„The Zone of Interest“ in Voraufführung: Verstörende Rezeption
Der gefeierte Holocaustfilm „Zone of Interest“ zeigt, dass die Nazis ihre Kinder liebten und trotzdem Massenmörder waren. Hatte daran jemand Zweifel?
N och vor dem offiziellen Filmstart kommende Woche wird „Zone of Interest“ in einer Reihe kostenloser Veranstaltungen etwa der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in München oder der Friedrich-Naumann-Stiftung in Cottbus gezeigt. Auch ich habe das Angebot genutzt und mir im bayerischen Landtag den Film über das Leben der Familie Höß neben der Mauer des KZs Auschwitz angeschaut und bin erschüttert und verstört herausgekommen.
Erschüttert war ich weder davon, was der Film, noch, wie er es erzählt. Dass die Nazis ganz normale Familienmenschen waren und dass die Organisation des millionenfachen Massenmords ein ganz normaler Nine-to-five-Job war, für den sie auch mal Überstunden machten, sind keine neuen Erkenntnisse. Auch nicht, dass sich die Nazi-Ehefrauen um die Pelzmäntel ihrer deportierten Nachbarn kloppten, die auf der anderen Seite des eigenen Gartenzauns ermordet wurden.
Verstört bin ich schon eher darüber, wie begeistert das Spiel von Sandra Hüller als Ehefrau des Lagerkommandanten Rudolf Höß bewertet wird. Eine durchsetzungsstarke Frau mit einem breitbeinigen Gang zu spielen wirkt auf mich nicht verstörend, sondern clownesk.
Erschüttert bin ich auch davon, wie der Film von seinen Zuschauern aufgenommen wird. Auf sämtlichen Festivals hat er Preise abgeräumt, in fünf Kategorien ist er für die Oscars nominiert, und auch in der deutschen Filmrezeption gibt es bisher nur überschwängliches Lob. Der Chef des Axel-Springer-Verlags, Mathias Döpfner, ist bei Weitem nicht der Einzige, für den „Zone of Interest“ der „ungewöhnlichste und beste Holocaustfilm, der je gedreht wurde“, ist.
Der Film zeige die Kälte der Nazis und auch, dass Abwesenheit von Liebe zum Massenmord führe, so Döpfner. Vor solchem Lob muss „Zone of Interest“ noch in Schutz genommen werden, denn die Abwesenheit von Liebe als küchenpsychologische Erklärung für das Gutheißen der Vernichtung aller Juden liefert der Film gerade nicht. Dass nur Leute, die sowieso schon abgestumpft sind, einen Massenmord so selbstverständlich erledigen wie die Morgentoilette, zeigt „Zone of Interest“ nicht. Er zeigt, dass die Nazis ihre Kinder liebten und trotzdem Massenmörder waren.
Tickets für Taylor Swift
Noch nie, so gewieftere Kritiker, sei der Holocaust wie in „Zone of Interest“ aus der Täterperspektive erzählt worden, und zwar so, dass man sich mit ihnen identifiziere. Nichts scheint man in Deutschland allerdings lieber zu tun: Die Präsidentin des bayerischen Landtags Ilse Aigner erzählt, dass die Platzreservierungen für den Film so schnell weg waren wie sonst nur die Tickets für Taylor Swift. Aigner betonte in ihrem Grußwort mehrfach, dass der Film eine „Zumutung“ sei, und der Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg sprach sogar von einer „großartigen Zumutung“.
Zumutung? „Zone of Interest“ schwankt ästhetisch zwischen der farbintensiv-skurrilen Kulisse eines Wes Anderson und der Technicolor-Färbung des „Zauberers von Oz“. Jeder Wes-Anderson-Film aber ist, was die Darstellung menschlicher Abgründe betrifft, eine größere Zumutung als die KZ-Geräuschkulisse in „Zone of Interest“.
Der Skandal des NS war doch nicht nur, dass die, die die Macht hatten, ihre Vernichtungsideologie mit nie da gewesener und eiskalter Präzision durchsetzten. Der Skandal war, dass eine Mehrheit der Deutschen das richtig fand. Um die aber geht es in „Zone of Interest“ nicht. Mein Verdacht ist, dass der Film deswegen so gut ankommt.
Der Film ermahne uns, nicht wegzuschauen, so Ilse Aigner. Wegschauen war aber vielleicht noch nie das zentrale Problem, sondern das Mitmachen. Das Problem heute ist nicht das Wegschauen, sondern dass die Politik sich als Zivilgesellschaft inszeniert. Die Aufgabe der Politik aber ist es, dem Faschismus mehr als ein Demoschild und einen Film entgegenzuhalten.
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