piwik no script img

Streit um Hoffnungsträger WasserstoffKanzlerkandidat Merz glaubt nicht an grünen Stahl

Die deutsche Industrie soll mit Wasserstoff klimaneutral umgebaut werden. Doch bisherige Pläne für die Produktion enttäuschen, zeigt eine Studie.

Kostet viel Energie: Stahlproduktion bei Thyssenkrupp Steel Foto: Federico Gambarini/dpa

Berlin taz | Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz stößt mit seinen Zweifeln an einem schnellen Umstieg auf eine wasserstoffbetriebe Stahlproduktion auf heftige Kritik. „Wer nicht an grünen Stahl glaubt, befördert das Ende der Stahlindustrie in Deutschland – mit fatalen Wirkungen weit über die Branche hinaus“, sagte der IG-Metall-Vizevorsitzende Jürgen Kerner.

Merz hatte am Montagabend bei einer Konferenz des Arbeitnehmerflügels der CDU, der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft Deutschlands (CDA), Zweifel an der Verfügbarkeit von Wasserstoff geäußert. „Ich glaube persönlich nicht daran, dass der schnelle Wechsel hin zum wasserstoffbetriebenen Stahlwerk erfolgreich sein wird“, sagte er. Merz hält die Stahlproduktion mit Wasserstoff gegenüber der konventionellen Herstellung für zu teuer.

Wasserstoff gilt als Hoffnungsträger für den klimagerechten Umbau der Industrie. Wird Wasserstoff aus erneuerbaren Energien hergestellt, ist er CO2-neutral und eine Alternative zu klimaschädlichen Brennstoffen wie Kohle und Gas, vor allem in der Stahlproduktion. Noch gibt es weder eine Infrastruktur für den Transport noch Produktionsstätten in großem Stil. Um das zu ändern, hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eine sogenannte Wasserstoffstrategie und Pläne für ein Transportnetz vorgelegt.

Danach soll ein großer Teil aus dem Ausland kommen. Die Bundesregierung fördert Pilotprojekte für die grüne Stahlproduktion. Merz’ Aussage sei ein Schlag in das Gesicht der Beschäftigten, sagte Habeck am Dienstag in Berlin. „Denn sie kann nur so übersetzt werden, dass die deutsche Stahlproduktion zu Ende geht.“ In den 2030er Jahren werde es keinen Markt für konventionell erzeugten Stahl mehr geben.

An der Frage des grünen Stahls hingen Zehntausende Arbeitsplätze, erklärte IG-Metall-Mann Kerner. Der Umbau der Stahlindustrie werde zurecht mit öffentlichen Geldern in Millionenhöhe unterstützt, auch von der CDU-geführten Landesregierung in Nordrhein-Westfalen. Die IG Metall erwarte von der Bundesregierung Verlässlichkeit. „Planungssicherheit ist für die Unternehmen unerlässlich.“

Kaum Projekte realisiert

Grüner Wasserstoff könne zum Einsatz komme, sobald er bezahlbar zur Verfügung stehe, so die IG Metall. Doch genau das ist das Problem. Eine Studie des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) kommt zu dem Ergebnis, dass Projekte zur Erzeugung von Wasserstoff weltweit deutlich hinter den Erwartungen zurückbleiben. Im Jahr 2023 wurden weniger als 10 Prozent der angekündigten Produktion tatsächlich realisiert.

Der Studie zufolge haben mehr als 60 Länder Strategien entwickelt, um Wasserstoff im großen Stil marktfähig zu machen. Weltweit gibt es der Studie zufolge 1.232 Projekte für die Produktion von grünem Wasserstoff. „In den vergangenen drei Jahren haben sich die globalen Projektankündigungen für grünen Wasserstoff fast verdreifacht“, sagt PIK-Forscher und Studienleiter Adrian Odenweller.

