Streit um Migationspolitik: Bund soll mehr für Flüchtlinge zahlen
Pro-Kopf-Pauschalen, schnelle Asylverfahren, eine bundesweite Bezahlkarte: Die Länderchef*innen haben sich auf Forderungen an die Ampel geeinigt.
Hessens CDU-Ministerpräsident Rhein, der neue Vorsitzende der MPK, lobte jedenfalls erst einmal seinen Vorgänger Weil, der für die SPD Niedersachsen regiert. Weil wiederum betonte die außergewöhnlich „ernsthafte und problemorientierte“ Diskussion unter den Länderchef*innen aus fünf Parteien und sagte mit Blick auf ihre politische Heterogenität: „Es ist nicht selbstverständlich, dass wir am Ende dieser Konferenz sagen können: Wir haben uns auf ein substanzielles Papier zu Fragen der Migration geeinigt.“
Konkret fordern die Ministerpräsident*innen in ihrem 15seitigen Papier unter anderem deutlich mehr Geld für die Versorgung von Geflüchteten, schnellere Asylverfahren und die Einführung einer bundesweiten Bezahlkarte.
Bei der Finanzierung müsse sich der der Bund „signifikant bewegen, das ist klar“, sagte Rhein. Die Länder fordern eine jährliche Pauschale pro Person von mindestens 10.500 Euro, das ist doppelt so viel wie bislang vorgesehen. Für das kommende Jahr hat die Bundesregierung den Ländern bislang nämlich nur 1,25 Milliarden Euro fest zugesagt, in diesem Jahr waren es noch 3,75 Milliarden.
Bezahlkarte und Beschäftigung
Wobei sich die tatsächlichen Ausgaben von Ländern und Kommunen für 2023 nach Angaben der Ministerpräsident*innen voraussichtlich auf über 23 Milliarden Euro belaufen. Wichtig ist den Ländern ein „atmendes System“, in dem die Unterstützung des Bundes mit der Anzahl der Asylsuchenden steigt.
Die Ländern fordern den Bund zudem auf, „eine bundesweit einheitliche Bezahlkarte zu schaffen und dabei die Umsetzung in den Kommunen sicherzustellen“. Eine solche Karte würde die umstrittene Umstellung von Leistungen von Geld- auf Sachleistungen für Asylsuchende erleichtern.
Auch sollen nach dem Willen der Länder die bestehenden Hürden zur Arbeitsaufnahme von Geflüchteten mit gesicherter Bleibeperspektive von der Bundesregierung beseitigt werden; hier hat die Ampel gerade erste Schritte angekündigt. „Die bereits bestehenden rechtlichen Möglichkeiten, Asylbewerbende zu gemeinnützigen Arbeiten heranzuziehen, sollen in breitem Maße genutzt werden“, heißt es weiter. Von einer Verschärfung dieser Regelungen, die im Vorfeld gefordert wurden, ist jedoch im Papier nicht die Rede.
Maximal sechs Monate bis zur Abschiebung
Auch sollen nach Willen der Länderchef*innen die Asylverfahren von Menschen mit geringer Bleibeperspektive künftig prioritär behandelt und so beschleunigt werden. „Bund und Länder haben das gemeinsame Ziel, Asylverfahren für Angehörige von Staaten, für die die Anerkennungsquote weniger als fünf Prozent beträgt, zügiger als bisher rechtskräftig abzuschließen“, heißt es. Das Asylverfahren und das darauf häufig folgende Klageverfahren soll in jeweils drei Monaten abgeschlossen werden.
Sofern nötig, müssten dafür die personellen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen werden. Bei den Asylverfahren ist der Bund in der Pflicht, genauer gesagt das dem Bundesinnenministerium unterstellte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Die Verwaltungsgerichtsverfahren betreffen die Justizbehörden der Länder. Weil betonte, damit könne man sich die kontroversen Diskusssionen über die Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsländer sparen.
Für den 6. November ist eine Runde der Länderchef*innen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geplant. Dann wird eine Grundsatzentscheidung über dauerhaft höhere Bundesmittel für die Flüchtlingskosten erwartet. Rhein und Weil aber können schon am Abend dazu mit Scholz direkt ins Gespräch kommen. Der Kanzler hat beide sowie CDU-Chef Friedrich Merz zum Austausch ins Kanzleramt eingeladen. Ergebnisse werden von diesem Treffen nicht erwartet.
Bayern will mehr, Thüringen und Bremen weniger Härte
Ganz einig waren sich die Länderchef*innen auf ihrer Klausur allerdings nicht. Bremen, Thüringen und Bayern haben jeweils eigene Protokollerklärungen abgegeben. Das rot-grün-rot regierte Bremen betonte, man sei gegen „diskriminierende Maßnahmen wie etwa weitere, über die gegenwärtige Rechtslage hinausgehende, Arbeitspflichten oder Bezahlkarten, die keine Bargeldabhebungen ermöglichen“.
Thüringen unter dem linken Ministerpräsdenten Bodo Ramelow mahnte an, Arbeitsfähigen und -willigen rasch Zugang zu Beschäftigung zu gewähren.
Bayern wiederholte die von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bereits geforderte „Integrationsgrenze“ und betonte, dafür seien „Rechtsänderungen auch verfassungsrechtlicher Art“ zu prüfen und zu diskutieren. Man habe die Protokollnotiz von Bayern zur Kenntnis genommen, sagte SPD-Mann Weil dazu. Und: „Die alternativen Vorstellungen des Kollegen sind uns in der Konferenz verborgen geblieben.“
Auch die Bundesregierung war – wohl auch als Konsequenz auf die Wahlergebnisse bei den Landtagswahlen am Wochenende – bereits tätig geworden. Innenminiserin Nancy Faeser (SPD) hatte am Mittwoch einen Gesetzentwurf vorgelegt, der Abschiebungen erleichtern soll und dafür zahlreiche Verschärfungen vorsieht, etwa die Abschiebehaft verlängern zu wollen. Zugleich hat sich die Ampel-Koalition auf weitere Maßnahmen verständigt. So sollen bestehende Arbeitsverbote für Geflüchtete gelockert werden.
Mehr Geld vom Bund gegen Sachleistungen
In dem Papier, das Scholz mit Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) am Dienstag besprochen hatte, wird auch die Möglichkeit betont, dass Länder und Kommunen Sachleistungen statt Geldleistungen gewähren können. Positiv aufgenommen werden auch die Vorschläge aus den Ländern, arbeitsfähige Geflüchtete zu gemeinnütziger Arbeit heranzuziehen.
Habeck sagte am Freitag in der ARD, dass er mit einer Zustimmung der grünen Bundestagsfraktion zu diesem Paket rechne: „Ich habe das Verhandlungsmandat gehabt.“ Er betonte, dass die mit Scholz und Lindner ausgehandelten Beschlüsse nur als Paket kommen würden. Habeck wollte aber nicht ausschließen, dass sich auf dem Weg bis zu einem Bundestags-Beschluss noch „der ein oder andere Punkt“ ändern könne. Aus der grünen Bundestagsfraktion gab es bereits deutliche Kritik.
Lindner wiederum will den Wechsel von Sach- zu Geldleistungen zur Bedingung für eine höhere Kostenbeteiligung des Bundes machen. Die „Anreize des Sozialsystems“ müssten reduziert werden, sagte er der Rheinischen Post. „Deshalb kann die Kostenbeteiligung des Bundes nicht getrennt vom Wechsel auf Sachleitungen geklärt werden.“
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