Tech-Worker über Berlin vs. Amazon: „Amazon greift nach Grundrechten“
Alexa, überwachst du uns? Amazon will in Berlin ein Zentrum für Abhörtechnik aufbauen. Der Software-Entwickler Yonatan Miller protestiert dagegen.
Herr Miller, Sie sind Mitinitiator der Kampagne Berlin vs. Amazon, einem Zusammenschluss von Gentrifizierungsgegner:innen, Künstler:innen und Tech-Arbeiter:innen. Was bedeutet die Pandemie für Amazon?
Yonatan Miller: Amazon ist eine der wenigen Firmen, die während der Coronakrise extrem profitieren: Der Konzern will 200.000 neue Arbeiter in Logistikzentren einstellen. Amazon-Chef Jeff Bezos hatte schon vor der Krise ein Vermögen von über 100 Milliarden Dollar. Mittlerweile wird es auf über 200 Milliarden Dollar geschätzt und es gibt Spekulationen, dass Bezos der erste Billionär der Welt werden könnte. Während der Pandemie gab es weltweit verschiedene Streiks und Proteste, die Vergeltungsaktionen von Amazon nach sich zogen. Wir sind in Kontakt mit kritischen Mitarbeitern im Logistik- und Tech-Bereich wie Chris Smalls und Emily Cunningham.
Smalls hatte in den USA Streiks gegen Amazon organisiert und Cunningham von Amazonians for Climate Justice hatte die Arbeitsbedingungen kritisiert. Beide wurden entlassen. Kann sich Amazon während der Pandemie weniger erlauben?
Als die Coronapandemie begann, versuchte Amazon öffentlicher Kritik mit kleinen Gehaltserhöhungen von zwei Euro entgegen zu wirken. Das wollen sie ab dem 1. Juni aber schon wieder einstellen. Das wird den Ärger von Arbeitern weltweit nach sich ziehen. Es bleibt also turbulent bei Amazon.
In Berlin will Amazon den bald größten Turm der Stadt beziehen – den Edge Tower am Bahnhof Warschauer Straße. Der wird gerade als finaler Baustein des Projekts Mediaspree vom niederländischen Investor Edge Technologies hochgezogen. Hauptmieter soll Amazon werden. Hat Corona irgendwas an den Plänen verändert?
Nein, aus unserer Perspektive gibt es keine Planänderungen oder Verzögerungen. Der Bau geht voran. Allerdings wissen immer mehr Menschen um Amazons Verhalten und haben Angst vor Verdrängung. In allen Städten, in denen Amazon Standorte aufbaut, kann man beobachten, dass die Miet- und Immobilienpreise in die Höhe schießen. In Seattle, wo das Hauptquartier von Amazon sitzt, gibt es nicht ganz zufällig die US-weit dritthöchste Rate an Obdachlosen.
26, lebt und arbeitet als Software-Entwickler in Berlin. Er gründete die Tech Worker Coalition in Berlin und initiierte die Kampagne Berlin vs Amazon. Twittert unter @shushugah
Aktivist:innen haben in Berlin bereits verhindert, dass Google sich in Kreuzberg ansiedelte. Warum glauben Sie, dass das auch mit Amazon klappen kann?
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, es wird einfach. Amazon ist eine unglaublich mächtige Firma. Und im Gegensatz zu Google schert sich Amazon nicht allzu sehr um seine Außenwirkung. Google hatte sogar „Don’t be evil“ als Motto auserkoren – Amazon ist es gewöhnt, heftig kritisiert zu werden. Ich glaube, wir werden dennoch erfolgreich sein, weil die EU die parasitären Verhaltensweisen von Tech-Riesen aus dem Silicon Valley genau auf dem Schirm hat. Zudem geht es nicht nur um Arbeitsrechte oder Steuervermeidung. Viele Menschen haben noch gar nicht verstanden, was Amazon in Berlin vorhat.
Was denn?
Die meisten Leute denken bei Amazon an einen Onlinestore, in dem man Bücher und Videospiele kaufen kann. Aber der Edge Tower in der Warschauer Straße steht für etwas ganz anderes: Dort soll Alexa Service einziehen – Abhörtechnologie. Von hier aus soll nicht nur der deutsche Markt, sondern der globale Markt für Natural Language Processing (NLP – maschinelle Verarbeitung natürlicher Sprache, Anm. d. Red.) vorangetrieben werden. Das ist sehr viel komplexer als Gentrifizierung, aber ebenso wichtig. Es gibt einen großen gesellschaftlichen Bedarf an Regulierungen von großen Unternehmen, die gegen die Privatsphäre und Datenschutz verstoßen. Amazon greift nach unserer Grundrechten, das reicht weit über Gentrifizierung hinaus. Wir wollen die Themen verbinden und so breiten Protest auf die Beine stellen.
Sie sind selbst Programmierer. Welche Bedeutung hätte ein Standort in Berlin von Alexa Services für Datenrechte?
