Streit um Berliner Ali-Baba-Spielplatz: Guter Mond, schlechter Mond
Eine Mondsichel auf einem Berliner Spielplatz ist heftig umstritten. Die Debatte ist beispielhaft für den deutschen Umgang mit dem Islam.
Ein Spielplatz in Neukölln hat es Anfang des Monats in die Schlagzeilen der an Nachrichten nicht armen Medien in der Türkei geschafft. „In der deutschen Hauptstadt Berlin haben Halbmond- und Zwiebelturm-Symbole auf einem dem Märchen ‚Ali Baba und die vierzig Räuber‘ nachempfundenen Spielplatz politische Diskussionen entfacht“, berichtet eine türkische Nachrichtenagentur.
Die Meldung nehmen verschiedene Zeitungen auf, von regierungsnaher bis oppositioneller Ausrichtung. Rassistische Kommentare in den sozialen Medien hätten den Spielplatz auf die politische Tagesordnung gebracht, so die Meldung weiter. Nun ist der Ali-Baba-Spielplatz in Berlin-Neukölln unter Polizeischutz am Nikolaustag eröffnet worden.
In den Wochen zuvor war die Aufregung über die Mondsichel einmal durch den Durchlauferhitzer gelaufen: Anfangs das Foto des Zwiebelturm-Klettergerüsts in den sozialen Medien, das Nutzer als Moschee identifizierten, dann das hinlänglich bekannte Reiz-Reaktionsschema aus rechter Hetze gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ und Medien, die das Thema dankbar aufgreifen. Es folgt weitere Empörung in den Kommentarspalten und sozialen Medien über religiöse Symbole auf Kinderspielplätzen.
Die Diskussion löst sich komplett von der analogen Welt ab, bläht sich im Internet auf. Es geht nicht mehr um den konkreten Spielplatz in Neukölln, es geht ums Prinzip. Der Streit um den Halbmond wird zum Zeichen, und wie man es deutet, hängt davon ab, auf welcher Seite man sich positioniert.
Zwischen Faszination und Abwehr
Für die einen – unter anderem für die AfD – ist die Mondsichel ein „islamisches Herrschaftssymbol“, das auf einem deutschen Spielplatz nichts verloren hat. Andere verteidigen den Themen-Spielplatz und sprechen von einer absurden Debatte. Das sei keine Moschee, sagt die Neuköllner Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), sondern „eine orientalische Burg“.
Doch geht es wirklich darum, ob das Klettergerüst nun eine Moschee oder eine „orientalische Burg“ ist? Oder steht die Aufregung über die Mondsichel vielmehr für den orientalistischen Umgang mit dem Anderen? Auf der einen Seite der geheimnisvolle Orient als Abenteuer, auf der anderen der bedrohliche islamisch-arabische Kulturkreis: Ob positiv oder negativ besetzt, es kommt darin eine stereotype Wahrnehmung zum Ausdruck, die zwischen Faszination und Abwehr oszilliert.
Der Streit sagt vor allem etwas aus über Projektionen und Imaginationen des Anderen in Deutschland. Wie hier also der Islam und Muslime zum Anderen gemacht werden, um manche Deutsche in ihrer eigenen Identität zu vergewissern. Leitkultur und so. Das geht einher mit starker Vereinfachung, Klischees und Stereotypen. Der Orient als Schablone, anhand der viele Deutsche das eigene Selbstverständnis aushandeln. Alles alt bekannt seit Edward Said.
Und dennoch: Dass ein Halbmond heute noch – oder wieder – das Potenzial hat, eine solche Debatte zu entfachen, zeigt, wie eindimensional das Bild von Islam und Muslimen in Deutschland immer noch ist. Und dass es hierzulande noch eine Menge an Auseinandersetzungen zu unserem Selbstverständnis zu führen gibt. Vielleicht lohnt sich fast 40 Jahre nach dem Erscheinen von Edward Saids „Orientalism“ mal wieder ein Blick in das Grundlagenwerk der postkolonialen Theorie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Habeck fordert Milliardärssteuer
Wer glaubt noch an Robert Hood?
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Mehr Zugverkehr wagen
Holt endlich den Fernverkehr ins Deutschlandticket!
Vorteile von physischen Spielen
Für mehr Plastik unterm Weihnachtsbaum
Gründe für das Aus der SPD-Kanzler
Warum Scholz scheiterte