Symposium zur documenta15: Notwendiger Nachklapp zur documenta
Die Kontroverse um die documenta15 stand im Fokus eines Symposiums in Hamburg. Ob die BDS-Bewegung als antisemitisch gilt, wurde ebenfalls diskutiert.
In der Deutlichkeit hat man es bislang noch nicht gehört. Die Darstellungen auf dem zu Beginn der documenta gezeigten und wieder abgehängten Banner „People’s Justice“ seien antisemitisch, sagt Iswanto Hartono, Mitglied des documenta-fifteen-Kuratorenkollektivs ruangrupa und Gastprofessor an der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK), als sei nie anderes behauptet worden. Die Aussage wird von Gemurmel in der übervollen Aula der HFBK begleitet, in der am 1. und 2. Februar ein Symposium zur documenta-Kontroverse abgehalten wurde.
„documenta fifteen aus indonesischer Perspektive“ ist das Panel überschrieben und es ist das einzige, das wirklich hitzig geführt wird. Wutausbrüche im Publikum häufen sich zum Ende der Diskussion, was auch an Hestu A. Nugroho liegt, der als Mitglied des für das Banner verantwortlichen Kollektivs Taring Padi anwesend ist und auf Fragen zur antisemitischen Bildsprache – Juden mit SS-Runen-verzierten Hüten, Schweine mit Davidstern – äußerst dürftig antwortet.
Trotzdem hat die Zeit, die seit der im September beendeten Kasseler Großausstellung vergangen ist, der Debatte gutgetan. Reza Afisina, ebenfalls ruangrupa-Mitglied und Gastprofessor in Hamburg, räumt ein, dass die Methoden des Kollektivs, horizontal, auf Vertrauensbasis zu arbeiten, fehleranfällig seien, und gibt Einblicke in das repressive Staatswesen Indonesiens.
Woher Antisemitismus in einem Land rührt, in dem schätzungsweise bloß 300 Jüd:innen leben, das kann auch er nicht beantworten. Er wisse nicht, warum das muslimische Indonesien keine Beziehungen zu Israel unterhalte. Hartono ist sich sicher, die antisemitische Bildsprache sei Überbleibsel des Kolonialismus, ins Land gebracht durch niederländische Kolonisatoren.
Die Brücke zum Postkolonialismus
Damit ist die Brücke geschlagen zum Postkolonialismus. Wie sich Rassismus, Holocaust und Kolonialismus zueinander verhalten und ob die Schoah wirklich singulär war, sind Fragen, die den sogenannten Historikerstreit 2.0 entfachten. Auf dem Symposium wählt man jedoch einen versöhnlicheren Ansatz, auch, weil überzeugte Postkolonialist:innen gar nicht auf dem Podium sitzen. Von Kontinuität spricht der Historiker Jürgen Zimmerer lediglich im Kontext eines deutschen Antisemitismus, der schon vor der NS-Zeit gesellschaftlich fest verankert war.
Doch die „Erfolge der deutschen Erinnerungskultur schlagen auf uns zurück“, sagt Miriam Rürup, Direktorin des Moses Mendelssohn Zentrums. Rituale seien hohl geworden. SS-Runen stünden heute so universal für das Böse, dass sie inhaltslos in anderen Kontexten verwendet würden.
Was für Deutsche bildsprachlich eindeutig ist, sei anderswo ganz anders besetzt, sagt auch der Historiker Michael Wildt und beschreibt das Unbehagen, das er beim Anblick von Swastika, nach links gedrehten Hakenkreuzen, beim Besuch eines buddhistischen Tempels in Japan empfand. Die Künstlerin Michaela Melián sagt, es gehe immer um Perspektiven, dabei aus Hannah Arendts „Eichmann in Jerusalem“ zitierend: Es kommt nicht darauf an, was man tut, sondern wofür man es tut.
Hannah Arendts engen Freund und Kollegen Karl Jaspers wiederum zieht der Soziologe Natan Sznaider heran. Juden müssen als Juden in Europa leben können und sollten nicht gezwungen sein, Deutsche oder Franzosen zu bleiben, paraphrasiert er. In seinem Eröffnungsvortrag stellt er den historischen Konflikt der jüdischen Identität in den Mittelpunkt, den er auch in seinem jüngsten Buch „Fluchtpunkte der Erinnerung“ ausführt: Jüd:innen galten stets als zu partikular, um universell, in ihrem Jüdischsein jedoch wiederum als zu universell, um partikulare Bürger:innen zu sein.
„Israelkritik“ oder Antisemitismus?
Als der Schriftsteller Jean Améry 1969 vom „ehrbaren Antisemitismus“ sprach, beschrieb er einen neuen, sich als Anti-Israelismus gerierenden Antisemitismus in der Linken. Über das Verhältnis von Israelkritik und Antisemitismus wird 50 Jahre später immer noch gestritten, steht es doch im Zentrum der BDS-Debatte, die während der documenta vielfach aufkam; nicht zuletzt, weil viele der teilnehmenden Künstler:innen einen Brief unterzeichneten, in dem es hieß, Widerstand gegen den Staat Israel sei Widerstand gegen den Siedlerkolonialismus, der „Apartheid, ethnische Säuberung und Besetzung als Formen der Unterdrückung“ einsetze.
Die BDS-Bewegung, die Israel mit Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen zur Aufgabe seiner Palästina-Politik drängen will, forderte bei ihrer Gründung 2005, „die Besatzung und Kolonisierung allen arabischen Landes zu beenden“ – bewusst verschweigend, ob damit alles seit dem 19. Jahrhundert von Zionist:innen in Besitz genommene Land oder lediglich die Westbank gemeint ist.
Während Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, auf dem Symposium Verständnis für den Hass der Palästinenser:innen äußert, gibt der Philosoph Oliver Marchart zu bedenken, dass ein Erfolg der BDS-Kampagne ein Ende des Staates Israel zur Folge hätte. Das Ausmaß des Hasses, der Israel treffe, sei mit nichts vergleichbar.
Als antisemitisch bewertet der Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici die Bewegung, weil sie insbesondere auf die israelische Zivilbevölkerung abziele und auch Kritiker:innen des Staates miteinbeziehe. Sie stelle sich so in eine Traditionslinie, die „das Jüdischsein an sich trifft“. Natan Sznaider wiederum sieht das gelassen. BDS sei eine Bewegung der Verzweiflung, die zwar „etwas Einfluss“ in der Kulturwelt habe, dieser sei aber nicht überzubewerten.
Weitreichender Boykott
Dass man diese Position als seit Kurzem emeritierter Professor vertreten könne, als junger Künstler von internationalem Boykott aber hart getroffen werde, merkt Nora Sternfeld an. Das stimmt wohl, denn selbst wenn Veranstalter keine BDS-Linie verfolgen, werden israelische Künstler:innen politisiert. So wurde wiederholt etwa das Festival Pop-Kultur Berlin zum Ziel der BDS-Kampagne erklärt, da es mit Israel kooperiert.
Obwohl Sternfeld das Fehlen jüdischer Künstler:innen auf der documenta verurteilt, kann sie sich trotzdem für die Art, wie in Kassel Kunst gezeigt und gelebt wurde, begeistern. Man habe auf der documenta nicht „Kunst über etwas“ gesehen, sondern Kunst, „die selbst etwas macht“, sagt die Kuratorin und Kunstpädogik-Professorin.
Es ist viel von verpassten Chancen die Rede auf diesem Symposium. Für Sternfeld besteht sie darin, dass der Kampf gegen Antisemitismus nicht Teil der emanzipatorischen Kämpfe wurde, die auf der documenta abgebildet wurden. Dafür habe schlichtweg die Sensibilität gefehlt.
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