piwik no script img

Tagebuch aus Lützerath (9)Pressefreiheit nur von 8 bis 17 Uhr

Journalistische Arbeit ist laut RWE im Ort Lützerath nur „zeitlich und räumlich begrenzt“ gestattet. Wie sollen Jour­na­lis­t*in­nen so berichten?

„Aber das kann doch nicht sein, dass sie das dürfen?“ Foto: Tenzin Heatherbell

D er Energiekonzern RWE will den Weiler Lützerath abreißen, um seinen Braunkohleabbau auszuweiten. Die Be­set­ze­r:in­nen wehren sich. Die Räumung soll im Januar stattfinden. Unsere Autor*innen, Aron Boks und Annika Reiß, leben mit den Ak­ti­vis­t*in­nen vor Ort. Ein Tagebuch

„Was machst du heute noch?“, fragt mich ein befreundeter Fotograf. Wir stehen auf dem Wall vor dem Tagebau. Ich überlege. Ich will mein Zeug ins Camp im Nachbardorf schaffen, bevor die Räumung beginnt. „Und du musst dir die Presseakkreditierung von der Polizei holen. Presseausweis reicht nicht mehr.“

Ich erfahre, dass RWE einen Leitfaden für die journalistische Arbeit im Ort Lützerath erarbeitet hat. Dort steht, dass journalistische Arbeit hier „zeitlich und räumlich begrenzt“ gestattet ist. Ähm, danke dafür!

„Aber das kann doch nicht sein, dass sie das dürfen?“ Meine Entrüstung formuliere ich mehr als Frage. Das verdeutlicht eine Stimmung, die hier viele Menschen teilen. Sie dürfen X nicht und Y ist auch verboten, oder?

Wär ich nicht immer noch so wütend, hätt ich das Zelt vielleicht aufgebaut gekriegt

Hier wird Kohle abgebaggert, die wir nicht brauchen und Menschen, die sich wehren, werden kriminalisiert. Hier wird vieles gerechtfertigt, das einem menschlichen Verständnis von „richtig“ widerspricht. Da zweifelt man plötzlich an Dingen, derer man sich zu 100 Prozent sicher war. Heute eben: Pressefreiheit.

Die Presse darf das Tagebauvorfeld nicht betreten und man braucht eine Warnweste von der Polizei. Ich koche. Die Polizei und RWEs Security sind 24 Stunden im Einsatz und räumen auch gerne mal vor Tageslichtanbruch Barrikaden und Menschen. Berichten dürfen wir schon, aber bitte nicht da, wo sie passieren und nur von 8 bis 17 Uhr.

Eine Sitzblockade ist heute seit 6 Uhr morgens am Ortseingang. Po­li­zis­t:in­nen und Räumfahrzeuge warten auf ihren Einsatz – auf dem Gelände, was laut Leitfaden von RWE von der Presse nicht betreten werden darf. Und nun?

Als ich im Camp in Keyenberg im Regen versuche, mein Zelt aufzubauen, denke ich: RWEs Leitfaden klingt so, als würden diejenigen, die ihn erstellt haben, denken, es gebe nur die eigenen Regeln. „Wär ich nicht immer noch so wütend, hätt ich das Zelt vielleicht aufgebaut gekriegt“, erzähle ich meinem Kollegen Aron, der noch im Dorf ist, am Telefon und vermeide den traurigen Anblick meines völlig durchnässten Zelt.

Heute die Pressefreiheit, was wird uns morgen genommen? In Lützerath scheint nichts mehr sicher.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Annika Reiß
Redakteurin Klimahub
1998, schreibt, filmt und macht Social Media bei der taz zu Klima, Aktivismus und Lützerath
Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Es gibt auch Gewerbe-Freiheit. Und Bergbau ist ein Gewerbe. In Fabriken darf man auch nicht einfach so ermitteln und berichten.



    Wir sind nun mal eine Demokratie und keine Ökodiktatur: wir haben durch Wahlen beschlossen, die Industrie nicht zurück zu bauen, Umweltschutz ohne Askese und Stromsperren.

    • @Christoph Strebel:

      Die Einschränkungen der Pressefreiheit in Lützerath ist antidemokratisch. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

  • Liebe WahllützeratherInnen!



    Ich wünsche Euch trockene Füße und auch mal ein ruhiges Plätzchen... Ohren steif halten!!!



    Liebe Kommunarden: RWE verstaatlichen?



    Ist doch schon passiert: die Mehrheit gehört Katar.

  • grade wird das noch krasser als ich dachte …

  • Was glaubt RWE, wer sie sind!?



    Verstaatlichen, jetzt!

    • @Orwell1984:

      Nein - vergesellschaften natürlich.

