Tarifkampf der Krankenhausbeschäftigten: Dass nicht manche gleicher sind…
Die Labor Berlin GmbH von Charité und Vivantes drückt sich weiter um eine Tarifbezahlung für alle. Alle Verhandlungen werden abgeblockt.
Hintergrund des Streits ist, dass Vivantes Arbeiten auf formal unabhängige Tochterunternehmen auslagert, wohl auch, um so eine Bezahlung nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) zu umgehen. Die Konsequenz: Beschäftigte, die Arbeitsverträge von vor der Auslagerung besitzen, werden nach TVöD bezahlt – und alle anderen nicht.
Wie die Berliner Krankenhausbewegung, ein Zusammenschluss der Beschäftigten von Charité und Vivantes, vorrechnet, können so bei Labor Berlin Lohnunterschiede von über 900 Euro monatlich entstehen. Eigentlich wollte Rot-Rot-Grün so was unterbinden.
Doch die Krankenhausbewegung musste es in die Hand nehmen, die Umsetzung dieses Versprechens auch einzufordern: Am 12. Mai hat die Bewegung ein 100-Tage-Ultimatum gestartet, neben dem „TVöD für alle“ auch einen „Tarifvertrag Entlastung“ durchzusetzen. Letzterer soll für die chronisch überlasteten Pflegekräften Mindestbesetzungen definieren. Werden die Forderungen nicht erfüllt, droht ab dem 20. August Streik – nur wenige Wochen vor dem Superwahlsonntag am 26. September.
Demonstration Die Initiative „Hände weg vom Wedding“ veranstaltet eine Kundgebung, um die Forderungen der Berliner Krankenhausbewegung – TVöD für alle und einen Tarifvertrag Entlastung für Pflegekräfte – zu unterstützen. Als ursächliches Problem sieht die Initiative den Kapitalismus. „Unter dem Deckmantel der Rationalisierung“ sei das Gesundheitssystem „kaputtgespart“ worden, so der Aufruf.
Ort und Zeit Stattfinden soll die Versammlung am 6. August um 18 Uhr vor dem Virchow-Klinikum am U-Bahnhof Amrumer Straße (tk)
Existenzbedrohende Tariflöhne
Auf taz-Nachfrage, warum Labor Berlin noch nicht einmal Verhandlungen zulässt, verweist Kristina Tschenett, Vivantes-Pressesprecherin, auf eine Formalität: Da sich die Tochter nur zu 50 Prozent im Vivantes-Besitz befände, die derzeitigen Verhandlungen aber nur 100-prozentige Tochterunternehmen beträfen, seien Verhandlungen „nicht möglich“. Im Klartext scheint nicht klar zu sein, wer die Verhandlungen für die Arbeitgeberseite führen soll. Die restlichen 50 Prozent des Unternehmens gehören der ebenfalls kommunalen Charité.
Labor Berlin sei „in seiner Existenz bedroht“, wenn tatsächlich alle Beschäftigten nach Tarif bezahlt werden müssten, so die Pressesprecherin weiter. Die Gesamtheit der 675 Arbeitsplätze würde „verloren gehen“, denn die drohenden Mehrkosten von 6 Millionen Euro seien „nicht finanziert“. Folglich müssten die Preise „deutlich angehoben“ werden – was den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit zur Folge habe.
Auch das Mutterunternehmen Vivantes, heißt es, könne nicht einspringen, da es sich selbst in finanziellen Schwierigkeiten befände. Schließlich bezahle Labor Berlin bereits über dem Branchenschnitt. Tim Graumann, der zuständige Verdi-Gewerkschaftssekretär, hält diese Argumentation für „völlig aus der Luft gegriffen“. Labor Berlin sei „die essenzielle Infrastruktur von Charité und Vivantes“, sagte er der taz, eine „Auslagerung auf andere Labore“ wäre „gar nicht ohne Weiteres möglich“.
Tatsächlich scheint das „größte Krankenhauslabor Europas“ – wie sich das Unternehmen selbst bezeichnet – ein Branchenführer zu sein. Laut aktuellem Geschäftsbericht versorgt die GmbH 80 Prozent aller Berliner Klinikbetten und bearbeitet täglich mehr als 19.500 Proben. Der prominente Virologe Christian Drosten leitet die Abteilung Virologie, bundesweit wurden hier die ersten PCR-Tests ausgewertet.