Aber nur 7 Prozent der ursprünglich für 2023 in Aussicht gestellten Produktionskapazitäten seien 2023 auch fertiggestellt worden. Gründe für dieses enttäuschende Ergebnis sind gestiegene Produktionskosten, die fehlende Zahlungsbereitschaft potenzieller Abnehmer und die Unsicherheit darüber, wie die Förderung der Produktion und gesetzliche Vorgaben künftig aussehen werden.

Forscher lehnen dauerhafte Subventionen ab

Ein großes Problem ist die Finanzierung der Projekte. Die global angekündigten Fördermittel liegen weit hinter dem Bedarf, der für eine Realisierung bis 2030 nötig ist. Nach Einschätzung der Forscher sind zusätzliche Mittel in Höhe von etwa 1 Billion US-Dollar (rund 970 Milliarden Euro) erforderlich. Dauerhafte Subventionen lehnen die Forscher ab.

Stattdessen schlagen sie vor, grünen Wasserstoff zum Beispiel über feste Quoten in bestimmte Bereiche zu lenken, etwa in die Luftfahrt, die Stahl- oder der Chemiebranche. Als Vorbild nennen sie eine EU-Regelung: Sie schreibt vor, dass ab 2030 Flugzeugsprit synthetische Beimischungen auf Basis von Wasserstoff enthalten muss. Die Quote soll bis 2050 auf 35 Prozent steigen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • tja, in der Tat ein Dilemma, bei dauerhaft knappteurem Wasserstoff. Doch Merz´ favorisierte Kernfusion ist im Vergleich eine noch viel größere Illusion/Halluzination

  • Okay, aber was machen wir jetzt wenn die deutsche Stahlproduktion einfach zu teuer sein wird?

    Wäre China eine eine Option? Dort laufen Kohleöfen für die Stahlproduktion (nach offiziellen Angaben) ohnehin bis 2060 weiter.

  • Ich glaube auch nicht an "grünen Stahl", also zumindest nicht in den kommenden 30 Jahren. Dafür bräuchten wir doch erst mal ausreichend Produktionskapazitäten für den Wasserstoff.

    Ich frage mich allerdings, ob Herr Habeck wirklich an die kurzfristige Einführung glaubt. Für mich klingen seine Aussagen wie "niemand hat vor eine Mauer zu errichten" oder "die Rente ist sicher".

  • Wenn die Energiepolitik nicht schnellstens geaendert wird, wird es keine Stahlindustrie mehr geben, die gruenen Stahl produzieren koennte:



    "„Wir haben mehr als eine Verdoppelung der Energiekosten von 2019 bis heute bei ungefähr gleicher Produktion“, rechnet Großmann vor und nennt auch Zahlen. 2019 habe ihr Unternehmen rund 37 Millionen Euro für Strom, Gas und Netzentgelte bezahlt, heute seien es 84 Millionen Euro – inklusive aller Entlastungen und Kompensationen. Wenn das so weitergeht und es keine Signale gibt, sind es nur noch ein paar Monate“, kündigt die Unternehmerin an. „Wir gehen jeden Tag näher an den Abgrund.“



    (Grossmans Georgsmarienhütte gehoert hinter Thyssenkrupp, Salzgitter und ArcelorMittal zu den groessten Stahlherstellern in Deutschland.)

    Aber vielleicht liegt Herr Kerner von der IG-Metall auch richtig und Frau Grossman fehlt einfach nur der Glaube an den gruenen Wasserstoff.

  • "Kanzlerkandidat Merz glaubt nicht an grünen Stahl



    Die deutsche Industrie soll mit Wasserstoff klimaneutral umgebaut werden. Doch bisherige Pläne für die Produktion enttäuschen, zeigt eine Studie. "



    Aber Kernfusion ist für den Mann im Grunde bereits in Serie.



    Seltsame Denke, seltsame Denke...

  • "Dauerhafte Subventionen lehnen die Forscher ab."

    Dann liegt Merz wohl richtig