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Streit um Rechtsstaat und EU-HaushaltUngarn und Polen blockieren

Der Streit um die Bindung von EU-Geldern an Rechtsstaatsprinzipien eskaliert. Ungarn und Polen legen ein Veto gegen die Corona-Aufbaufonds ein.

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki (l) und Ungarns Regierungschef Viktor Orban (r) Foto: Piotr Jaruga/imgo

Brüssel taz | Ungarn und Polen haben das neue EU-Budget blockiert und damit eine schwere Krise ausgelöst. Zur Begründung verwiesen beide Länder auf den neuen Rechtsstaats-Mechanismus, mit dem das insgesamt 1,8 Billionen Euro schwere Budget vor Missbrauch geschützt werden soll. Der Streit dürfte jetzt auf den EU-Videogipfel am kommenden Donnerstag wandern, Kanzlerin Angela Merkel ist gefordert.

Merkel hatte das Budget, das auch den schuldenfinanzierten Corona-Aufbaufonds enthält, beim EU-Gipfel im Juli durchgesetzt. Damals spielte der Rechtsstaats-Mechanismus nur eine Nebenrolle. Erst Wochen später legte der deutsche EU-Ratsvorsitz einen Vorschlag vor, der dann vom Europaparlament noch einmal nachgeschärft wurde. Dies führte jetzt zum Eklat mit Ungarn und Polen.

Die ungarische Justizministerin Judit Varga warf der EU Erpressung vor: „Wenn es um die Zukunft unserer Kinder und Enkel geht, schließen Ungarn und die ungarischen Menschen keine Kompromisse, sei es, dass dies einen Freiheitskampf bedeutet oder ein einfaches Veto.“ Die polnische Regierung erklärte, der geplante Mechanismus bedeute „vollkommen willkürliche Entscheidungen“.

Die Frage, ob EU-Mittel mit der Achtung der Rechtsstaatlichkeit in Verbindung gebracht werden könnten, sei „grundlegend für die Zukunft Polens“, sagte der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro. Für Polen gehe es darum, ob es ein souveränes Land innerhalb der EU sei oder „der politischen und institutionalisierten Versklavung unterworfen wird“.

Am Morgen hoffte man noch, dass Ungarn und Polen bluffen

Beide Länder fürchten, dass das neue Instrument zu Kürzungen von EU-Hilfen führen werde. Tatsächlich ist genau das geplant. Allerdings können Finanz-Sanktionen nur dann ausgelöst werden, wenn es neue Verstöße gegen den Rechtsstaat gibt, wenn die EU-Kommission einen entsprechenden Vorschlag macht und der Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit zustimmt. Die Hürden sind hoch.

Merkel war Ungarn und Polen bei der Formulierung des Rechtsstaats-Mechanismus entgegen gekommen. Zudem hoffte man noch am Montagmorgen in Berlin, dass Budapest und Warschau nur bluffen und bei der Abstimmung am Nachmittag auf ein Veto verzichten würden. Doch diese Hoffnung ist nun zerstoben. „Wir sind zurück in einer Krise“, sagte ein hochrangiger EU-Diplomat.

Ob und wie sich diese Krise lösen lässt, ist offen. Der deutsche Ratsvorsitz könnte versuchen, Ungarn und Polen noch umzustimmen. Auch eine Zusatzerklärung wird erwogen, die die Bedenken der beiden Länder aufnehmen würde. Danach könnte es eine zweite Abstimmung geben. Als wahrscheinlicher gilt jedoch, dass der Streit zur Chefsache wird und auf den EU-Videogipfel am Donnerstag wandert.

Merkel könnte dort mit Ungarns Regierungschef Viktor Orban und dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki sprechen. Eine öffentliche Aussprache birgt aber Risiken – es könnte zum offenen Streit kommen. So haben Frankreich und die Niederlande schon klar gemacht, dass sie auf dem Rechtsstaats-Mechanismus bestehen.

Es drohen Verzögerungen beim Corona-Aufbaufonds

Die Blockade kommt zu einem für die EU und Deutschland kritischen Moment. Das EU-Budget ist bisher der einzige greifbare Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft. Der Rechtsstaatsmechanismus war eine „rote Linie“ für das Europaparlament. Nun möchte niemand mehr dahinter zurückgehen. Merkel steckt in einer Zwickmühle.

Zugleich drohen beim dringend benötigten neuen Corona-Aufbaufonds, der Teil des Budgets ist, weitere Verzögerungen. Die ersten Gelder aus dem 750 Milliarden Euro schweren Fonds dürften nun erst im Frühsommer 2021 ausgezahlt werden. Dabei tobt die Coronakrise jetzt schon, vor allem in Südeuropa droht eine neue Rezession.

