„Tagesschau“ leakt Ceta-Vertrag: Mehr Macht für Konzerne
Der Text zum EU-Kanada-Abkommens Ceta bestätigt Befürchtungen der Kritiker. Enthalten sind weitreichende Klagerechte für Konzerne.
BERLIN taz | Ein gut gehütetes Geheimnis ist keines mehr: Die „Tagesschau“ hat den kompletten Vertragstext über das Freihandelsabkommen zwischen Europa und Kanada (Ceta), der ihr aus internen Quellen zugespielt wurde, ins Internet gestellt (pdf). 521 Seiten ist er lang – und er bestätigt die schlimmsten Befürchtungen. Denn kanadische Investoren erhalten das Recht, vor internationalen Schiedsgerichten gegen einen EU-Staat zu klagen, wann immer sie ihre „legitimen Erwartungen“ auf Profit geschmälert sehen.
Diese Formulierung ist breit interpretierbar. Ob Umweltschutz, Verbraucherschutz, Sozialpolitik oder Mindestlohn: Stets könnte ein Konzern behaupten, dass diese Schutzgesetze die Renditen senken – und eine Klage einreichen.
„Mit dem Begriff der ’legitimen Erwartungen‘ geht die EU noch über die bisher üblichen Formulierungen in Freihandelsverträgen hinaus“, kritisiert Peter Fuchs von Powershift, einem Verein für alternative Handelspolitik. „Dies ist ein Geschenk an die Konzerne.“ Ceta wurde von der EU-Kommission bisher geheim gehalten, weil der Vertrag mehr ist als nur ein schlichtes Abkommen mit Kanada: Er gilt zugleich als Blaupause für das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa (TTIP), das bis Ende 2015 abgeschlossen sein soll.
Erste Leaks über Ceta gab es im vergangenen Jahr, und schon damals waren Kritiker alarmiert. Ein Kronzeuge ist der kanadische Jurist Howard Mann, der sich seit mehr als 15 Jahren mit Investorenschutzabkommen beschäftigt und dabei mit mehr als 75 Regierungen zusammengearbeitet hat. Im Dezember 2013 sagte Mann bei einer Anhörung im kanadischen Unterhaus, Ceta sei „der investorenfreundlichste Vertrag“, den eine kanadische Regierung jemals ausgehandelt habe.
Parallel-Justiz droht
Mit Ceta würde eine weitreichende Paralleljustiz entstehen. Ausländische Konzerne könnten die normalen Gerichte meiden und sich stattdessen an internationale Schiedsgerichte wenden, die mit drei Anwälten besetzt sind. Das Unternehmen und der beklagte Staat benennen je einen Vertreter, auf den dritten einigen sie sich gemeinsam. „Damit wird die Macht über die Gesetzgebung an Privatpersonen abgegeben“, kritisiert Fuchs.
Schiedsgerichte sind nicht neu, sondern bereits in etwa 3.200 regionalen und bilateralen Abkommen verankert. Vor allem die europäische Energiecharta von 1994 erwies sich für Deutschland als fatal: Sie erlaubt es Vattenfall, gegen den Atomausstieg vorzugehen und die Bundesregierung auf einen Schadenersatz von 3,7 Milliarden Euro zu verklagen. Diese Fälle würden sich künftig häufen, denn mit Ceta und TTIP würden etwa 75.000 Konzerne auf beiden Seiten des Atlantiks ein Klagerecht erhalten, wie Kritiker ausgerechnet haben.
Die kanadische Regierung will Ceta am 26. September unterzeichnen; die EU-Kommission peilt offenbar den 25. September an. Danach müssen sich das kanadische Parlament und das EU-Parlament äußern. Die Abgeordneten können den Vertrag nicht mehr ändern, sondern nur zustimmen oder ablehnen.
Da es sich um ein sehr umfassendes Abkommen handelt, dürfte es nicht reichen, wenn nur das europäische Parlament zustimmt. Höchstwahrscheinlich muss der Vertrag alle Parlamente in den 28 EU-Staaten passieren. Diese Rechtsauffassung teilt auch EU-Handelskommissar Karel De Gucht. In einem taz-Interview im Mai sagte er: „Aufgrund der derzeitigen Breite des Abkommens halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass nationale Parlamente wie der Bundestag und der Bundesrat am Ende über TTIP abstimmen.“ Da Ceta sehr ähnlich aufgebaut ist, dürfte die Aussage auch dafür gelten.
Die Kritiker sind optimistisch, die Freihandelsabkommen stoppen zu können. „Wir haben öffentliche Unterstützung wie noch nie“, sagt Peter Fuchs. „Ceta und TTIP werden zusammenbrechen.“
Leser*innenkommentare
JackyO
Liebe Taz.... ihr scheint den kurzes CETA Vertrag verlinkt zu haben. Das vollständige Dokument mit 1500 Seiten findet sich hier: http://www.tagesschau.de/download/ceta-111.zip
Gabriel Renoir
Es geht bei den Schlichtungen um Planungssicherheit. Man kann nicht in Windkraftwerke investieren mit Genehmigung, wenn im nächsten Jahr aufgrund eines Regierungswechsels alle Windmühlen wegen Verschandelung der Landschaft oder wegen Tierschutz abgebaut werden müssen. Ist doch nachvollziehbar. Eine gewisse Konstanz muss sein.
sema
Dieser Kommentar ist ein gutes Beispiel für die erfolgreiche - schwabeldieschwabbel Tatsachenverdrehung - durch Gabriel & Co.
(Könnte natürlich auch einfach sagen: Dummheit der Leute)
Oder handelt es sich hier um bezahlte Agitation? Kann jemand der lesen und schreiben kann wirklich so dumm sein?
TTIP Aktionsbündnis
Damit das auch so beleibt:
Um TTIP, TISA und CETA zu stoppen braucht es die geballte Stimme der europäischen Bevölkerung, bei der im September an beginnenden Europäischen Bürgerinitiative.
Wir formieren uns daher im Vorfeld in Deutschland und Österreich gegen TTIP, TISA und CETA via Facebook. Werde Teil des Widerstandes und werde Fan beim TTIP Aktionsbündnis oder in einer der zahlreichen Gruppen in denen "Aktionen" organisiert werden. http://stopp-ttip.eulu.info/ (als Webseite und Einstieg zu Facebook) oder Facebooksuche Aktionsbündnis
Gemeinsam schaffen wir es!
1714 (Profil gelöscht)
Gast
Man kann nur eines tun: WEHRT EUCH!
Es ist nicht nur legitim, sondern DRINGEND NOTWENDIG sich gegen unsere Entmündigung zu wehren. Mit allen friedlichen Mitteln. Auf die Politiker können wir nicht zählen! Die haben uns schon längst verraten um des eigenen Vorteils willen.
vjr
Klar, sich zu wehren, was sonst – und hier kann man einen Schritt tun, die Europäische Bürgerinitiative "Stop TTIP!" unterschreiben:
http://stop-ttip.org
Mehr zu Europäischer Bürgerinitiative, auch was sie ist, was sie kann, auch woher sie kam und wie weiter – u.a./v.a. hier:
http://citizens-initiative.eu
Bitbändiger
Es müsste endlich intensiv untersucht werden, was demokratisch legitimierte Politiker veranlasst, solch ein Abkommen, das fundamentalste demokratische Grundsätze aushebelt, auszuhandeln und zur Ratifikation zu empfehlen. Ich will nicht ausschließen, dass jemand wie Herr de Gucht, der mir, wann immer im Fernsehen vorgezeigt, noch nie den hellsten Eindruck machte, nicht weiß, auf was er sich da einlässt (Gleiches gälte natürlich auch für unsere nationalen CETA- und TTIP-Oberbefürworter, allen voran Merkel und Gabriel). Wenn wir aber davon ausgehen, dass Ämter solchen Kalibers nicht mit völligen Vollidioten besetzt werden, bleibt eigentlich nur noch eine Motiv-Vermutung übrig: Korruption. Denn es gibt nichts, absolut nichts, das diese Entmachtung demokratischer Legislative und Judikative rechtfertigen könnte.
Ich hoffe auf das Bundesverfassungsgericht, alternativ auf eine Revolution.
warum_denkt_keiner_nach?