  • Presseakkreditierung bekannt von amerikanischen Kriegsgebieten. Jetzt auch auf den Gelände von RWE. Professionelle Kriegsführung eben. Auch einen professionellen Leitfaden erstellt, um sich der berechtigten inhaltlichen Kritik nicht aussetzen zu müssen. Einfach sein Ding durchziehen. Pressefreiheit, Demokratie, Rechtstaatlichkeit immer nur solange sie einem selbst nützt, mit bester Unterstützung der Grünen Partei.

    Wenn wundern da noch gewalttätige Ausschreitungen zu Silvester, wenn mit den Mitbürgern mit Unterstützung der politischen Bürgervertretern so umgegangen wird.



    Wenn die Zukunft bewusst gegen geltendes Verfassungsrecht zerstört wird, sollte Politikvertrossenheit und Selbstermächtigung der Bürger nicht mehr verwundern.

    Mit den zusätzlichen Milliarden durch den mit den Grünen ausgehandelten Kohleabbau unter Lützi wird RWE dann ab 2030 jegliche Regressforderungen der Bürger wegen der Klimaschäden vor Gericht locker zurückweisen.

    Was bleibt ist nur die traurige Gerechtigkeit, dass es auch die Familien der RWE-Vorstände und aller die dieses kriminelle Vorgehen zu verantworten haben unter den kommenden Katastrophen leiden werden. Da hilft dann auch kein Drittwohnsitz in Florida oder sonst wo auf unserem Planeten.

    Macht Euch unabhängig von dieser Politik und von diesen Konzernen.

  • Lützerath liegt doch gar nicht im Tagebauvorfeld.

  • So bitter wie es ist, RWE macht vom Hausrecht Gebrauch. Darüber hinaus wird der Journalist selbst zum Aktivisten.

  • Laschet durfte mit Unwahrheiten im Hambi räumen lassen. Wurde er zur Verantwortung gezogen? Nein.



    Wenn ein Rechtsstaat Politiker straflos so handeln lässt, wird vielleicht bald alles mit Füßen getreten, was einst demokratischen Rechtsstaat ausmachen sollte.



    Und ihr eigenes Unrecht rechtfertigen die Minister mit dem Rechtsstaat, wenn sie sich wie hier zum Vollzugsgehilfen der RWE machen. Oft wurde berichtet, dass die Securitymitarbeiter übergriffig werden. Schreitet die begleitende Polizei dann ein, wenn keine Pressekontrolle vorhanden ist?



    Selbst Missbrauch des Rechts zur Anwendung von Gewalt von Polizeibeamten wird oft nur zögerlich, wenn überhaupt geahndet. Polizist*innen schauen dich bei Demos an und stellen fest, tja wir haben das Gewaltmonopol. Damit drücken sie aus, dass du als Demonstrant eigentlich hilflos ausgeliefert bist. Und die Rechtsradikalen im öffentlichen Dienstwie auch die wenigen nachgewiesenen gewalttätigen Fehlhandlungen von Polizisten zeigen doch nur die Spitze eines Eisberges. So besteht die Gefahr, dass der demokratische Staat die Kontrolle über seine Exekutive verliert. Das ist wirklich sehr beängstigend. Liebe Grünen: Die Pressefreiheit muss so unbequem sie für Polizisten und Innenminister ist gesichert sein.

  • 》Als ich im Camp in Keyenberg im Regen versuche, mein Zelt aufzubauen, denke ich: RWEs Leitfaden klingt so, als würden diejenigen, die ihn erstellt haben, denken, es gebe nur die eigenen Regeln《

    Ist doch faktisch so, ob Laschet oder Wüst, FDP oder Grüne, die Landesregierung NRW ist willfährig und liefert.

    Unter Unterstützung des Bundes, vor allem des grünen Wirtschaftsministers.

    Die Nicht-RWE Regeln (also die politische Berücksichtigung wirtschaftlicher und ökologischer Realitäten) würden bedeuten, dass der Vorwand der Versorgungssicherheit keine Entscheidungsrelevanz hätte (hängt nicht von drr Kohle unter Lützerath ab) und statt dessen das (vom Bundesverfassungsgericht bestätigte) 1,5⁰ Ziel, der Klimaschutz, Priorität hätte.

    Da gibt es auch eigentlich keine Zielkonflikte, gesellschaftlich gesehen.

    Nur die Wirtschaftsinteressen von RWE - die die Politik an erste Stelle setzt, statt das umzusetzen, was mindestens die Grünen im Wahlkampf als Thema Nr. 1 in den Vordergrund gestellt haben: 'die letzte Regierung, die noch wirksame Maßnahmen gegen den Klimawandel ergreifen kann'. Bevor die Kipppunkte erreicht sind.

    Macht wan sich dann noch klar, dass dies nur über eine Vorbildwirkung erreicht werden kann, also den erbrachten Beweis, dass es geht, nimmt die gegenwärtige Kriegslage hinzu (auch das territorial größte Land der Welt, Russland, muss mitmachen), wird vielleicht deutlicher, was da in Lützerath, an der 1,5⁰-Grenze, auf dem Spiel steht...