NSU-Prozess in München: Der Anwalt geht zu weit
Der Verteidiger von Ralf Wohlleben trennt bei übler Nachrede zwischen deutschen und türkischen Mitbürgern. Nun darf er das nicht mehr fragen.
MÜNCHEN taz | Erst ein Gerichtsbeschluss beendete im NSU-Verfahren vor dem Oberlandesgericht München ein einschlägiges Nachfassen. Am Dienstag schilderten die Tochter und die Ehefrau des mutmaßlichen Dortmunder NSU-Opfers Mehmet Kubasik, wie Gerüchte über vermeintliche kriminelle Machenschaften ihrer Familie ihr Leben nachhaltig belasteten. Der Anwalt des Beschuldigten Ralf Wohlleben, Olaf Klemke, wollte es gerne genauer wissen – ob ihnen denn deutsche oder ausländische Nachbarn übel nachredeten? „Deutsche und Ausländer“, konterte die Tochter des Mordopfers, Gamze Kubasik.
Die heute 28-Jährige berichtete am Prozesstag am Dienstag über die Geschehnisse am 4. April 2006. Nach der Schule sei sie zum Kiosk ihres Vaters gegangen, um im Laden auszuhelfen. Zu dem Zeitpunkt lebte ihr Vater allerdings schon nicht mehr. Mit Kopfschüssen sollen die mutmaßlichen NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ihn gegen 12.30 Uhr erschossen haben.
Auf Nachfragen ihres Rechtsbeistands Sebastian Scharmer schilderte die Tochter des Mordopfers ein kontinuierliches „Nachfassen“ der Polizei bei Familie und Nachbarn wegen angeblichen Drogenhandels sowie Durchsuchungen mit Drogenhunden. In der Nachbarschaft habe man angefangen zu tuscheln. Ihr Bruder habe in der Schule unter Sticheleien von Mitschülern leiden müssen. Ob diese Mitschüler türkischer oder deutscher Herkunft seien, warf Klemke erneut die Nationalitätenfrage auf.
Nicht nur der Rechtsbeistand von Gamze Kubasik wollte um die Relevanz dieser Fragen wissen. Auch der Vorsitzende Richter Manfred Götzl betonte, dass es irrelevant sei, welche Nationalität die Gerüchtestreuer hätten. Für Klemke nicht, er wollte einen Beschluss. Mit Folgen: Nachdem auch die Ehefrau Kubasiks aussagte, dass sie sich wegen der Gerüchte fast ein Jahr nicht aus dem Haus gewagt hätte, untersagte Götzl ein weiteres Nachfassen Klemkes in der Nationalitätenfrage.
Frau und Tochter des Mordopfers sagten vor Gericht, sie hätten die Ermittler auf ihre Vermutung hingewiesen, dass sieben Morde an türkischen Mitbürgern auf Täter aus der rechtsextremen Szene hinweisen könnten. „Das kann man ausschließen“, hätten die Beamten lapidar gesagt. Eine weitere Zeugin sagte indes am Dienstag erneut aus, was sie bereits der Polizei mitgeteilt hatte: Am 4. April habe sie vor Kubasiks Kiosk zwei deutsche Männer gesehen, die wie „Junkies oder Nazis“ aussahen.
Leser*innenkommentare
Mig Rant
Gast
Ich finde es erstaunlich, dass ein Gericht, das bereits seine Inkompetenz bei der Vergabe der Journalistenplätz bewiesen hat, nicht Willens oder in der Lage ist, sein Verfahren frei von Nazi-Agitation zu halten.
Aber es ist ja in Deutschland, wo Gerichte unfehlbar sind und Deutsche ja ihre Probleme nicht mit Gewalt lösen, sondern nur die Ausländer, gell.
Kurdistan
Gast
Die Dame heißt nicht Gamze Kubasik, sondern Gamze Kubaşık.
Sehr interessant finde ich, dass bei französischen oder italienischen Nachnamen auf die korrekte Schreibweise geachtet wird, aber bei manch anderen Sprachen darauf überhaupt kein Wert gelegt wird!
fritz
Das ganze Thema der Fehler der deutschen Strafverfolgung ist in diesem Prozess irrelevant. Mit der Frage der Schuld des Taeters, um die es allein geht, hat es naemlich nichts zu tun. Sonst waere der Prozess nur Theater. Klemke hat uebrigens auch in seiner Heimatstadt feedback bekommen. Ich haette es nicht gemacht, ich finde es aber auch nicht so schlimm.
eleida
Gast
@fritz Sie haben schon Recht, "Das ganze Thema der Fehler der deutschen Strafverfolgung ist in diesem Prozess irrelevant." Man sollte allerdings nicht vergessen, dass das weder für die Berichterstattung noch für die öffentliche Diskussion des Falles z.B. in diesem Forum gilt. Insofern darf und muss Berichterstattung zum Prozess andere Dinge ansprechen, auch beobachten und daraus Schlüsse ziehen - als etwa der Richtiger oder die Anwälte.
karpathos
Gast
@fritz inwiefern hat Klemke aus seiner Heimatstadt feedback erhalten?
Attila Nagy
Sie haben natürlich recht, dass es eigentlich nur um die Schuld der Angeklagten gehen sollte.
Leider ist
es aber so, dass der Prozess die einzige "Bühne" ist, auf der das Versagen des deutschen (Rechts-)Staats nocheinmal thematisiert werden kann. Insbesondere, da durch das Handeln der Behörden offensichtlich den Hinterbliebenen tatsächlich weiterer seelischer Schaden zugefügt wurde. Da sollte eigentlich auch mal was passieren, bzw. wer zu Rechenschaft gezogen werden. Der UA hat ja lediglich grobe Mängel oder so festgestellt.