Wenn Sie ein Alexa- oder ein Echo-Gerät von Amazon haben, kann man diesen Geräten sagen, dass sie ein bestimmtes Lied spielen sollen. Was viele Leute sich allerdings nicht klarmachen ist, dass das Gerät auch private Gespräche mit den engsten Angehörigen belauscht. Von künstlicher Intelligenz gesteuerte Algorithmen verarbeiten größtenteils diese Daten, aber es gibt auch echte Menschen, die sich die Aufzeichnungen anhören. Nämlich Data-Trainers, die die Algorithmen verbessern sollen. Gerade kürzlich wurde ein Apple-Mitarbeiter in Frankreich zum Whistleblower bei dem ähnlichen Dienst Siri. Dort wurden klare Verstöße gegen die DSGVO festgestellt.
Sollte diese Datenschutzgrundverordnung nicht genau so etwas verhindern?
Sie ist auch ein gutes Werkzeug, aber sie geht nicht weit genug. Die Profite von Amazon und Apple bauen auf Überwachungstechnologie auf. Zu ihren Kunden gehören Überwachungsfirmen wie Palantir, eine private Firma aus den USA, die sich auf die Analyse großer Datenmengen spezialisiert hat und 2004 von Peter Thiel gegründet wurde. Während der Coronakrise erfassen sie Daten für das britische Gesundheitssystem. Die Cloud, die das wiederum hostet, gehört Amazon. Und wir reden hier nicht nur über individuelle und intime Kommunikation, sondern auch wirklich sensible Informationen wie Krankenakten.
„Evicted by Greed“ Am Freitag um 16 Uhr startet internationale Konferenz von Aktivist:innen und Expert:innen über Wohnraumpolitik, Finanzflüsse und Widerstand. Wegen Corona laufen alle Veranstaltungen online – bis einschließlich Sonntag.
Sprecher:innen Teilnehmen werden neben Miller auch Leilani Farha (UN-Sonderberichterstatterin für das Menschenrecht auf Wohnen), Christoph Trautvetter (Netzwerk Steuergerechtigkeit), Volkan Sayman (Deutsche Wohnen & Co. enteignen) und Marco Clausen (Prinzessinnengärten) sein. (gjo)
Was passiert mit den Daten? Werden die bloß für Werbung verramscht oder leben wir bald in einer dystopischen Zukunft nach George Orwell?
Ob sie nun einen Überwachungsstaat aufbauen wollen oder gezieltes Marketing betreiben: Die Infrastruktur, die Sie dafür brauchen, ist die gleiche. Derzeit gibt es beides: Die Firma Palantir benutzt künstliche Intelligenz, um Flüchtlinge zu erfassen und abzuschieben. Aber es gibt auch Fälle von Werbung, die einem ausgespielt wird, nachdem man sich mit einem Freund über etwas Bestimmtes im Beisein von Alexa unterhalten hat. Die Gefahr von Letzterem ist nicht so offensichtlich, aber das Risiko bleibt das Gleiche, weil die Infrastruktur beides ermöglicht.
Sie wohnen seit 2015 in Berlin. Was bedeutet die Ansiedlung von 3.500 Tech-Angestellten von Amazon für Sie als Berliner?
Mehrere tausend Tech-Angestellte in Friedrichshain sind natürlich ein konkretes Risiko für alle, die dort wohnen. Friedrichshain leidet jetzt schon unter hohen Mieten. Die Mediaspree hat die Region komplett verändert. Und es gibt ja auch in Mitte vergleichbare Projekte wie die Silicon Allee. Viele wollen Berlin zu einem Tech-Hub machen. Wenn Amazon wirklich an die Warschauer Straße kommt, wird dieser Status weiter ausgebaut und zementiert. Und viele Technikfirmen würden nachziehen.
Wie sieht denn Ihre Strategie für die nächsten Monate aus, werden Sie sich ohne größeren Protest organisieren können?
Wir organisieren uns weiter online. Dieses Wochenende gibt es die internationale Konferenz Evicted by Greed. In zwei Wochen organisieren wir eine Debatte zum Thema. Außerdem haben wir vor, an Conference-Meetings von Edge Technologies und Amazon beizuwohnen. Vielleicht sollten wir für unseren Protest beim Bauunternehmer Edge Technologies ansetzen. Sie haben schließlich am meisten Einfluss darauf, wer bei ihnen in den Turm zieht. Und Edge ist – im Gegensatz zu Amazon – auf seinen guten Ruf bedacht. Wenn Edge den behalten will, sollte das Unternehmen seinen Turm vielleicht nicht an Amazon vermieten. Sonst müssen wir vielleicht ein bisschen Werbung für sie machen: Interessant ist etwa auch, dass Edge Technologies sich als umweltfreundliches Unternehmen präsentiert, im Gegensatz dazu aber den dreckigsten Cloud-Provider der Welt einziehen lassen will: Amazon.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles