die Konsumgesellschaft ueberflutet und verbloeded jedes Begehren nach selbstfindung. Dies ist ihr Zweck.



    Abstand nehmen von dieser Infiltration und in "Natuer"licher Umgebung sich Zeitnehmen zum nachspueren der eigenen Urspruenglichkeit ist empfehlungswert. Und dann den aufsteigenden Ideen und Gefuehlen Raum geben ohne sich materiell und psychisch zu gefaerden oeffnet sich die Selbstfindung wie eine grosse Bluete.

  • Als alter weißer Mann empfehle ich die Lektüre eines viel älteren weisen Mannes:

    Erich Fromm, Haben oder Sein

    Steht alles drin, was für die eigene Lebensgestaltung nötig ist.



    Denn das Problem, dass man noch viel mehr haben könnte und nicht weiß, was man zuerst haben möchte und die Trauer, dass man dich nicht alles haben kann, ist nicht neu. Im Gegenteil.

  • "Pöbelt auf göttlichem Niveau"

    Nu, wenn Gott oder Göttin sich so in eigentlich nicht vorhandene Probleme verheddert, dann ist es kein Wunder (sic!) dass die Menschen und die Welt nicht gerettet werden. Ach, werden sie nicht? Dann ist klar, er / sie verheddert sich. Gott hat ja auch schon tausende Jahr Zeit um von einer persönlichen Krise in die nächste zu stolpern. Und nie zeigen die Medien alternative Wege auf. So bleibt es bei eigentlich geht es mir gut und ich bin glücklich, aber das kann doch nicht sein. Wo ist des Teufels Haar in der Suppe? Nie ist er sichtbar, wenn man ihn mal braucht.

  • Theoretisch ist es möglich, sein Leben zu leben auch ohne Beifall, follower und likes. Was soll dies narzisstische Gieren nach "Akzeptanz"? Wir leben in einem freien Land. Hier kann jeder so ziemlich machen, was er will, aber niemand muss das gut finden, niemand muss dafür Streicheleinheiten verteilen - es ist sogar Kritik möglich. Was ist das überhaupt für ein außengeleiteter Lebensentwurf?

  • ja ja die Medien müssen Alternativen aufzeigen ...



    Dann frisch ans Werk.

    • @Fabian Lenné:

      Ich denke die Taz gehört zu denen, die da tatsächlich ziemlich aktiv sind. Und eigentlich braucht man ja nichts Neues aufzeigen. Es reicht, auf diese ganzen tendenziell verächtlichen Schlagworte wie "kinderlos", "Aussteiger", "Karrieremann/frau" usw. zu verzichten.

      Das Phänomen im Artikel kann ich durchaus nachvollziehen. Viele haben Angst vorm 30. Geburtstag. Ich glaube aber, da ist die Obsession unserer Gesellschaft für das Dezimalsystem schuld. Wir glauben, dass sich ausgerechnet an "runden" Geburtstagen irgendwas ändern muss. Oder dass im Jahr 2000 ein neues Zeitalter begann. Oder oder oder ...

      Vielleicht wäre es ein nettes Gedankenexperiment, mal das Alter im Hexadezimalsystem zu beschrieben. 00 bis 1F (16) - Kindheit und Jugend, 20 bis 2F (23) heranwachsend usw.

      Ist natürlich genauso sinnlos, aber kann aufzeigen, dass man da ebenfalls Krücken finden kann, um einen Sinn drin zu sehen: Mit 16 wird man strafmündig und darf oft auch schon wählen, mit 32 bekommen viele ihr erstes Kind usw ;-)

      • @argie:

        " auf diese ganzen tendenziell verächtlichen Schlagworte wie "kinderlos", "Aussteiger", "Karrieremann/frau" usw. zu verzichten."



        Ich wäre echt interessiert zu wissen, wie Sie das Faktum 'Mensch ohne Kinder' anders beschreiben wollen.



        Tendenziell verächtlich? Hängt ausgesprochen stark von Kontext und den beteiligten Personen ab. Für sich beschreiben die von Ihnen aufgeführten Begrifflichkeiten erst einmal nur Fakten.