Streit um Heimerziehung: Wieder Kinder wegschließen?
Der Hamburger Senat will ein Heim für 9- bis 13-Jährige bauen, das teilweise geschlossen sein soll. Fachleute halten das für eine schlechte Idee.
Acht Jahre schon lebt die Stadt ohne ein solches Heim, auf das der Titel anspielt. Damals wurden die Haasenburg-Heime in Brandenburg dichtgemacht, die Hamburg kräftig mitnutzte. Nun soll es wieder ein Heim in der Stadt geben, so wie Anfang der 2000er die Feuerbergstraße. Auf einer Wiese am Klotzenmoorsteig nahe des Flughafens startet im Frühjahr 2025 der dritte Versuch.
Laut der Bau-Ausschreibung sollen drei oder vier Gebäude so zueinander stehen, dass ein „geschützter Innenhof-Charakter“ entsteht. Bei der Planung seien neben Geborgenheit Sicherheitsaspekte wichtig. Das erinnert an den Atrium-Hof der Feuerbergstraße, in dem die Eingeschlossenen frische Luft bekamen.
Geplant ist die Einrichtung für Kinder zwischen neun und 13 Jahren, die dort bis zu zwei Jahre bleiben. Laut einer Präsentation der Sozialbehörde sei sie „hochstrukturiert“ und führe „je nach Einzelfall auch freiheitsentziehende Maßnahmen“ durch. Es gebe drei Phasen: Clearingphase, Entwicklungsphase, Verabschiedungsphase. Doch da Freiheitsentziehung nur für die erste Phase und nur personenbezogen geplant sei, wäre es kein geschlossenes Heim.
Im Grünen-Wahlprogramm von 2015 hieß es, man lehne „geschlossene Heime in der Jugendhilfe ab“. Auch im Wahlprogramm 2020 fand sich dieser Passus. Allerdings mit der Betonung, man lehne solche Heime für „delinquente“ Kinder und Jugendliche ab. Da aber zwischen Jugendhilfe und Psychiatrie Kinder häufig wanderten, wolle man die Zusammenarbeit verbessern.
In den Koalitionsgesprächen zimmerte Rot-Grün daraus dann den Plan für das neue Heim, für Kinder mit „herausfordernden Entwicklungsverläufen“, die – so heißt es in einem Papier – nicht in ihre „Herkunftssysteme“ zurück können, bevor sie neues Verhalten erlernen.
Schon vor Wochen warnte der Alternative Wohlfahrtsverband Soal, so ein Heim widerspreche den Kinderrechten. Auch fehle der Beleg, dass es diese Zielgruppe gebe.
Eine weitere Frage ist: Wieso wird im Jahr 2022 noch mit dem sogenannten Phasenmodell geplant? Weiß man doch aus früheren Heimen, dass Kinder in solchen Anfangsphasen oft viel zu lange verweilen. Sogar der Deutsche Ethikrat positionierte sich im Herbst 2018 kritisch: Derlei Konzepte, bei denen „regelkonformes Verhalten“ durch Aufstieg in die nächste Phase belohnt und „regelwidriges Verhalten“ durch Abstieg in eine weniger privilegierte Phase bestraft wird, seien „nicht zu rechtfertigen“. Sie führten zu Ohnmacht und Resignation.
Die Antwort der Sozialbehörde: Es sei falsch, dass Kinder sich Freiheiten in Phasen verdienen müssen. „Dies ist in der Einrichtung ausdrücklich nicht geplant.“ Die drei Phasen beschrieben nur „zeitliche Abläufe wie in jeder anderen Einrichtung auch“.
Die grüne Jugendpolitikerin Britta Herrmann sieht das genauso; es handle sich hier um ein „Missverständnis“. Alle Phasen könnten in bis zu zwei Jahren durchlaufen werden „orientiert an der individuellen Situation des Kindes“.
Unter den 150 Fachleuten, die sich am Freitag auf Einladung des Aktionsbündnisses gegen geschlossene Unterbringung und des Arbeitskreises kritische soziale Arbeit zur Tagung trafen, herrschte allerdings Ablehnung. Ohne Gegenstimme wurde ein Appell an den Senat verabschiedet, auf den Klotzenmoorstieg zu verzichten. Psychisch erkrankte Kinder bräuchten Hilfen, aber keinen „harten Ausschluss“ in Spezialeinrichtungen.
Grüne wollen Opposition einbinden
In dem Workshop, der sich mit dem Klotzenmoorstieg befasste, nannte eine Sozialarbeiterin den Plan, Neun- bis 13-Jährige einzusperren, gar „ein Verbrechen“. „Der Lackmustest ist, ob dort der Übergang von einer zur nächsten Phase doch am Verhalten des Kindes gekoppelt ist“, sagte Workshop-Leiter Timm Kunstreich. Kritisch sei auch, dass die Kinder intern beschult und zwei Jahre aus ihrem Umfeld rausgerissen würden. „Die meisten Betroffenen wollen so normal leben wie alle anderen auch“, sagte die frühere Jugendpsychiaterin Charlotte Köttgen.
Soal schlägt derweil Alternativen vor: Mitarbeiter der regulären Jugendhilfe wünschten sich zum einen psychologische Sprechzeiten in Wohngruppen, etwa um Mitarbeitende zu entlasten. Außerdem seien Notschlafstellen in externen psychiatrischen Einrichtungen sinnvoll, falls die anderen Kinder mal eine „Auszeit“ bräuchten. Dafür, sowie für weitere therapeutische Angebote, könnte man die geplanten Häuser nutzen.
Die Grünen tun nun etwas Ungewöhnliches. Ein neues Gremium, bestehend aus den Obleuten des Familienausschusses, soll die Entwicklung des pädagogischen Konzeptes begleiten. Damit wären die Fachsprecher der Opposition, die gern kritische Anfragen stellen, eingebunden.
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