Die Long Covid-Erkrankung meiner Tochter: Ratschläge sind auch Schläge

Meine Tochter ist schwer an Long Covid erkrankt. Es ist ein Alptraum, bei dem gut gemeinte Ratschläge mehr belasten, als helfen.

Ein Segelflugzeug fliegt durch eine Wolkenlücke.

Eine Möglichkeit, füreinander da zu sein: gemeinsamer Blick in die Wolken Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Unsere 13jährige Tochter Olivia ist an Long Covid erkrankt. Seit Wochen ist sie nun bettlägerig. Auch im Rollstuhl kann sie nicht mehr sitzen. Sie kann weder ihren Oberkörper noch ihren Kopf halten. Mit viel Mühe schaffen wir es vom Bett auf den Toilettenstuhl und zurück. Danach weint sie oft, weil Anstrengung und Schmerzen zu groß waren.

Wir beten, dass dieser Alptraum nicht für immer anhält. Aber erst einmal müssen wir damit leben. Nach Meinung aller Ärztinnen, die wir bis jetzt gesehen haben, können wir vorerst nichts tun, außer unser Kind unbedingt zu schonen. Natürlich bekommt Olivia Vitamine und sogar dreimal 15 Globuli kosmisches Eisen am Tag – was für mich wie der Inbegriff des „Nichtstun“ ist.

Diese Machtlosigkeit ist kaum aushalten. Und noch schwieriger wird es, wenn die Leute um uns herum rufen: „Was? Das kann doch gar nicht sein. Ihr müsst etwas tun!“ Dabei sind wir von morgens bis abends dabei, etwas zu tun. Mein Mann arbeitet für zwei und ich pflege ein schwer behindertes und ein schwer krankes Kind gleichzeitig – wovon das eine laute Musik und das andere komplette Ruhe braucht.

Die immer wieder gestellte Frage „Haben sie denn diesmal im Krankenhaus endlich etwas gefunden?“, zeigt mir, wie schwer es vielen fällt, die Diagnose Long Covid zu fassen. Irgendwie ist der Glaube verbreitet, es gäbe für jede Erkrankung eine ganz einfache Behandlung. Im Prinzip erklärt man damit alle chronisch Kranken und Mediziner für bescheuert.

Im wahrsten Sinne des Wortes kaputt

Apropos bescheuert: Sogar für meinen Sohn Willi mit Down-Syndrom wurde mir schon mal eine „Heilung“ angeboten. Damals habe ich mit den Worten: „Vielen Dank, er ist nicht kaputt“ belustigt abgelehnt. Aber Olivia ist im wahrsten Sinne des Wortes kaputt. Neulich hat sie mir unter Tränen gesagt, sie sei gar kein richtiger Mensch mehr, sondern nur noch irgendein Wurm.

Da fällt es mir schwer, angemessen auf den gut gemeinten Rat „Genieße doch einfach die schöne Zeit mit Deiner Tochter“ zu reagieren. Vielleicht bin ich zu empfindlich, aber es verletzt mich, wenn andere meinen, mein Kind würde mit genug Ingwertee oder Meeresluft ganz schnell gesund werden.

Long Covid ist eine komplexe Autoimmunerkrankung. Uns helfen im Moment wirklich nur Ratschläge von Fachleuten und Betroffenen. Von den anderen wünsche ich mir, dass sie mit uns aushalten, wie schlimm es ist und mich nicht damit belasten, dass sie ihren Hausarzt oder eine Heilpraktikerin gefragt haben oder irgendwas gelesen und bei YouTube gesehen haben.

Die vielen sich ausschließenden Ratschläge fühlen sich manchmal an wie echte Schläge. Sie sind der Grund, weshalb ich am liebsten mit fast niemandem mehr reden mag.

Kernkompetenz Liebe

Ich würde ALLES für mein Kind tun, aber kann doch unmöglich all das tun, was man mir sagt. Zu der Angst, vielleicht doch etwas zu verpassen, weil ich mich nicht mit Shiatsu oder Mitochondrien auseinandersetze, kommt noch mein schlechtes Gewissen, dass ich mich undankbar verhalte gegenüber Menschen, die uns doch nur helfen möchten.

Aber diese Art Hilfe verunsichert mich. Darf ich der Schulmedizin wirklich nicht trauen? Muss man für die richtige Behandlung seines Kindes tatsächlich kämpfen? Und natürlich kämpfe ich – aber ich kann nur einen Schritt nach dem anderen tun.

Daneben habe ich aus allen Therapievorschlägen jetzt erst mal die Liegekur ausgesucht. Wenn Willi in der Schule ist und mir jemand helfen kann, Olivia auf die Terrasse zu tragen, liegen wir beide dort nebeneinander und schauen Wolkenbilder oder unsere Hühner an. Am liebsten würde ich dann nie wieder aufstehen. Und ich fühle, dass dies meine eigentliche Aufgabe ist: Für meine Kinder da zu sein! Meine Kernkompetenz ist Liebe.

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Geboren 1973 in Hamburg. Seit sie Kinder hat schreibt die Bilderbuchillustratorin hauptsächlich Einkaufszettel und Kolumnen. Unter dem Titel „Die schwer mehrfach normale Familie“ erzählt sie in der taz von Ihrem Alltag mit einem behinderten und einem unbehinderten Kind. Im Verlag Freies Geistesleben erschienen von ihr die Kolumnensammlungen „Willis Welt“ und „Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg“. Ihr neuestes Buch ist das Kindersachbuch „Wie krank ist das denn?!“, toll auch für alle Erwachsenen, die gern mal von anderen ätzenden Krankheiten lesen möchten, als immer nur Corona. Birte Müller ist engagierte Netzpassivistin, darum erfahren Sie nur wenig mehr über sie auf ihrer veralteten Website: www.illuland.de

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