Sudan-Experte zu Deutschlands Rolle: „Mit Waffen vollgepumpt“
Roman Deckert erklärt, dass Deutschland vor Jahren maßgeblich Sudans Unterdrückungsapparat mit aufgebaut hat. Aber das ist nicht seine einzige Kritik.
taz: Herr Deckert, was im Sudan geschieht, ist das ein Bürgerkrieg?
Roman Deckert: Ich warne vor dem Begriff. Er impliziert Chaos, alle gegen alle, und verstellt den Blick darauf, dass die Zivilbevölkerung beide Parteien weitgehend ablehnt. Die Menschen sind in den letzten Jahren für Gewaltfreiheit eingetreten und praktizieren auch aktuell bewundernswerte Solidarität. In erster Linie handelt es sich um einen Konflikt zwischen zwei machthungrigen Generälen, Burhan mit der regulären Armee und Hametti mit seinen Rapid Support Forces (RSF).
Wenn der Zusammenhalt so groß ist, was bewegt dann Zehntausende Kämpfer loyal gegenüber der einen oder anderen Seite zu sein?
Sowohl die Armee als auch die RSF sind Arbeitgeber. Fachleute schätzen, dass sie zusammen rund die Hälfte der Volkswirtschaft kontrollieren. Vor allem für die Menschen in den marginalisierten Peripherien ermöglichen die Milizen – RSF oder andere – sozialen Aufstieg. Selbst für Omar al-Bashir, den 2019 gestürzten Präsidenten, war die Armee die einzige Chance aufzusteigen. Er kam aus sehr einfachen Verhältnissen im Vergleich zur urbanen Elite, die noch von der Kolonialmacht Großbritannien eingesetzt wurde. Aktuell sehen wir Familien, in denen der eine Bruder für die RSF kämpft, der andere für die Armee.
er ist unabhängiger Analyst und arbeitet seit 1997 zum Sudan. Aktuell lebt Deckert in Genf.
Der Konflikt verläuft also nicht entlang ethnischer oder weltanschaulicher Linien?
Konflikte werden auch in Qualitätsmedien oft auf ethnische Gewalt verkürzt, was suggeriert, dass Ethnizität die Ursache eines Konflikts ist. Deshalb bin ich da sehr vorsichtig. Aber es gibt im Sudan eine ethnische Komponente. Die RSF rekrutierten sich hauptsächlich aus dem Westsudan. Viele Sudanesen im Zentrum sagen, dies seien Ausländer, da viele RSF-Kämpfer aus dem Tschad kommen. Die Armee wird von manchen daher als Akteur betrachtet, der sie vor Eindringlingen aus dem Ausland beziehungsweise der Peripherie schützt.
Welche Rolle spielt aktuell die sudanesische Protestbewegung, die 2019 mit Massenprotesten die Absetzung Bashirs herbeiführte?
Gespräche zu Sudan Bundeskanzler Olaf Scholz bricht am Donnerstag zu einer mehrtägigen Reise nach Äthiopien und Kenia auf. In Äthiopien stehen Gespräche mit der Afrikanischen Union (AU) an, die maßgeblich an der Konfliktlösung in Sudan beteiligt ist.
Waffenruhe zugesagt In Sudan sollen von 4. bis 11. Mai die Waffen schweigen. Armeechef Burhan und RSF-Milizenchef Hametti hätten beide „grundsätzlich“ eine siebentägige Waffenruhe und die Benennung von Delegierten für Verhandlungen zugesagt, erklärte die Regierung Südsudans am Dienstagabend. Am Mittwoch dauerten die Kämpfe in der Hauptstadt Khartum an.
Mali-Mission wird verlängert Die Bundesregierung hat am Mittwoch eine Verlängerung des UN-Einsatzes der Bundeswehr in Mali bis 31. Mai 2024 beschlossen. Deutschland will sein Engagement in der Sahelzone nun neu ausrichten. Die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich wird auf Niger, Mauretanien und Westafrikas Küstenstaaten konzentriert, erklärten gemeinsam die Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungsminister.
Eine bewundernswerte! Sie hat Hilfsnetzwerke aufgebaut, plant Fluchtrouten, schleust Leute aus umkämpften Stadtteilen heraus und beschafft Lebensmittel und Medikamente. Die Leute öffnen ihre Häuser für Flüchtende. Die Bewegung hat auch dafür gesorgt, dass Ausländer aus Khartum evakuiert werden konnten. Die dezentralen Nachbarschaftskomitees, Teil der Protestbewegung von 2019, werden jetzt von westlichen Diplomaten viel gelobt. Aber genau diese basisdemokratischen Akteure wurden zuvor ignoriert. Entsprechend sind in der Zivilbevölkerung die Klagen groß, was die internationale Gemeinschaft angeht. Der UN-Sudanbeauftragte Volker Perthes, der jetzt vor dem Scherbenhaufen seiner eigenen Initiativen steht, ist zu einer Hassfigur geworden.
Was ist die Kritik am UN-Beauftragten Volker Perthes?
Ihm und anderen Akteuren wird vorgeworfen, dass sie zu lange auf die beiden Militärs Burhan und Hametti gesetzt und sie damit legitimiert haben. Dass man nach dem Sturz Baschirs auf die beiden als Hauptakteure gesetzt hat, war von Anfang an schwierig, besonders aber nach dem Staatsstreich gegen die zumindest nominell zivil geführte Regierung 2021.
Was wäre die Alternative gewesen?
Die Forderung der Nachbarschaftskomitees war, dass sich Armee und RSF komplett heraushalten. Das war allerdings eine Maximalforderung, die so nicht realistisch war. Die Kritik richtet sich aber auch deshalb an die westliche Welt, weil die entscheidenden Akteure die US-Verbündeten Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate waren. Die haben Hametti all die Jahre aufgerüstet. Hametti hat im Gegenzug Fußtruppen rekrutiert und nach Jemen geschickt. Seine andere Einnahmequelle ist Gold, das hauptsächlich über Dubai vermarktet wird. Viele sudanesische Analysten klagen, dass die USA ihre Sudanpolitik an Saudi-Arabien und die Emirate outgesourct hat.
Und die Europäer?
Das europäische und speziell das deutsche Interesse besteht in erster Linie darin, dass keine weiteren Flüchtlinge kommen. Der Sudan ist Hauptdurchgangsland für Flüchtlinge aus Äthiopien und Eritrea, weshalb man auf Stabilität setzt. Aber wenn das heißt, auf autoritäre Systeme zu setzen, dann ist dies nur eine vermeintliche Stabilität. Genau das fällt einem jetzt auf die Füße. Hunderttausende Flüchtlinge versuchen jetzt, aus dem Sudan herauszukommen. Das ist die bittere Ironie der Geschichte.
Stichwort Geschichte: Sie haben auf Twitter auch die historische Rolle Deutschlands kritisiert...
Der sogenannte Kalte Krieg war am Horn von Afrika ein heißer Stellvertreterkrieg zwischen der westlichen Welt und dem Ostblock. Der Sudan rief zum 1. Januar 1956 seine Unabhängigkeit aus, zur gleichen Zeit erklärte die Adenauer-Regierung die Hallstein-Doktrin, um eine Anerkennung der DDR im globalen Süden zu verhindern. Dafür hat die Adenauer-Regierung den Sudan zu einem Bollwerk gegen östliche Einflüsse aufgebaut.
Inwiefern?
Man hat den Sudan mit Waffen vollgepumpt, vor allem mit Gewehren von Heckler & Koch, aber auch mit anderen Waffengattungen, Munition und Fahrzeugen. Ironischerweise wurde auch die Luftwaffenbasis in Wadi Seidna, von wo aus die Bundeswehr jetzt evakuiert hat, von der Bundeswehr aufgebaut. Außerdem hat man Personal im Geheimdienst- und Militärbereich ausgebildet. Sudans gesamter Unterdrückungsapparat wurde maßgeblich von Deutschland mit aufgebaut. Am nachhaltigsten war der Bau einer Munitionsfabrik nahe Khartum durch eine bundeseigene Firma, Fritz Werner. Die Fabrik war der Kern eines staatseigenen Verteidigungsunternehmens, mit dem sich der Sudan nach Ende der deutschen Hilfe Anfang der 90er seine eigene Militärindustrie aufbaute. Die Militarisierung der politischen Ökonomie im Sudan ist erst möglich geworden durch drei Jahrzehnte direkter Waffenhilfe aus Deutschland und später dann indirekt über Saudi-Arabien.
Welche Ziele verfolgte Berlin dann später?
Aufgrund ihrer historischen Rolle hat die BRD eine besondere Stellung beim Regime in Khartum genossen. Bis in die 2010er Jahre galt die deutsche Diplomatie als die khartumfreundlichste. Man muss dabei anerkennen, dass das Ziel eine sogenannte weiche Landung Sudans war, ein Übergang von einem Militärregime zu einer zivilen Führung. Wenn man eine Transformation beeinflussen will, steckt man immer in dem Dilemma, dass man sich mit Typen einlassen muss, die massenhaft Blut an den Händen kleben haben. Auch Volker Perthes hat früher die Strategie der weichen Landung vertreten. Denn die Isolierung durch die USA in den 90er Jahren, die Einordnung als Schurkenstaat, die US-Sanktionen und die Dämonisierung Bashirs hatten nicht zu einer Demokratisierung geführt. Der Versuch, den Sudan in die internationale Gemeinschaft zurückzuholen, ist also nicht nur kritisch zu sehen, wenngleich natürlich das Interesse maßgeblich war, Flüchtlingsströme zu unterbinden, und die Strategie einen Deal mit dem Teufel beinhaltete. Dieser letzte Punkt wird von den revolutionären Nachbarschaftskomitees hervorgehoben.
Wie sah dieser Deal aus?
Die Hauptkritik ist, dass die Überwachung der Grenze gestärkt werden sollte und der Grenzschutz vor allem aus den RSF-Milizen bestand.
Es heißt, die EU habe den Aufbau des Grenzschutzes mit finanziert.
Das ist der Vorwurf. Inwieweit es substanzielle Unterstützung für Hametti gab, weiß ich nicht. Das Problem ist, dass man Hametti damit legitimiert und nicht genug Einfluss auf die eigenen Verbündeten ausgeübt hat. Denn Saudi-Arabien und die Emirate haben Hametti tatsächlich mit substanzieller Waffenhilfe aufgebaut.
Wie geht es weiter? Sehen Sie Wege raus aus der Eskalation?
Es gibt Anzeichen, dass die jeweiligen Verbündeten nicht weiter Öl ins Feuer gießen. Von internationaler Seite muss das unterstützt werden, um Waffennachschub und Finanzströme an die Kriegsparteien zu unterbinden. Ich knüpfe meine Hoffnung außerdem an die Ablehnung von Gewalt durch die Bevölkerung. Die Frauen und Männer der basisdemokratischen Nachbarschaftskomitees sind die Zukunft. Die Bevölkerung hat sich schon dreimal gegen Militärregime erhoben: 1964, 1985 und 2019. Es gibt eine stolze Tradition und eine Resilienz, die sich ins kollektive Bewusstsein eingebrannt hat. Khartum versinkt aktuell in Schutt und Asche, aber aus dieser kann ein neuer Sudan auferstehen.
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