Suche nach Long-Covid-Therapien: Erst am Anfang
Jede:r zehnte Infizierte erkrankt an Long-Covid. Bisher können nur Symptome gemildert werden – die Forschung bemüht sich um Erkenntnisse.
Zwei Wochen, in schweren Fällen drei bis vier – so lange würde eine Infektion mit dem neuen Coronavirus etwa dauern –, dachte man zu Beginn der Pandemie. Doch während der Erreger sich über die Welt ausbreitete, begannen sich Berichte von Patient:innen zu häufen, die es anders erlebten. Sie wurden nicht mehr gesund, bekamen zum Teil neue Symptome hinzu.
Es waren die Patient:innen selbst, die den Begriff „Long Covid“ prägten. Im Mai 2020 berichtete der britische Infektionsmediziner Peter Garner in einem Blog des British Medical Journal, was Covid-Infizierte weltweit feststellten: wie sie weit über vier Wochen hinaus mit schwerer Erschöpfung, Geschmacksverlust, Schmerzen, einem vernebelten Gehirn kämpften. Dass sie nicht, wie von ihnen erwartet wurde, nach wenigen Wochen an ihren Arbeitsplatz zurückkehren konnten.
Manche sind bis heute nicht in ihr altes Leben zurückgekehrt, aber eine Sache hat sich seit dem ersten Pandemiejahr immerhin geändert: Long Covid ist unter seriösen Mediziner:innen inzwischen eine anerkannte Erkrankung, es gibt Forschung zu den Ursachen, zu Therapien, und die Betroffenen erhielten nach Möglichkeit eine gezielte medizinische Betreuung.
Andauernd erschöpft
Das liegt nicht zuletzt an der Häufigkeit, mit der Corona-Infektionen und damit auch die Spätfolgen mittlerweile auftreten. Etwa jede:r zehnte Coronapatient:in bleibt über die akute Infektion hinweg krank. Ab vier Wochen nach Infektion bis drei Monate nach der akuten Erkrankung sprechen Mediziner:innen dabei von Long Covid oder post-akuten Covid-19-Folgen (Englisch: PICS abgekürzt). Dauern die Beschwerden an, wird aus Long Covid ein Post-Covid-Syndrom.
Die Mehrheit erholt sich nach einiger Zeit zwar wieder, aber ein Teil der Patient:innen bleibt sehr lange oder chronisch krank, zumeist mit dem Leitsymptom einer andauernden Erschöpfung oder Fatigue. Sie und die sogenannte Post-exertionelle Malaise (PEM) gehören zu den prominentesten Symptomen von Long Covid. Viele Patient:innen berichten zudem von Problemen mit der Atmung, über Kopf-, Muskel- und Gelenkschmerzen, können nicht denken, nicht riechen und auch nicht schlafen. Manche haben Verklumpungen im Blut, die die Gefäße verstopfen, andere Haarausfall oder Ekzeme. Und es zeichnen sich weitere, zum Teil schwerwiegende Komplikationen ab.
So hat eine Arbeit in Nature Medicine gerade gezeigt, dass Long-Covid-Patient:innen ein stark erhöhtes Risiko für praktisch alle Herzkreislaufleiden wie Schlaganfälle, Herzinfarkte, Herzmuskelentzündungen haben. Zehn Prozent der Post-Covid-Fälle gehen vermutlich in ein Chronisches Erschöpfungssyndrom, ME/CFS abgekürzt, über, das auch nach anderen Virusinfektionen auftritt, zum Beispiel mit dem Epstein-Barr-Virus. CFS ist eine schwere, unheilbare Erkrankung, die bisher eher selten war. Durch Corona könnte sie zu einem Massenphänomen werden.
„Wir haben mindestens schon zehn Millionen Infizierte in Deutschland und wir gehen davon aus, dass nach sechs Monaten ungefähr zehn Prozent relevant krank sind, also das, was man Post-Covid-Syndrom nennt“, sagt Carmen Scheibenbogen, die Leiterin der Immundefekt-Ambulanz an der Berliner Charité. „Wenn man davon ausgeht, dass davon nochmal zehn Prozent mit ME/CFS schwer krank sind, dann wären das allein schon 100.000 überwiegend junge Menschen, die auch aus dem Berufsleben fallen.“
Immunsystem Schuld?
