Streit um Wahlzettel in Niedersachsen: Grüner Zettel, grüne Landrätin?
Ein Mann legt Widerspruch gegen die Landratswahl in Osnabrück ein. Er glaubt, die Farbe der Wahlunterlagen habe den Grünen geholfen.
Zumindest hat jetzt ein Briefwähler Einspruch gegen das Wahlergebnis eingelegt, teilte Kreiswahlleiterin Bärbel Rosensträter am Mittwoch mit. Bei der Stichwahl hatte Kebschull mit mehr als 52 Prozent der Stimmen den bisherigen Landrat und CDU-Kandidaten Michael Lübbersmann aus dem Amt gedrängt. Rund sieben Jahrzehnte lang war das Landratsamt in CDU-Hand.
Der kritische Wähler argumentiert, die Bürger*innen könnten allein durch die grünen Wahlzettel in ihrer Entscheidung positiv für die Grünen beeinflusst gewesen sein. Wodurch die Öko-Partei einen Vorteil gehabt hätte. Eine Provinzposse? Der Mann meint das ernst.
Der Wahleinspruch traf laut Rosensträter fristgemäß in den 14 Tagen nach Bekanntgabe des offiziellen Wahlergebnisses ein. Er sei in der nötigen Form verfasst und werde jetzt geprüft, sagte die Verwaltungsfachwirtin. Der Mann sei im Landkreis nicht bekannt, niemand wisse, warum er Widerspruch einlegt habe. Bislang ist es der einzige Einspruch nach der Stichwahl. So etwas habe es im Landkreis auch noch nie gegeben, sagt Rosensträter: „Weder wegen der Papierfarbe noch wegen anderer Gründe.“
Lila Wahlzettel und los geht der Run auf „Die Frauen“?
Was machen Farben mit dem menschlichen Gemüt? Hat das Grün eines Wahlzettel tatsächlich Einfluss darauf, wo jemand sein Kreuz setzt? Roter Wahlzettel, und schwupp, hat die SPD einen Wahnsinns Zulauf? Lila sorgt für einen Run auf „Feministische Partei. Die Frauen“? Und Schwarz beflügelt die Sympathisant*innen der CDU?
„Grün gilt gemeinhin als beruhigend“, sagt Joachim Griess. Er muss es wissen, er ist Maler. Als Konkreter Künstler arbeitet er nicht gegenständlich oder abstrakt, sondern auf mathematisch-geometrischer Grundlage ausschließlich in Flächen, Linien und Farben. „Grün setze ich spontan und intuitiv ein“, sagt der Liebhaber des Sprengel-Museums in Hannover: „Aber nicht, um damit bewusst etwas auszudrücken.“ Keine Stimmung, kein Gefühl, kein Bekenntnis. „Das ist alles Quatsch“, sagt Griess.
Bärbel Rosensträter Kreiswahlleiterin
Dem „Kleinen Abc der Farben“ zufolge gilt Grün als „eher weibliche Farbe, denn sie strahlt Natürlichkeit und Jugend aus.“ Und das Portal „Gesundheit.de“ berichtet, dass in der Farbtherapie Grün bei Herzkrankheiten eingesetzt werde. „Auch Trauer, Wut und Liebeskummer können durch grüne Farbtöne gelindert werden“, heißt es dort.
Laut Paragraph 39 des Kreiswahlgesetzes müssen die Stimmzettel „aus undurchsichtigem Papier, einseitig bedruckt und in jedem Wahlbezirk von gleicher Farbe und Beschaffenheit sein“. Wahlzettel sind in der Regel weiß, die Schrift darauf ist schwarz. Finden an einem Tag mehrere Wahlen statt, müssen die Stimmzettel für die einzelnen Wahlen „aus jeweils andersfarbigem Papier sein“. Das kann Rosa, Hellblau oder eben auch Grün sein.
Grüner-Kreisgeschäftsführer: „Blödsinn“
Zeitgleich zur Europawahl am 26. Mai wurden in Niedersachsen unter anderem auch Landräte gewählt. Damals wurden für die Wahlzettel, Briefwahlzettel und Umschläge die Farben weiß, rot und blau verwendet. Die Wahlzettel für die Stichwahl mussten laut Wahlgesetz also eine andere Farbe haben. „Bei Kommunalwahlen in der Gegend ist hellgrün üblich“, erklärt Rosensträter: „Die Farbe wurde auch in der Vergangenheit verwendet.“
Die Entscheidung für Hellgrün habe die Kreiswahlleitung gemäß des Kreiswahlgesetzes rechtzeitig den Wahlleitungen in den Gemeinden und Samtgemeinden rechtzeitig mitgeteilt, so Rosensträter: „Und sie wurde getroffen, lange bevor die Konstellation der Stichwahl feststand.“ Die Kreiswahlleiterin prüft den Einspruch und will am Freitag ihre fachliche Stellungnahme dazu abgeben. Wie diese ausfällt, konnte sie aus rechtlichen Gründen jetzt nicht sagen.
Grünen-Kreisgeschäftsführer Johannes Bartelt bezeichnet den Einspruch als „Blödsinn“. Anne Kura, Landeschefin der niedersächsischen Grünen, sagt: „Ich gehe davon aus, dass die Wahlkommission mit dem Einspruch angemessen umgehen wird.“ Jede und jeder hätte das Recht dazu, eine Wahl anzufechten. Sie vermute aber, dass der Einspruch „keine Aussicht auf Erfolg“ habe.
Welche Farben der kritische Bürger bevorzugt und in welcher Gemütsstimmung er sich selbst befand, als er den Wahlzettel ausfüllte, ist nicht bekannt. Nicht überliefert ist ebenso, wo er sein Kreuz gemacht hat. Fakt aber ist, dass der Kreistag am 19. August in einer Sondersitzung über den Einspruch entscheidet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland