TV-Reportage „Der NSU. Eine Spurensuche“: Riskante Spekulation
Die Reportage „Der NSU. Eine Spurensuche“ zeichnet den Weg des Trios zum Terror nach. Sie befeuert auch das Gerücht um einen dritten Mann.
Um 12.05 Uhr fiel der erste Schuss aus dem Wohnmobil auf zwei Polizeibeamte. Wenige Minuten später waren weitere Schüsse aus dem Fahrzeug zu hören.
Am 4. November 2011 endete mit dem Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Eisenach die Mord-, Bomben- und Banküberfallserie des NSU. Wenige Stunden später setzte Beate Zschäpe, die Hauptbeschuldigte im NSU-Verfahren, nach der gescheiterten Flucht ihrer „Uwes“ nach einem Banküberfall die gemeinsame Wohnung in Zwickau in der Frühlingsstraße in Brand.
Eine Reportage des Nachrichtensenders N24 von Nadine Mierdorf wirft bekannte Fragen zu dem zufälligen Auffliegen des über 13-jährigen Untergrundlebens des Trios wieder auf. Am Ende der 45-minütigen „Spurensuche“ zu dem Weg von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe zum bewaffneten Kampf gegen das „System“ und die „Überfremdung“ werden die Ermittlungen des BKA zu der angenommenen Selbsttötung angezweifelt.
„Der NSU. Eine Spurensuche“: N24, Montag 4. November 2013, 20.10 Uhr.
Im Wohnmobil fanden die Ermittler Böhnhardt erschossen auf dem Boden liegend vor und Mundlos tot angelehnt sitzend. Zwischen ihnen loderte ein Feuer. Von den Beweisstücken und der Obduktion ausgehend, nehmen die Ermittler an, dass Mundlos seinem Freund mit einer Pumpgun in die linke Schläfe schoss, das Feuer legte, Flüssiggasflaschen öffnete und sich schließlich selbst mit der in den Mund gesteckten Waffe richtete. Zwei Patronenhülsen fanden die Ermittler neben ihm.
Mord oder Selbstmord
In der Reportage kommt der Waffenexperte Siegmund Mittag zu einem anderem Schluss. Er zweifelt den Selbstmord an. Die Funktionsweise der Winchester, die er vorführt, spräche gegen diese Theorie. „Geht nicht“, sagt Mittag und zeigt, dass Mundlos nach dem ersten Schuss auf sich selbst nicht mehr das Gewehr hätte bedienen können. Die zweite Patrone hätte nicht auf dem Boden liegen, sondern in der Waffe stecken müssen. Die Ermittler sagen, dass Mundlos in einem krampfartigen Anfall noch gehandelt hätte.
Die Reporterin folgt aber Mittags Theorie und fragt: „Sind Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt also erschossen worden?“ Dafür spricht, dass die Ermittler in dem Wohnmobil eine dritte DNS-Spur entdeckten, die nicht von Zschäpe stammt. Schon an den ersten Tagen nach dem Auffliegen des NSU hatten Nachbarn gesagt, einen dritten Mann gesehen zu haben, der aus dem Wagen geklettert sei.
In der Reportage befeuert Mierdorf diese Annahme: „Hartnäckig hält sich zudem das Gerücht, dass ein Verfassungsschützer die dritte Person gewesen seien könnte.“ Sie konfrontiert den sächsischen Präsidenten des Verfassungsschutzes, Gordian Meyer-Plath, mit dieser Annahme. Der beruft sich jedoch auf den Bundestagsuntersuchungsausschuss. Dort sei deutlich geworden, dass es keine „Kumpaneien“ zwischen VS und NSU gegeben hätte.
Politisiert und radikalisiert
Im Film sind es nur wenige Minuten. Doch diese Spekulation ist brisant. Darüber hinaus kommen auch politische Mitstreiter, verschiedene Rechtsextremismusexperten und Nachbarn, die wenig über das Trio, aber viel über „die Ausländer“ wissen, zu Wort. Auch die Experten von „NSU-Watch“ legen dar, wie sich das Trio politisierte und radikalisierte.
Netzwerke werden benannt. Gordian Meyer-Plath räumt ein, „man hat ganz eindeutig“ die Szene unterschätzt. Man? Die vorsichtigen Aussagen der Experten offenbaren, die Sicherheitsbehörden haben die Gewaltbereitschaft bis zu Terrorismus nicht wahrnehmen wollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Wissenschaftlerin über Ossis und Wessis
„Im Osten gibt es falsche Erwartungen an die Demokratie“