Debatte über Hilfesysteme für Kinder: Besser kein geschlossenes Heim

Fachleute kritisieren Hamburgs Pläne für ein neues Heim für Kinder, die zwischen Psychiatrie und Jugendhilfe pendeln. Besser wäre Hilfe im Sozialraum.

Junger Mensch steht in einem Zimmerfenster und guckt raus

Kinder mit Problemen sollen Hilfe im Stadtteil bekommen Foto: Paul Zinken/dpa

Hamburg taz | Noch ist nichts gebaut, doch am Klotzenmoorstieg im Norden von Hamburg soll nach Plan des rot-grünen Senats ein neues Heim für Kinder von 9 bis 13 Jahren entstehen, die solche Probleme haben, dass sie Schulen und Jugendhilfe überfordern. „Die Kinder werden da mehr oder weniger geschlossen untergebracht, je nachdem, was vom Familiengericht erlaubt wird. Dagegen wenden wir uns“, sagt Timm Kunstreich vom Aktionsbündnis gegen geschlossene Unterbringung (AgU).

Er hofft, die Einrichtung, die 2024 fertig sein soll, noch zu verhindern. Denn besser als eine neue Spezial-Institution wären individuelle Hilfen im Stadtteil. Gemeinsam mit dem Arbeitskreis kritische Sozialarbeit lädt das Bündnis für Dienstag ab 18.30 Uhr zur Online-Diskussion. Titel: „Weder Therapie noch Strafe!“

So lautete ein Slogan aus den 1980ern, als geschlossene Heime aufgelöst und die Jugendhilfe modernisiert wurden. Mit dem Verzicht auf stigmatisierende ­Diagnosen seien damals Heim-, Psychia­trie und Knastkarrieren verhindert worden, so die Einladung. Diese Haltung habe zum Abbau von Heimplätzen und Psychiatriebetten geführt.

Psychiatrie gewinnt die Oberhand

Doch seit den 1990ern gebe es einen Druck auf die Soziale Arbeit, die Klienten wieder zu pathologisieren. „Es gab schon immer eine Konkurrenz zwischen Jugendhilfe und Jugendpsychiatrie, wobei zunehmend die Psychiatrie die Oberhand gewonnen hat“, sagt Sozialwissenschaftler Kunstreich. Solche Kooperationseinrichtungen zwischen Psychiatrie und Jugendhilfe nähmen bundesweit zu.

Sie vereine, dass die Kinder als stark defizitär eingestuft würden, etwa als „Systemsprenger“, sagt er. Soziale Konflikte würden wieder verstärkt als individuelle Krankheitsbilder umgedeutet. Und zwischen Jugendhilfe und Psychiatrie sei ein „Drehtüreffekt“ entstanden.

Darum soll am Dienstag Charlotte Köttgen, Ärztin für Jugendpsychiatrie und frühere Behördenleiterin, mit dem Kinder- und Jugendtherapeuten Michael Schroiff darüber reden, wie es anders gehen kann. Etwa, wie eine gemeinsame Arbeit Therapie und Strafe ersetzen kann. „Die Grundidee, etwas gemeinsames zu schaffen, ist richtig“, sagt Kunstreich. „Aber es sollte keine Institution sein“.

Zoom-Diskussion: Di, 8. 6., 18.30 Uhr, Zugang unter https://t1p.de/jsd4

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