Die Internistin sieht deshalb großen Forschungsbedarf. Zuerst, was die Ursachen von Long und Post Covid betrifft. Parallelen zu anderen Erkrankungen wie CFS oder der Multiplen Sklerose liefern Hinweise: So vermuten Expert:innen, dass der Verbleib von Viren oder Virusbestandteilen im Körper eine Rolle spielt.
Im Verdacht steht zudem eine anhaltende und damit überschießende Reaktion des Immunsystems, die sich im Rahmen einer Autoimmunreaktion außerdem noch gegen den eigenen Körper richten könnte. Die Entstehung von Long Covid sei jedoch multifaktoriell und nicht bei jedem Patienten gleich, heißt es in der Leitlinie der Fachgesellschaften, die im vergangenen Sommer veröffentlicht wurde.
Seit jenem Sommer sind viele neue Fälle von Long Covid aufgetreten, die Folgen der Omikronwelle stehen noch aus. Doch so bitter es klingt: Die schiere Zahl an Patient:innen wird die Forschung deutlich voranbringen – und auch die Suche nach Therapien. Erste Tests stimmen schon jetzt hoffnungsvoll. So konnten Heilversuche mit einem gegen Autoimmunkrankheiten entwickelten, in Studien bereits mehrfach untersuchten Medikament mehreren Patienten helfen.
Das Mittel, BC007, muss allerdings noch in größeren Studien an Long-Covid-Patienten getestet werden. Nach Angaben der Website Clinicaltrials.gov, die unter anderem vom nationalen Gesundheitsinstitut in den USA betrieben wird, laufen weltweit mehr als 80 klinische Studien zu Long-Covid-Behandlungen oder sind in Planung.
Vorsicht vor Quacksalbern
Bis richtige Therapien erforscht und zugelassen sind, lassen sich bislang nur Symptome lindern. Die als „Pacing“ bezeichnete Strategie kann helfen, die Kräfte besser einzuteilen. Je nach Vorgeschichte können Thrombosen vorgebeugt, die Atmung unterstützt und Schmerzen behandelt werden. Und schließlich braucht die Psyche meist professionelle Zuwendung.
Die Wartezeiten für solche umfassenden Maßnahmen sind lang, viele Menschen mit Long Covid müssen über Monate auf Hilfe warten. In der Zwischenzeit verzweifeln nicht wenige – an ihrer Krankheit, an dem Unverständnis, das ihnen bisweilen noch immer entgegengebracht wird, an der fehlenden Perspektive auf ein halbwegs normales Leben. Und wo der Leidensdruck groß ist, wo die nötige Hilfe fehlt, füllen nicht selten ungeprüfte Behandlungen und falsche Heilsversprechen die Lücke.
Geschichten von Einzelfällen, in denen Therapien Heilung gebracht haben sollen, häufen sich, auch im Fernsehen. Da ist der Mann, der durch eine hyperbare Sauerstofftherapie kuriert worden sein will. Das Verfahren führt dem Körper unter hohem Druck Sauerstoff zu. Der Sauerstoff, heißt es, rege eine Regeneration von Zellen im Körper an. Berühmt ist eine Blutwäschepraxis in Mühlheim, sie soll das Blut von krankmachenden Bestandteilen reinigen. Auch hier berichten Patient:innen medienwirksam von Heilerfolgen.
Studien, die solche Wirkungen klar belegen, gibt es bislang nicht. Machen kann die Therapien trotzdem jede:r, die oder der dafür zu zahlen bereit ist. Ein paar Tausend Euro, manche müssen sich dafür verschulden. Es ist ein Geschäft mit der Hoffnung, bis jetzt jedenfalls. Nur die Forschung kann helfen, das zu ändern. Ein Anfang – immerhin – ist gemacht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies