Syrische Geflüchtete in Deutschland: Asylrecht und Ordnungsrufe
Die Bundesregierung will vorerst nicht nach Syrien abschieben und mahnt zur Besonnenheit in der Debatte um Abschiebungen.
Wegen der unübersichtlichen Situation will das Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge (Bamf) die Entscheidung über Asylanträge syrischer Staatsbürger*innen vorerst aussetzen. Die ungewisse Lage hinderte Unionspolitiker*innen jedoch nicht daran, über Rückkehrmöglichkeiten zu spekulieren. CSU-Chef Markus Söder sagte am Montag, man müsse jetzt eruieren, wann und wie Flüchtlinge zurückkehren könnten. Jens Spahn, Vizechef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, forderte Anreize für die Rückkehr: „Wie wäre es, wenn die Bundesregierung sagt: Jeder, der zurück will nach Syrien, für den chartern wir Maschinen, der bekommt ein Startgeld von 1.000 Euro.“
In Damaskus soll der Chef der bisher in der Rebellenhochburg Idlib amtierenden Regierung der HTS-Rebellen „Syria Salvation Government“ (SSG) eine Übergangsregierung bilden. SSG-Premierminister Mohammed al-Bashir führte am Montag in der Hauptstadt Gespräche mit dem letzten Premierminister des gestürzten Diktators Assad, Mohammed al-Jalali, über eine Übergabe der Ministerien. (taz)
In Nordsyrien hat die protürkische „Syrische Nationalarmee“ (SNA) nach türkischen TV-Berichten die Gebiete westlich des Euphrats von kurdischen YPG-Milizen „gesäubert“. TV-Bilder vom Montagmittag zeigen SNA-Milizen in der frisch eroberten Stadt Manbidsch. Der türkische Außenminister Hakan Fidan erklärte in einer Rede vor diplomatischem Personal, die Türkei unterstütze den Übergang in Syrien zu einer neuen zivilen Regierung mit allen Kräften, aber „Terroristen der PKK und der YPG“ dürften im neuen Syrien keine Rolle spielen. Bericht auf taz.de
Bundesinnenministerin Nancy Faeser nannte diese Spekulationen unseriös. Es sei richtig, dass das Bamf in der unübersichtlichen Lage einen Entscheidungsstopp für die laufenden Asylverfahren verhängt habe. Ungefähr 47.000 Anträge werden damit zunächst nicht weiterbearbeitet. Amnesty International kritisierte die Maßnahme: „Schutzsuchende dürfen nicht mit Unsicherheit und Perspektivlosigkeit alleingelassen werden“
Der Linken-Vorsitzende Jan van Aken kritisierte die Diskussion über Rückkehrmaßnahmen mit deutlichen Worten: „Alle, die jetzt anfangen, über Abschiebungen nach Syrien zu reden, sind einfach nur verkommene Drecksäcke.“ Ebenso äußerten Teile der Grünen scharfe Kritik an den Forderungen aus der Union: „Damit wird der gesellschaftliche Zusammenhalt zerstört und die Menschen werden in Unsicherheit gedrängt“, sagt etwa der Bundestagsabgeordnete Julian Pahlke.
Die Situation in Syrien ist unübersichtlich
Allerdings ist der Umgang mit dem Thema in der Partei nicht ganz einheitlich. Grünen-Chefin Franziska Brantner formulierte vorsichtiger: „Die Situation ist unübersichtlich und man beobachtet jetzt entsprechend, um über die nächsten Schritte zu entscheiden“, sagte sie, versehen mit dem „Hinweis an den Kollegen Spahn, dass es noch Kampfhandlungen im Land gibt“. Offensichtlich ein Versuch, eine harte Auseinandersetzung zum Thema zu umgehen und die Migrationspolitik nicht zum dominierenden Wahlkampfthema zu machen. Schon vor dem Parteitag im November war innerhalb der Grünen umstritten, ob man Abschiebungen nach Syrien explizit ablehnen soll. Als Kompromiss stand am Ende die Formulierung, dass sich „Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete verbieten“ würden.
Nach Auskunft des Innenministerierums leben knapp eine Million Syrerinnen und Syrer in Deutschland (974.136), die Mehrzahl davon genießt einen Schutzstatus als Flüchtling. Rund 10.000 von ihnen sind ausreisepflichtig, wobei 8.960 davon über eine Duldung verfügen. Unmittelbar ausreisepflichtig sind 1.000 Personen, also 0,1 Prozent aller hier lebenden Syrerinnen und Syrer.
Die Bundesregierung erwägt auch, ob und wie der gesellschaftliche Neuanfang Syriens mit Mitteln des Entwicklungsministeriums unterstützt werden kann. Das hänge davon ab, ob die neuen Herrscher zu ihren Zusagen stehen, dass alle Syrer*innen in Frieden und Freiheit und unter Wahrung ihrer Rechte in Syrien leben können.
Ausreisepflichtig sind 1.000 Syrer:innen
Seit der gewaltsamen Niederschlagung friedlicher Proteste im Jahr 2011 durch die Regierung Assad ist die bilaterale Zusammenarbeit mit Syrien ausgesetzt. Dennoch habe Deutschland die syrische Bevölkerung in allen Landesteilen weiter unterstützt, heißt es aus dem Entwicklungsministerium auf Anfrage der taz. „Diese Unterstützung erfolgte ohne Zusammenarbeit mit der Assad-Regierung oder anderen De-facto-Autoritäten“ über Nichtregierungsorganisationen wie Save the Children oder UN-Hilfswerke.
Allein in diesem Jahr stellt das BMZ demnach rund 124 Millionen Euro bereit. Geld, das nach Auskunft des Ministeriums etwa in die Wiederherstellung von Trinkwassernetzen in Aleppo fließt oder zur Reparatur und Ausstattung von Schulen. In Idlib unterstützt das BMZ den Betrieb von Krankenhäusern und Rettungsinfrastruktur.
Insgesamt sind seit Beginn des Bürgerkrieges rund 10 Milliarden Euro in die Region geflossen, ein Großteil auch zur Versorgung der Geflüchteten im Inland und in den Nachbarländern.
Die Hälfte der syrischen Bevölkerung ist laut UN-Angaben auf der Flucht, allein die Türkei hat rund 3 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen. Auch im Libanon und in Jordanien haben viele Syrer*innen Zuflucht gefunden.
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