Terroranschlag in Istanbul: Ankara weiß sofort Bescheid

Mitten in Istanbul explodiert eine Bombe, sechs Menschen sterben. Dann verkündet das Staatsfernsehen, wer schuldig sei. Die PKK weist Vorwürfe zurück.

Luftaufnahme. Dunkelroter Teppich ist mit roten Nelken bedeckt. Rundherum stehen Menschen.

Die Istiklal in Istanbul mit Teppich und roten Nelken: der Ort des Anschlags am Tag danach Foto: Erdem Sahin/epa

ISTANBUL taz | Schon von Weitem ist eine größere Menschenmenge zu sehen, die sich mitten auf der Istiklal Caddesi zusammendrängt – einer der bekanntesten Straßen in Istanbul. Kamerateams, Schaulustige, betroffene AnwohnerInnen und PolizistInnen stehen dicht an dicht um einen dunklen Teppich, auf den die Verwaltung des zuständigen Stadtteils Beyoğlu hunderte rote Nelken abgelegt hat. Dieser Teppich ist das Epizentrum am Tag danach. Am Tag, nachdem der Terror nach Istanbul zurückgekehrt ist.

Am Montagvormittag machen die Politiker dem roten Teppich auf der Istiklal ihre Aufwartung. Zuerst kommt der Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoğlu, der in stiller Trauer einige Minuten vor den Nelken am Anschlagsort verharrt. Imamoğlu verschwindet dann in dem Haus, um mit den AnwohnerInnen zu reden. Die Fensterfronten des Gebäudes sind durch den Bombenanschlag teilweise zerstört worden.

Nach Imamoğlu kommt der Gouverneur zum Teppich, ein Bürokrat, der dafür zuständig ist, in Istanbul alle regierungskritischen Demonstrationen zu verbieten, um die Sicherheit in der Stadt zu garantieren.

Kaum hat er sich abgewandt, entsteht eine richtige Bugwelle von Polizei und Kameraleuten, die den Auftritt des türkischen Innenministers Süleyman Soylu ankündigt. Auch Soylu wird zum roten Teppich geführt, angeblich um den sechs getöteten Menschen, die von der Bombe am Sonntagnachmittag zerfetzt worden waren, seine Reverenz zu erweisen, tatsächlich aber wohl, um eine ganz andere Botschaft zu verbreiten. „Wir werden zurückschlagen“, verkündet Soylu in die Mikrofone diverser in- und ausländischer TV-Anstalten, die sich um den Innenminister drängeln.

Eine syrische Kurdin soll schuld sein

Zuvor hatte Soylu schon offiziell bekanntgegeben, dass seine Polizei bereits ganze Arbeit geleistet hat. Die Schuldigen seien schon identifiziert und geschnappt. 46 Personen wurden festgenommen, darunter sei auch die Attentäterin. Am frühen Morgen zeigte das Staatsfernsehen ein Video davon, wie die Polizei eine Wohnung in dem Istanbuler Vorort Küçükçekmece stürmt, eine Frau zu Boden wirft und festnimmt. Der Name der Frau sei Ahlam Albashir, sie sei syrische Kurdin.

Die Frau ist auf den Überwachungskameras von der Istiklal Caddesi dabei zu sehen, wie sie an einer Bank ein Paket abstellt, eine Zeitlang dort sitzen bleibt und sich dann schnellen Schrittes entfernt. Wenig später detoniert die Bombe, mitten in der Menge, die sich an diesem Sonntagnachmittag durch die wichtigste Einkaufsstraße Istanbuls schiebt. Vier Menschen sterben an Ort und Stelle, zwei weitere etwas später im Krankenhaus. Alle sechs sind türkische StaatsbürgerInnen, darunter zwei junge Mädchen. Insgesamt werden über 80 Menschen verletzt, rund 30 sind am Montagmittag noch im Krankenhaus.

Angeblich gibt die syrische Frau unmittelbar nach ihrer Festnahme zu, die Bombe gelegt zu haben. Und nicht nur das: Sie sei Anhängerin der kurdischen PKK beziehungsweise ihrer syrischen Ableger PYD und deren Miliz YPG. Sie sei von der PKK in Kobani mit dem Attentat beauftragt worden, der Stadt nahe der türkischen Grenze, die nach ihrem Sieg gegen den IS als die kurdische Hochburg in Nordsyrien überhaupt gilt.

Von Kobani sei sie zunächst nach Afrin gereist, dem syrisch-kurdischen Kanton, der im Januar 2018 von der türkischen Armee besetzt wurde – und von dort dann weiter illegal in die Türkei. Nach dem Attentat habe sie nach Griechenland fliehen wollen.