Der Europaabgeordnete Jens Geier warnte vor faulen Kompromissen. „Wenn die Verteidigerinnen und Verteidiger von Rechtsstaat und Demokratie sich in Geiselhaft nehmen lassen, haben wir verloren“, sagte der Chef der SPD-Gruppe im Europaparlament. Die AfD bezeichnete das Veto hingegen als letzte Chance, um den Gang in eine „Schuldenunion“ zu verhindern.

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14 Kommentare

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  • Das Veto war ja zu erwarten. Doch ich erhoffe jetzt auch, dass die EU bei den klaren Regeln bleibt und sich nicht von den beiden Möchtegerndiktatoren herumkommandieren lässt.



    Bitte bitte bleibt bei der Rechtstaatlichkeit auch Polen und Ungarn wollen von dem großen Kuchen Ein Stück abhaben. Mit etwas Geduld werden Sie schon noch zustimmen.



    Dringend fände ich eine Rauswurfklausel. Länder die nur Nutznießersein wollen und nicht bereit sind, sich für die Gemeinschaft einzusetzen sollten auch herausgeworfenwerden können.

    • @Goyo:

      @GOYO: Volle Zustimmung. Polen als größter Netto-Empfänger will nur absahnen.

      Ich stimme für Rauswurf, wer sich nicht an Regeln hält muss raus!!

      cu ogol

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Am Montag machten die EU-Botschafter der Mitgliedstaaten den Weg frei für den ebenso umstrittenen wie revolutionären Rechtsstaatsmechanismus: Regierungen, die Richter drangsalieren und ihr Handeln über das Gesetz stellen, drohen in Zukunft Kürzungen der EU-Fördergelder. Das sind exzellente Nachrichten für Europa - und schlechte für die zunehmend autoritären Regierungen in Polen und Ungarn.""

    www.sueddeutsche.d...e-ungarn-1.5117121

    Das der vom EU Parlament beschlossene Rechtsstaatsmechanismus der richtige Weg ist zeigen die panischen Reaktionen aus Polen und Ungarn.



    Die Massnahme der EU trifft - kein Zweifel - sonst hätte Ungarn nicht den am größten anzunehmenden Unfall und die Totalblockade der EU provoziert, welche im übrigen Polen und Ungarn am meisten schaden werden.

    Einstellung sämtlicher Zahlungen der EU - mit der Ausnahme von Notfallzahlungen an die Staaten, die momentan am stärksten unter Covid 19 leiden.

    Mal schauen wie lange sich Rechtsradikalpopulisten ohne EU Zuschüsse im Sattel halten können.

  • ceterum censio: Wenn es nicht von oben geht, muss es eben von unten kommen. Ein jeder der diese autoritären Staaten nicht mehr tragen will, ist dazu aufgerufen zu boykottieren, das fängt mit dem Gang in den Supermarkt an, reisen kann man auch woanders hin, und unsere Autoindustrie sollte auch dazu angehalten werden (der Wink geht besonders an CDU/CSU) auch nicht mehr in diese Länderzu investieren, Und deutsche Kommunen sollten auch keine Solarisbusse aus Polen kaufen. Die ungarische und polnische Regierung fühlt sich von uns "versklavt" und wollen in den "Freiheitskampf" eintreten? So? Bitte, niemand hält sie auf. Sie dürfen gern gehen.

    • @ingrid werner:

      Boykott und Aufruf zum Rauswurf aus der EU scheinen selbstverständlich angesichts solcher Kreaturen wie Orbán und Kaczyński. Das - exit - ist aber genau das Ziel der Rechtspopulisten. Die EU sollte so schnell wie möglich an dem Fonds weiterarbeiten. Ohne die zwei böswillige Zwerge, die die EU für einen Feind halten, den man aber unverschämt abzocken darf, und die ständig gegen Flüchtlinge und Minderheiten hetzen. Klare Worte und Taten, Druck von oben und von unten sind notwendig.

  • Man sollte sich mal nichts vormachen. Die meisen EU-Staaten - vor allem die, die auf finanzielle Krisen-Hilfe angewiesen sind - werden darauf drängen, bei Ungarn und Polen die Augen zuzudrücken. In vielen Mitgiledsstaaten ist seit längerem eine Renaissance des Nationalismus zu beobachten. Das Konstrukt EU als Wirtschaftsraum, ohne ernsthafte parlamentarische Kontrolle, ist in der Krise von auseinanderdriftenden Interessen der Mitgliedsstaten beherrscht. Man siehe etwa den Streit um Asyl - Dublin - in dem sich die Randstaaten der EU von den reichen Mitgliedsländern als Zwangslager für Flüchtlinge missbraucht fühlen. Auch das Verhältnis zu den USA und in der Sicherheitspolitik offenbart zunehmend grundlegende - und altbekannte - Unterschiede. Schon unter Charles de Gaulle betand Frankreich in den 1960ern auf seine militärischen und außenpolitischen Interessen - man zog sich zeitweise aus der Nato zurück. Und Deutschland? Die Regierungen Merkel hielten mit ökonomischem Druck lange Zeit die hütende Hand über der Automobilindustrie - was massiv zu den Umweltproblemen beigetragen hat. Fazit: Innerhalb der EU wird es immer schwieriger, die Partialinteressen unter einen Hut zu bekommen - gerade in der aktuellen Wirtschaftskrise. Da spielen Fragen wie freie Justiz oder Gewaltenteilung nur einen Nebenrolle.

    • 0G
      06438 (Profil gelöscht)
      @Philippe Ressing:

      ".........ohne ernsthafte parlamentarische Kontrolle,....""



      ==



      1.. Ihnen ist entgangen, das das Europaparlament dafür gesorgt hat, das EU Zahlungen künftig richtigerweise an den Rechtsstaatsmechanismus gekoppelt sind? Dahinter kann niemand mehr zurück - soviel zur parlamentarischen Kontrolle.

      2..Rückzug aus der Nato würde eine radikale exorbitante Erhöhung des Wehretats bedeuten. Offensichtlich wollen sie darauf hinaus?

      3..Dublin scheitert an den Staaten die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen.

      4..Ich stimme Ihnen zu das die CDU zu viel Rücksicht auf CO2 Verschmutzer genommen hat. Wobei 8,6% der Co2 Emissionen von KFZ stammen. Demgegenüber waren/ sind Elektrizitäts- und Wärmeerzeugung weltweit im Jahr 2018 der größte Verursacher der energiebedingten CO2-Emissionen.

      5..Nicht divergierende Interessen der Nationen innerhalb der EU sind das gravierende und das entscheidende Problem - sondern Staaten und Gruppierungen, die dabei sind, sich anscheinend endgültig von europäischen rechtsstaatlichen Normen und Werten zu verabschieden.

  • Die Mitgliedschaft dieser Länder aussetzen, wenn diese nach den nächsten Wahlen nicht zur Rechtsstaatlichkeit zurückkehren: Mitgliedschaft beenden.

    Man kann von demokratischen Ländern und Bürgern nicht verlangen faschistische Regime mit durch zu füttern...

    • @danny schneider:

      So sehe ich das auch. Der EU sollten keine homo- und xenophoben Länder angehören, die auch andere demokratische Rechte mit den Füßen treten.

  • Ungarn und Polen haben doch genau das gemacht, was von ihnen zu erwarten war. Wer immer noch geglaubt hatte, dass diese Länder überhaupt irgendetwas mit Rechtsstaatlichkeit im Sinn haben, müsste spätestens jetzt von seinem Glauben geheilt sein. Man fragt sich schon seit langem, warum die EU eigentlich so klare und strenge Aufnahmekriterien formuliert hat, wenn diese nach der Aufnahme praktisch gar keine Rolle mehr spielen sollen.



    In jedem Kleingartenverein trennt man sich alsbald von Mitgliedern, die partout nicht zur Gemeinschaft passen wollen, nur in der EU sorgt man dafür, dass ausgerechnet diese Mitglieder die Richtung gegen die Mehrheit vorgeben können. Zufall? Sicher nicht!



    Das Vetorecht im heutigen Sinne wurde erstmals in der polnischen Verfassung des 17./18. Jahrhunderts eingeführt. Bei den Römern war es nämlich so noch gar nicht gebräuchlich und hatte dort auch eine grundlegend andere Funktion, die ausschließlich auf die Amtsträger in der Magistratur zugeschnitten war (siehe: „intercessio“). Sicher ist jedenfalls, dass man das heutige Vetorecht keineswegs als eine demokratische Errungenschaft bezeichnen kann - ganz im Gegenteil.

  • Verwundert?

    Bei denr Interessenlage der polnischen und ungarischen Regierung war das doch zu erwarten. Auch können die doch garnicht anders, wenn sie sich innenpolitisch nicht blamieren wollen.

    Und so ohne sind die Voraussetzungen für eine Reduktion der Zahlungen nicht.



    Das kann schnell passieren. Das sorgt für zusätzliche Härte.

    Da hätte sich die deutsche Ratspräsidentschaft im Vorfeld moderierend kümmern müssen.

    • @J_CGN:

      Die deutsche Ratspräsidentschaft entscheidet sich bei der Frage, ob sie auf Seiten der EU oder auf Seiten der EVP stehen, verlässlich für letzteres.

  • Herr Spahn - was ist denn da mit den 1,50 Meter Abstand mit Anstand? Und dann noch Hände schütteln!?! Die (Gesundheits)Politiker sollten die propagierten „AHA Regeln“ m.E. Schon auch selber vorleben ... !

    • @Rufus:

      Vermutlich ist das Foto bei der 1. Welle geschossen worden.