Streit über umstrittenes Pestizid: Paulus rechnet mit Glyphosatlizenz
Die grüne Europaabgeordnete Jutta Paulus sieht keine Mehrheit der EU-Staaten gegen das Ackergift. Deutschland könne den Einsatz einschränken.
taz | Die EU wird das umstrittene Pestizid Glyphosat der grünen Europaabgeordneten Jutta Paulus zufolge wohl weiter erlauben. „Ich glaube nicht, dass wir das Auslaufen der Zulassung erleben werden“, sagte die Umweltpolitikerin aus Rheinland-Pfalz der taz. „Dass es unter den EU-Ländern eine ausreichende Mehrheit gegen den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine neue Zulassung gibt, halte ich derzeit für sehr, sehr unwahrscheinlich, weil die osteuropäischen Länder kein Problem mit Glyphosat haben.“ Deren Stimmen reichten aus, um eine qualifizierte Mehrheit – 55 Prozent der EU-Mitgliedstaaten, auf die mindestens 65 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung entfallen – zu verhindern. Sollte diese Mehrheit nicht zustande kommen, darf die EU-Kommission ihren Vorschlag allein umsetzen.
Glyphosat ist der weltweit meistverkaufte Pestizidwirkstoff. Die Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation bewertete ihn 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ – mit Glyphosat gefütterte Säugetiere hatten Tumore entwickelt. In den USA verurteilten daraufhin mehrere Gerichte Bayer zu hohen Schadenersatzzahlungen an KlägerInnen, die ihre Krebserkrankung auf den Unkrautvernichter zurückführen. Der Konzern beruft sich dagegen auf verschiedene Zulassungsbehörden, die Glyphosat als sicher einstufen. Das Gift tötet so gut wie alle nicht gentechnisch veränderten Pflanzen und damit auch Nahrung für Vögel und Insekten. Deshalb gilt es Umweltschützern als Gefahr für die Artenvielfalt.
„Ich sehe Spielraum, dass der Kommissionsvorschlag noch mal stärker eingeengt wird, dass vielleicht nicht alle 23 Glyphosat-Anwendungen durchgehen, dass man vielleicht nur für 5 Jahre zulässt und nicht für 10“, so Paulus. Denn es zeichne sich ab, dass die Behörde auch keine qualifizierte Mehrheit für ihren derzeitigen Vorschlag bekomme. Die Behörde würde dann wohl aus politischen Gründen einen Kompromiss vorschlagen, so die Grünen-Politikerin.
Deutschland soll Einsatz einschränken
Klar ist für Paulus, dass nach einer EU-Zulassung Deutschland das Pestizid nicht völlig auf seinem Gebiet verbieten darf. „Luxemburg hatte ja ein Verbot, und das dortige Verwaltungsgericht hat gesagt: Wenn der Wirkstoff auf EU-Ebene zugelassen ist, dann dürft ihr Produkte mit diesem Wirkstoff nicht einfach verbieten.“ Die Ampelkoalition hat aber versprochen, Glyphosat bis Ende des Jahres vom Markt zu nehmen. „Wenn man das jetzt nicht eins zu eins erfüllen kann, dann sollte die Koalition zumindest die Glyphosatanwendung so stark, wie es das EU-Recht erlaubt, einschränken.“
Deutschland könne zum Beispiel vorschreiben, dass der Abstand zu Gewässern nicht nur 5, sondern 50 Meter betragen muss, „weil es ist nun wirklich völlig unstrittig, dass Glyphosat chronisch giftig ist für Wasserorganismen“. Das bestätige auch die offizielle Kennzeichnung der Europäischen Chemikalienagentur.
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