Ein Polizist vor einem Absperrband, dahinter das Istanbuler Viertel Taksim. Die Sonne wirft ein goldrötliches Abendlicht auf die Szene

Polizisten am Taksimplatz Foto: XinHua/dpa

Ein perfekterer Fahndungserfolg ist allerdings kaum denkbar. Die meisten Trauernden an der Istiklal zucken angesichts dieser Nachrichten erst einmal mit den Schultern. „Alles ist möglich“, meint ein türkischer Kollege, der der Regierung durchaus kritisch gegenübersteht.

Die PKK selbst wies am Montagnachmittag jede Verantwortung für den Anschlag weit von sich. „Die demokratische Öffentlichkeit weiß genau, dass wir Aktionen nicht akzeptieren, die auf Zivilisten abzielen“, teilte sie über ihre Nachrichtenagentur „Firat“ mit. „Sieht nicht unbedingt nach PKK aus“, meint auch ein Anwohner, der schon den Anschlag 2016 auf der Istiklal miterlebt hat, unweit der Stelle, wo jetzt die Bombe gezündet wurde.

Damals waren Islamisten verantwortlich und auch jetzt würde man als Beobachter eher auf den IS tippen. Die PKK hat in der Vergangenheit vor allem Anschläge auf Polizei und Militär verübt, allerdings hat sie sich 2016 auch zu einem Anschlag in einem Park in Ankara bekannt, bei dem etliche ZivilistInnen getötet wurden.Die PKK ist nicht nur in der Türkei, sondern auch in Europa und den USA als Terrororganisation gelistet.

Auffällig ist, wie konsequent die türkische Regierung ihre Informations- und Deutungshoheit über den Anschlag durchgesetzt hat. Zunächst wurde kurz nach dem Attentat, das um 16.20 Uhr Ortszeit verübt wurde, eine Nachrichtensperre verhängt. Die Medien durften nur noch offizielle Verlautbarungen wiedergeben.

Soziale Medien werden abgeschaltet

Dann wurden die sozialen Medien ausgeschaltet, sodass man sich über Twitter, dem wichtigsten Nachrichtenkanal für regierungskritische Infos, nur noch mit einem VPN-Dienst, also einer Umgehung über das Ausland, verständigen konnte.

Währenddessen verkündigte das Staatsfernsehen Schritt für Schritt die Fahndungserfolge. Wie sehr die angebliche PKK/YPG-Täterschaft der türkischen Regierung politisch zupasskommt, zeigte sich, als Innenminister Soylu am Montagmittag die Beileidsbekundung der US-Botschaft in der Türkei brüsk zurückwies. Das sei scheinheilig, würden doch gerade die USA die PKK/YPG in Syrien bis heute mit Waffen beliefern.

Die Zusammenarbeit der USA mit der syrischen Kurdenmiliz YPG im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ ist seit Jahren eine der größten Belastungen der Beziehungen zwischen der Türkei und den USA. Immer wieder haben Präsident Recep Tayyip Erdoğan und seine Regierung den USA vorgeworfen, die Waffen, die sie an die YPG liefern, würden letztlich gegen die Türkei eingesetzt. So könne man unter Nato-Partnern nicht miteinander umgehen.

Vielleicht ist dies nur der Anfang

Dass der türkische Präsident Erdoğan an diesem Dienstag beim G20-Gipfel in Indonesien persönlich auf US-Präsident Joe Biden trifft, um diesem dann noch einmal die Zusammenarbeit der USA mit der YPG unter die Nase reiben zu können, ist ein schöner zeitlicher Zufall. In oppositionellen Kreisen wird bereits darüber spekuliert, dass Erdoğan den Anschlag als Rechtfertigung nutzen könnte, um seine Truppen nun doch noch erneut in Nordsyrien einmarschieren zu lassen – ein Anliegen, das bislang am gemeinsamen Einspruch der USA und Russlands gescheitert war.

Denn dass dieser Anschlag erst der Beginn einer größeren Serie gewaltsamer Erschütterungen im Vorfeld der türkischen Präsidentschaftswahlen im Frühjahr sein könnte, ist eine der am meisten gehörten Befürchtungen am Rande der Trauer am roten Teppich. „Ich wundere mich nur, dass es schon so früh losgeht“, sagte einer der Ladenbesitzer an der Istiklal. „Damit können wir den Tourismus im kommenden Jahr wohl vergessen“.

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