Tagebuch aus Lützerath (11): Die Räumung beginnt

Die Polizei steht in Lützerath. Doch außer ihr kann niemand mehr rein, keine Aktivist:innen, keine Presse. Ab jetzt ist nichts mehr, wie es war.

Lützerath: Mindestens ein Dutzend Polizisten, die in schwarzen Einsatzklamotten und mit Helm von links nach rechts über matschigen Boden rennen. Dazwischen ein paar wenige Menschen, die die Szene fotografieren oder filmen, und ein paar herumliegende Kisten. Im Hintergrund: grau-grüne Wände auf denen Graffitis sind.

Hektische Szenen in Lützerath Foto: Tenzin Heatherbell

Der Energiekonzern RWE will den Weiler Lützerath abreißen, um seinen Braunkohleabbau auszuweiten. Die Be­set­ze­r:in­nen wehren sich. Nun hat die Räumung begonnen. Unsere Au­to­r*in­nen Aron Boks und Annika Reiß leben mit den Ak­ti­vis­t*in­nen – Aron vor Ort, Annika in einem Lager nebenan. Ein Tagebuch

Lützerath ist umstellt. Die Polizei ist am Mittwoch tatsächlich ins Dorf eingedrungen, nachdem sie sich tagelang nur am Ortseingang bewegt hatte. Die Räumung hat angefangen. Ich habe keine Sekunde geschlafen.

„Die stürmen wahrscheinlich die Paula“, schreibt mir mein Kollege Aron Boks. Der riesige Hof mit dem wunderschönen in Regenbogenfarben bemalten Eingangstor und so vielen Zimmern, dass ich mich nicht selten verlaufen habe? Heute schon? Ich öffne hektisch den Infoticker. Ich weiß nicht, was ich mir davon erhoffe. Es passiert so viel gleichzeitig, dass ich den Wunsch, den Überblick zu behalten, wohl am besten begrabe.

„Der Polizeieinsatz begann um 7:30 Uhr und gegen 9 war der ganze Boden von Polizei besetzt. Keiner hat gedacht, dass das so schnell passiert“, sagt Aron am Telefon. Er flüstert und redet sehr schnell. Wer weiß, wie lange man noch reden kann. Daher verkneife ich mir zu fragen, wie es ihm geht, auch wenn das in der jetzigen Situation schwer fällt. Er sitzt eingehakt mit Menschen im „Phantasialand“ – ein Barrio mit Holzhütten und Baumhäusern. Menschen kommen aus Lützerath zurück ins Camp, wo auch ich bin, und berichten, von ihren Bezugsgruppen getrennt worden zu sein.

Ich bewege mich an keinem Ort hier mehr ohne Angst

„Die BFE (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit, Anm. d. Red.) lief mit Fäusten und Knüppeln voraus“, erzählt mir Leo. „Sie haben nicht gesagt: ‚Bitte verlassen Sie den Ort‘, sondern: ‚Verpisst euch, sonst gibt es auf die Fresse.‘“

Er studiert Jura und will einen Beitrag leisten, indem er Rechtsauskünfte erteilt, wo es nötig ist. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass am Ende einer Untersuchung dieses Polizeieinsatzes ein anderes Urteil stehen wird als im Hambacher Forst“, sagt er.

Parallel kommen Nachrichten von Freun­d:in­nen und Bekannten bei mir an, die noch auf dem Weg hierher sind. Falls sie auf dem Weg festgenommen werden und ich mich frage, wo sie bleiben. Die Begründung für Festnahmen in solchen Fällen ist immer dieselbe: Gefahrenabwehr. Damit muss man rechnen, aber es heißt für mich, ich bewege mich an keinem Ort hier mehr ohne Angst.

Ich bin nicht direkt am Ort des Geschehens. Mein Herz rast trotzdem. Niemand wird nun mehr in den Ort gelassen. Keine Aktivist:innen, keine Presse. Im Infoticker lese ich, dass die Polizei Jour­na­lis­t:in­nen bei ihrer Arbeit behindert und mit Festnahmen droht. So eine Einschränkung, so ein radikales und gewaltsames Vorgehen der Polizei hab ich noch nie erlebt. Ab jetzt ist nichts mehr, wie es war.

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1998, schreibt, filmt und macht Social Media bei der taz zu Klima, Aktivismus und Lützerath

Eine Person sitzt auf einem Ausguck. Sie trägt eine blaue Hose und hat eine goldene Wärmedecke um die Schultern geschlagen. Außerdem trägt sie eine weiße Maske und eine Mütze. Szenerie aus Lützerath

Wie lebt es sich im besetzten Weiler? Die taz-Autor*innen Aron Boks und Annika Reiß waren für die Kolumne Countdown Lützerath vor Ort. Zwischen Plenum, Lagerfeuer und Polizei

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