Streit um Habersaathstraße: Weg frei für Abriss
Das Bezirksamt Mitte beschließt eine Vereinbarung über den Abriss der Habersaathstraße 40–48. Die Mieter*innen sprechen von Erpressung.
Demnach wird der Abriss des ehemaligen Schwesternwohnheims mit seinen 120 Wohnungen genehmigt, im Gegenzug erklärt sich der Eigentümer zu Zugeständnissen bereit. „Das Bezirksamt ist überzeugt, dass seine heutige Entscheidung die beste aller schwierigen Handlungsalternativen ist“, teilte Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) am Dienstagnachmittag mit. „Sie ermöglicht die schnelle Schaffung von neuen Wohnungen, geht fair mit den verbliebenen Mieter*innen um und bietet den Menschen eine Zukunftsperspektive, die dort seit Januar eine neue Heimat gefunden haben.“
Bereits am späten Montagnachmittag hatte von Dassel die verbliebenen 9 Mietparteien zu einem Gespräch geladen, um ihnen die Vereinbarung darzulegen. Anwesend bei dem zweieinhalbstündigen Treffen, das Teilnehmer*innen als „relativ hitzig“ beschreiben, waren auch Bezirksstadtrat Ephraim Gothe (SPD), 5 Altmieter*innen sowie Vertreter*innen des Berliner Mietervereins und der rund 60 Obdachlosen, die seit Anfang des Jahres in dem Gebäude wohnen.
Der Vergleichsvorschlag, der der taz in Auszügen vorliegt, sieht vor, dass die Altmieter*innen nach dem Abriss und der Fertigstellung des Neubaus in neue und gleichartige Wohnungen einziehen können. Ihre derzeitige – sehr niedrige – Miete soll für zehn Jahre nur moderat erhöht werden können –, bis maximal 7,50 pro Quadratmeter, wobei die Miete nicht mehr als 30 Prozent der Einkommen betragen darf. Alternativ können sie eine Abfindung in Höhe von 1.000 Euro pro Quadratmeter erhalten.
Ersatzwohnungen für 7,92 Euro pro Quadratmeter
Die Arcadia Estates verpflichtet sich, „wesentlich mehr Wohnraum“ zu errichten als bisher und 91 Ersatzwohnungen für im Durchschnitt 7,92 Euro netto kalt zu vermieten – so wie es im Zweckentfremdungsverbotsgesetz vorgesehen ist. Sollte diese Regelung entfallen, will die Arcadia 30 Prozent der neuen Wohnungen (91 Ersatzwohnungen plus zwischen 40 bis 50 zusätzlich zu bauende Wohnungen) je zur Hälfte für 6,50 Euro und 8,20 Euro pro Quadratmeter vermieten. Das Bezirksamt bekommt für zehn Jahre ein Vorschlagrecht für die Auswahl der Mieter*innen.
Da der Eigentümer damit alle Anforderungen des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes einhalte, sehe sich der Bezirk gezwungen, die Abrissgenehmigung zu erteilen, heißt es. „Um den Abriss von schützenswertem Wohnraum in Fällen wie der Habersaathstraße zukünftig zu verhindern, müsste das geltende Zweckentfremdungsgesetz geändert werden. Hier besteht dringender Handlungsbedarf durch den Landesgesetzgeber“, so Bezirksbürgermeister von Dassel.
Für den stellvertretenden Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Sebastian Bartels, ist die Vereinbarung eine „wohnungspolitische Katastrophe“. Die Abfindung sei angesichts der hohen Mietpreise zu niedrig, die 10-Jahres-Garantie zu kurz und die 30 Prozent günstige Wohnungen zu wenig. Hier zeige sich, dass das Zweckentfremdungsverbot „ein relativ schlechtes Gesetz“ sei. „Das muss so schnell wie möglich nachgeschärft werden“, sagt Bartels zur taz.
Zweckentfremdungsverbot unzureichend
Bartels fordert unter anderem eine Quote für mietpreisgebundene Wohnungen. Die müsste bei mindestens 50 bis 60 Prozent liegen, wie es etwa in München der Fall sei. Auch müssten Bezirke den Abriss von Gebäuden im Interesse des Klimaschutz verhindern können. Ähnlich äußert sich am Dienstag auf Twitter die wohnungspolitische Sprecherin der Grünen, Katrin Schmidberger, die eine Reform des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes inklusive Abrissverbot fordert.
Daniel Diekmann, Vorsitzender des Mieterrats der Habersaathstraße
Der Vergleich kommt allerdings nur zustande, wenn mindestens fünf Mietparteien zustimmen. Ob es dazu kommt, ist unklar. „Wir werden die Vereinbarung wohlwollend prüfen“, sagt Daniel Diekmann, der Vorsitzende des Mieterrats, zur taz. Ihn ärgert insbesondere, dass der Eigentümer die ehemaligen obdachlosen neuen Bewohner*innen nur dann bis zum Abriss in dem Haus dulden will, wenn die Einigung zustande kommt. „Wir sollen unsere unbefristeten Werksmietverträge verschenken, damit die Obdachlosen hier bleiben können. Das ist Nötigung und Erpressung“, findet der 54-Jährige. „Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen“, stellt er klar.
Rekommunalisierung des Gebäudes gefordert
Bis 15. Juli haben die Altmieter*innen nun Zeit, über den Vorschlag zu entscheiden. Kommt der Vergleich nicht zustande, erhält der Eigentümer trotzdem die Abrissgenehmigung – nur eben ohne Zugeständnisse. Abreißen kann er dann aber trotzdem nicht, vorher müsste er die Altmieter*innen rausklagen – was Jahre dauern kann. „Wir werden das jetzt besprechen, uns vom Mieterverein beraten lassen und ein Rechtsgutachten erstellen“, kündigt Diekmann an. Dem Bezirk wirft er vor, Investoren den roten Teppich auszurollen, ohne sich um die Rechte der Mieter*innen zu kümmern. „Das kann so nicht weitergehen mit dem Ausverkauf der Stadt.“
Das sieht die Initiative „Leerstand hab ich Saath“ ähnlich. Mit einer Kundgebung protestierte sie am Montag gegen den Abriss des Gebäudes. Mit der Genehmigung des Abrisses lasse Stephan von Dassel die Menschen im Stich, die in der Habersaathstraße ein neues Zuhause gefunden haben und belohne den Eigentümer für seine Spekulation mit Leerstand mit Profiten, kritisiert Sprecherin Valentina Hauser. Auch aus Umwelt- und Klimaschutzgründen sei der unnötige Abriss „Wahnsinn“. Die Initiative sieht nun den Senat in der Pflicht: „Wir fordern, dass das Land den Abriss verhindert, die Gebäude in der Habersaathstraße beschlagnahmt und rekommunalisiert.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut