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Studie zur Fischerei in EU-GewässernBestände am Ende

Eine Studie aus Kiel wirft der EU schweres Missmanagement beim Meeresschutz vor: Statt Fischbestände zu schützen, gehorche sie nationalen Interessen.

Immer weiter fischen: Kutterdemonstration bei Büsum im März 2023 mit dem Ziel, ein Grundschleppnetzverbot zu verhindern Foto: dpa | Frank Molter
Harff-Peter Schönherr
Von Harff-Peter Schönherr aus Osnabrück

Mancher Mahnruf an Europas Fischereimanagement ist bereits verhallt: Die massive Überfischung, nicht zuletzt durch riesige Supertrawler, die für die Deutsche Stiftung Meeresschutz „Schiffe aus der Hölle“ sind, ist eine bekannte Tatsache. Oft wühlen sie mit Grund­schlepp­netzen den Meeresboden auf, was ihn als Lebensraum nachhaltig schädigt. Mit einer neuen Studie dokumentieren Geomar Helmholtz Zentrum für Ozenaforschung und Kieler Uni nun dieses systemische Versagen, benennen Gründe dafür – und formulieren einen neuerlichen Appell.

Auch sie nicht zum ersten Mal. Und auch sie mit bislang stets ernüchterndem Ergebnis: „Es wird falsch gemacht, was man falsch machen kann“, sagt Geomar-Meeresbiologe Rainer Froese der taz. Der Lobbyismus der Fischerei-Industrie ist dabei nicht das einzige Problem: Viele PolitikerInnen seien, gerade fürs Thema sensibilisiert, schnell wieder aus dem Amt. Oft wollten sie ihre Karrieren nicht für Reformen aufs Spiel setzen, die sich nicht sofort rechnen. „Also geht die Dezimierung der Fischbestände weiter“, so Froese.

Bei ihm laufen alle Daten zusammen. In der im Fachmagazin Science publizierten Studie „Systemic failure of European fisheries management“ wirft das AutorInnen-Team um ­Froese der EU schweres Missmanagement vor: „Kurzsichtige nationale Interessen und Politiken können fundierten wissenschaftlichen Rat übertrumpfen“, heißt es darin. Etwa 70 Prozent der wirtschaftlich genutzten Fischbestände der nördlichen EU-Gewässer seien „überfischt oder komplett zusammengebrochen“, fasst Geomar zusammen, obwohl die EU sich in ihrer Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) zu einer nachhaltigen, umweltverträglichen Bewirtschaftung verpflichtet hat.

Dafür werden Fangquoten auf Basis von Gutachten des International Council for the Exploration of the Sea (Ices) ­empfohlen. Doch die Real­quoten beschließen dann die Ministerien, und bei denen würden „die Bestandsgrößen oft über­schätzt“, so Froese. Schon die Fangquotenempfeh­lungen seien zu hoch. Aber dann „übersteigen die Quoten der Ministerien oft noch die Empfehlungen. Das steigert sich ständig.“ Die Studie regt deshalb an, eine unabhängige Institution zu gründen, die wissenschaftsbasierte und ökologisch verträgliche Fangmengen festlegt. „Die Politik muss da raus“, sagt Froese. „Sonst gibt es keine Hoffnung, dass sich was ändert.“

Es wird falsch gemacht, was man falsch machen kann

Rainer Froese, Meeresbiologe am Geomar, Kiel

„Systemic failure of European fisheries management“ analysiert en détail die Situation in der Ostsee. Diese sei besonders gut dokumentiert, und die Zahl der Bestandsarten zudem überschaubar, erklärt Froese die Fokussierung. „Außerdem gehören alle Befischer zur EU.“ Es sei also nicht möglich, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Das Ergebnis lasse sich aber auf andere Gewässer und Bestände übertragen. Fast 200 Bestände haben die WissenschaftlerInnen betrachtet, auch in der Nordsee, im Atlantik.

20 Prozent eines Bestandes lassen sich pro Jahr entnehmen, damit er seine Größe behält. „Bei manchen Beständen entnehmen wir jedoch zwischen 60 und 80 Prozent“, so Froese. „Klar, dass die dann zusammen­brechen.“ Natürlich gibt es Unterschiede. Marktgängige, stark nachgefragte Arten wie Dorsch oder Hering sind extrem unter Druck, bei ihnen ist die Lage katastrophal, die Bestände weniger gefragter Arten wie Scholle oder Flunder sind relativ intakt. Schon das legt nahe: Der Fischfang spielt beim Zusammenbruch der Bestände die entscheidende Rolle.

Immerhin ziehen Dänemark und Schweden in Erwägung, Grundschleppnetze zu verbieten. „Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung“, sagt Froese. Aus Deutschland komme jedoch Widerstand gegen jegliche Reform. Auch No-take-Schutzzonen, in denen der Fischfang komplett verboten ist, helfen. Mittlerweile gibt es sie. „Aber sie kommen zu spät“, sagt ­Froese. „Es sind zu wenige. Und sie sind zu klein.“

Eigentlich könnten Naturschutz und Fischfang Hand in Hand gehen. Es ist ja nicht wie an Land, wo man sich gegen den Wald entscheiden muss, wenn ein neuer Acker entstehen soll. Beides sei möglich, so Froese: intakte Bestände und wirtschaftlicher Gewinn. Die Voraussetzung: Den Beständen muss es gut gehen. Aber gegenwärtig hole man raus, was sich rausholen lasse. Ziel seien hohe Erträge, möglichst sofort und „ohne Gedanken an später“. Schlau ist das nicht: Lasse man einen Fisch nur ein Jahr länger im Wasser, habe er sich fortgepflanzt, sein Gewicht verdoppelt. „Aber so wird nicht gedacht.“

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2 Kommentare

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  • "Erst wenn der letzte Baum gerodet der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann ".



    Weißsagung der Cree

  • Grundschleppnetze verbieten, richtig. Her mit dem Verbot! Aber wo wird sich an Verbote gehalten? Und: wer kontrolliert das?



    Es herrschen "Wild-West-Verhältnisse" auf den Ozeanen, Zitat aus einer Doku über Tintenfischfang:



    (www.zdf.de/video/d...r-den-oktopus-100)



    Und Gebiete, in denen sich Bestände (zu Lande und zu Wasser) erholen können, sind Mangelware. Wenn es sie gibt, sind sie zu klein und auch nicht immer für den Zweck geeignet.



    Die Zeit läuft der Menschheit weg. Aber noch immer "wird falsch gemacht, was man falsch machen kann", wie Herr Froese sagt.