TV-Debatte im US-Wahlkampf: Klarer Sieg, wenig Substanz
Beim TV-Duell lockte Vizepräsidentin Harris Ex-Präsident Trump in jede mögliche Falle und gewann performativ. Wie sie regieren will, sagte sie nicht.
K ein Zweifel: Kamala Harris hat die erste TV-Debatte gegen Donald Trump klar gewonnen. Sie brauchte das Wort „weird“ gar nicht auszusprechen, um Trump genau so aussehen zu lassen. Entgegen der Ratschläge seiner Berater*innen sprang der Ex-Präsident über jedes Stöckchen, das Harris ihm hinhielt – bis hin zu der vollkommen irren Behauptung, in Springfield, Ohio, würden Migrant*innen die Haustiere der Einheimischen aufessen.
Harris' Strategie ging in jeder Beziehung auf. Trump lief in jede Falle, die sie ihm stellte. Die Vorstellung, welch leichtes Spiel die Wladimir Putins und Xi Jinpings dieser Welt mit einem so konditionierten US-Präsidenten hätten, sollte die US-Amerikaner*innen erschaudern lassen.
Ob das aber irgendetwas an der Dynamik der letzten Wochen des US-Wahlkampfes ändern wird, darf bezweifelt werden. Die erste TV-Debatte Ende Juni zwischen Joe Biden und Trump hatte einen nie gesehenen politischen Donnerknall zur Folge: Der amtierende Präsident stieg aus dem Rennen aus. Diese Debatte hier wäre ein Knockout für jeden normalen Politiker, aber nicht für Donald Trump, dessen Anhänger*innen solches Auftreten gewohnt sind, seit er das erste Mal für die Präsidentschaft kandidierte.
Zu vieles blieb vage
Umgekehrt aber hat Kamala Harris zwar jeglichen Zweifel daran zerstreuen können, dass sie, anders als Biden, tatsächlich einen Wahlkampf gegen Trump bestehen kann. Wer aber darauf hoffte, sie würde nunmehr mit einem leidlich kohärenten Programm aufwarten, sieht sich nach wie vor enttäuscht.
Zwar brachte sie mehrfach ihr Schlagwort von der „opportunity economy“ unter, einer Wirtschaft also, die allen eine Chance gibt. Aber außer der Idee, jungen Familien einen Steuernachlass von 6.000 Dollar zu gewähren und Start-ups eine Abschreibungsmöglichkeit von 50.000 Dollar, kam da nichts. Das könnte zu wenig sein, um jener Mehrheit von US-Amerikaner*innen Vertrauen einzuflößen, die sich wirtschaftliche Veränderungen wünschen.
Ähnlich beim zweiten Großthema Migration: Zu Recht konfrontierte sie Trump damit, jene überparteiliche Gesetzesinitiative im Kongress erstickt zu haben, die schon vor vielen Monaten zusätzliche Kräfte an die Südgrenze gebracht und die Lage entschärft hätte. Wie sie aber selbst das Thema angehen will, bleibt auch nach der Debatte unklar.
Abtreibung sollte wieder zentraleres Thema werden
Einzig beim Thema Abtreibung war sie nicht nur persönlich leidenschaftlich, sondern auch inhaltlich klar: Alle Schutzmechanismen, die ein halbes Jahrhundert lang bestanden, sollen wieder her. Das ist ein wichtiger Pluspunkt, und wenn ihre Kampagne es schafft, das Thema wieder mehr ins Zentrum zu holen, kann das wirklich helfen.
Als Person hat Harris klargemacht, dass sie nicht Joe Biden ist, dass sie eine andere Ansprache pflegt, eine andere Energie ausstrahlt. Ihre Kritik an Trump war scharf, pointiert, bisweilen beißend und entwaffnend. Anders als Biden Ende Juni verwandelte sie die ganzen Steilvorlagen, die Trump ihr bot. Das gibt eine glatte 1 in der B-Note.
Politisch aber – übrigens auch außen- und verteidigungspolitisch – hat sie bestenfalls eine Regierung Biden 2.0 angekündigt. Angesichts von Umfragen, in denen sich über 60 Prozent der Befragten mit der politischen Ausrichtung des Landes unzufrieden erklären, könnte das ein bisschen wenig sein.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
Wahlkampf in Deutschland
Rotzlöffeldichte auf Rekordniveau
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA entwerfen UN-Resolution zum Krieg in der Ukraine ohne jede Kritik an Russland
+++ Die USA unter Trump +++
Trump entlässt den Generalstabschef der US-Streitkräfte