Im Jahr 2019 – also vor Corona – erwirtschaftete das Unternehmen einen Umsatz von rund 60 Millionen Euro und einen Überschuss von 1,5 Millionen Euro. Der Unternehmensbericht im Jahr 2020 nennt keine Umsatzzahlen, erwähnt aber, dass sich die Auftragslage in der Molekularbiologie im Pandemiejahr verneunfacht habe.
Einschüchterungsversuche der Geschäftsführung
Durch Tarifbezahlung würden deshalb höchstens „die Profitmargen kleiner werden“, so Gewerkschaftler Graumann. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass die von Vivantes vorgelegte Rechnung tatsächlich stimme, fordert er die Rückführung von Labor Berlin in den Mutterkonzern Vivantes. „Wenn auf dem freien Markt tatsächlich keine Bezahlung nach Tarif möglich ist, dann muss die Finanzierung eben öffentlich sichergestellt werden“, sagt Graumann.
Auch bei den Beschäftigten gibt es Unmut. Am Telefon erzählt Julia Butter, medizin-technische Laborassistentin bei Labor Berlin, die Mehrheit der rund 300 von der geringeren Bezahlung betroffenen Beschäftigten habe eine Petition unterzeichnet, in der die Geschäftsführung zur Aufnahme von Verhandlungen aufgefordert wird. Dazu kämen Kolleg:innen, die aus Solidarität unterschrieben hätten.
Doch die Petition wird scheinbar nicht anerkannt. In einem der taz vorliegenden Schreiben an Verdi beklagt die Geschäftsführung unter anderem Doppelunterzeichnungen und spricht Deutschlands größter Dienstleistungsgewerkschaft kurzerhand ab, das nötige „Mindestmaß an Vertrauen“ an den Verhandlungstisch mitzubringen.
Nach der Petition habe die Geschäftsführung „klare Einschüchterungsversuche“ betrieben, indem sie immer wieder mit Stellenabbau gedroht habe, berichtet Butter weiter. Auch die Pressestelle von Labor Berlin bestätigt der taz eine „interne Informationskampagne“, in der „die zwangsläufigen marktbedingten wirtschaftlichen Folgen sachlich dargelegt“ worden seien.
Lange Arbeitszeiten, weniger Geld
Butter sagt, mittlerweile hätten „mehrere Kolleg:innen ihre Unterschrift leider zurückgezogen, einige davon, weil sie sich von der Geschäftsführung unter Druck gesetzt fühlten“. Sie selbst sei in einer Videokonferenz eingeschüchtert worden. Nachdem sie gefragt habe, wann die Verhandlungen aufgenommen würden, habe ihr die Geschäftsführung vor allen Anwesenden vorgeworfen, sie persönlich warte darauf, dass 225 Menschen ihren Job verlieren.
Der taz gegenüber betont die Geschäftsführung dagegen, man wolle nur „Transparenz für eine eigenständige Positionierung“ schaffen. Im Falle einer Unterzeichnung würden „keinerlei persönliche Konsequenzen“ drohen. Butter ist frustriert darüber, wie die Geschäftsführung mit den Beschäftigten umgeht. Dabei könne sie sich eigentlich „kein besseres Labor zum Arbeiten vorstellen“, sagt sie.
Probleme machen würde aber neben der geringeren Bezahlung das Nachtschichtsystem: In diesem gelte der Tag, an dessen spätem Abend eine Nachtschicht beginnt, formal als frei. „Dadurch passiert es, dass ich teilweise bis zu 16 Tage am Stück im Labor bin“, erzählt Butter. Wegen der geringeren Bezahlung könne sie es sich aber nicht leisten, ihre Schichten zu reduzieren.
Unterkriegen lassen will sich Butter aber nicht. „Ich werde weiter für meine Rechte eintreten“, sagt sie. Die Belegschaft sei dabei, sich zu organisieren. „Wir wissen: Unsere Arbeit ist gerade in Pandemiezeiten unverzichtbar“, sagt sie.
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