"Wenn wir aber davon ausgehen, dass Ämter solchen Kalibers nicht mit völligen Vollidioten besetzt werden, bleibt eigentlich nur noch eine Motiv-Vermutung übrig: Korruption. "
Das könnte man vermuten. Aber ich glaube, die Erklärung ist viel gruseliger. Die entsprechenden Politiker glauben tatsächlich daran, dass es gut für Ihre Länder ist, wenn ALLE Hindernisse beim Profit machen aus dem Weg geräumt werden. Es handelt sich dabei um eine Art Religion, die sich auch von der Tatsache nicht verdrängen lässt, dass es dem meisten Staaten am besten ging, als die Wirtschaft SINNVOLL reguliert war. Ähnliche religiöse Auffassungen gibt es ja auch zum Spitzensteuersatz.
noevil
Unsere Politiker werden gutgläubig wie immer - öffentlich - davon ausgehen, dass es schon nicht so schlimm kommen wird. Die Skeptiker dagegen werden als Kassandra die Hände zum Himmel heben - es wird noch schlimmer kommen. Ich sehe mich als Skeptiker. Diese Abkommen sind imstande, uns, unseren Staat, unsere Justiz, unsere Gesellschaft ruinieren.
Es bleibt nur zu hoffen, dass aus einer Welle des Widerstandes ein Tsunami wird.
Dorian Müller
Wenn sich die SPD hier kaufen lässt, wird sie die nächsten 100 Jahre die 15% Marke nicht mehr überschreiten.
tazzy
@Dorian Müller Die Sozialdemokraten sind ganz sicher nicht das Problem. Das Hauptproblem sind die Politiker von CDU/CSU, die zufälligerweise auch die meisten Lobbyisten und "Nebenverdiener" unter sich haben.
1714 (Profil gelöscht)
Gast
@tazzy Das werden wir ja spätestens am Abstimmungsverhalten sehen. Es steht Schlimmstes zu befürchten: wer nicht in Gabriels Sinne abstimmt, fliegt von einer aussichtsreichen Position der Landesliste. Das wissen die GenossInnen und werden sich beugen. Und Gabriel ist einer der Hauptbefürworter der Abkommen. Er könnte das ganze Theater beenden indem er mit dem Koaltionsbruch -ernsthaft- droht und den dann auch ausführt. Aber das ist mit diesem Ober-Lobbyisten nicht zu erwarten.
sema
@tazzy Das dumme ist nur, dass ein gewisser Gabriel den Leuten immer wieder einreden will, CETA wäre ja gar nicht so schlimm .... Und es gibt verdammt viele Leute, die ihm das glauben. Wenn in solchen Fragen wirklich die Vernunft siegen würde, hätten wir vermutlich auch keine Atomkraft. Deshalb bin ich eher pessimistisch.
Dorian Müller
@tazzy Mag sein, aber mir geht es um die Bundestagsabgeordneten, die diese Kapitulationserklärung noch verhindern können. Die Opposition wird einstimmig dagegen votieren, von der durch und durch korrupten Union erwarte ich mir nichts.
Manuel
TTIP und CETA sind eine große Gefahr für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit...
Es ist interessant zu sehen, wie häufig verbal (und hier gerade aus konservativ- liberalen Kreisen der CDU, FDP und Teilen der SPD) die Flagge der Freiheit und vor allem der Demokratie hochgehalten wird, sobald es aber um das Kapital geht, scheint die Demokratie lediglich noch ein lästiger Hemmschuh zu sein.
Kapital(ismus) und Demokratie scheinen sich nicht gut zu vertragen. Eigentlich keine bahnbrechende Neuigkeit... Im Zweifelsfall wird für das Kapital und gegen Demokratie und Bevölkerungen entschieden...
Es gilt TTIP und CETA zu stoppen!
3618 (Profil gelöscht)
Gast
Am 31.8. ist in Potsdam eine WIR HABEN ES SATT-Demo.
Die Gelegenheit, auch zu CETA/TTIP und TISA Stellung zu beziehen.
Lowandorder
Mag sein Usa ist nicht Kanada -
aber wer die Fracking-Filme gesehen hat
findet die in den dazu in den inhaltlichen
Beiträgen geäußerten Bedenken
- dort ist ein diametral entgegengesetztes
(Rechts)verständnis am Werk -
vollauf bestätigt!
Vorausgehende Umweltschutzverfahren,
Prüfung auf Unbedenklichkeit vorab,
begleitende Sicherheitskontrollen -
alles - Fehlanzeige!
Betroffene werden vorab mit Schweigeerklärungen
mundtot gemacht usw usf
Dem setzen die Schiedsgerichte noch die Krone auf!
Das alles ist schlicht mit europäischem Denken
Planen und verantwortlichem Handeln
nicht kompatibel,
No go area. Punkt.