Neue Studie zu Insektensterben: Leise summt das kleine Krabbeln
Die Anzahl der Insekten ist weiterhin auf einem niedrigen Niveau, so eine Studie. Naturschutzgebiete helfen, reichen aber nicht aus.
Wenn es irgendwo noch summt und brummt, dann in den Naturschutzgebieten, würde man meinen. Doch auch dort geht die Gesamtmenge an Fluginsekten seit Jahrzehnten zurück, wie die Biomasse-Studie von 2017 zeigte. Als Langzeitstudie zeigte sie, dass zwischen 1989 bis 2016 die Gesamtmasse der Fluginsekten in 63 Naturschutzgebieten um 76 Prozent abgenommen hat.
Gebessert hat sich die Lage der Krabbeltiere nicht, zeigt eine neue Studie, die, die am Sonntag auf einen Preprint Server veröffentlicht wurde. „Ausgehend von den 2017 veröffentlichten Insektenbiomassen ist derzeit keine Erholung für die Jahre 2020 und 2021 erkennbar“, sagt Thomas Hörren, Vorsitzender des Entomologischen Vereins Krefeld (EVK).
In 21 Naturschutzgebieten verteilt über ganz Deutschland hat die Projektgruppe Diversität von Insekten in Naturschutz-Arealen (DINA), ein vom Bund gefördertes Projekt, gemeinsam mit dem EVK die Insektenbestände in den Sommermonaten über die zwei Jahre gemessen.
Im Aufbau lehnt sich die aktuelle Studie an die Langzeitstudie von 2017 an. Mithilfe sogenannter Malaisefallen haben die Forschenden die Anzahl der Tiere ermittelt. Die Fallen sind zeltartig aufgestellte Netze, in denen Fluginsekten in einen Behälter geleitet und getötet werden.
Insektensterben über Nord-Süd-Achse
Mit ihrer Studie konnten die Forschenden nun an die Arbeiten von 2017 anschließen. Dabei ist die jetzige Studie über ein breiteres Gebiet angelegt: Während die vorherige nur drei Gebiete in Ost und West abdeckte, untersuchten die Forschenden die Insektenbestände nun in zehn Bundesländern. Nur der Alpenraum ist nicht abgedeckt. Sie konnten dabei nachweisen, dass die Anzahl der Insekten auf weiterhin niedrigem Niveau ist.
„In dem Ausmaß haben wir das Ergebnis nicht erwartet“, sagt Roland Mühlethaler. Er ist Referent des Naturschutz-Bundes (Nabu) für das Projekt und hoffte vor der Studie, dass die Insektenbiomasse in manchen Gebieten besser aussehen würde. Beispielweise im Schwarzwald, in dem weniger intensive Landwirtschaft stattfindet. Neben der Landwirtschaft beeinflussen auch Lichtverschmutzung und andere Landnutzung wie Straßenverkehr negativ die Anzahl der Insekten.
Das Insektensterben ist eine Belastung für das gesamte Ökosystem. Insekten dienen vielen Vögeln, Reptilien und Säugetieren als wichtige Nahrungsgrundlage und sind als Bestäuber für viele Kultur- und Wildpflanzen unerlässlich. Zudem fressen sie auch Schädlinge und bilden eine Grundlage für gesunde Böden.
Insbesondere betrachten die Forschenden die Rolle der Landwirtschaft in Bezug auf die Biomasse. Dafür stellten sie in allen Gebieten jeweils fünf Fallen auf. Startpunkt auf Ackerland, Endpunkt mitten im Schutzgebiet. Nach Angabe der Studie beeinflusst der Anteil der Landwirtschaftsflächen im Umkreis von zwei Kilometern die Biomasse deutlich negativ. Die Studie verdeutliche, dass geschützte Lebensräume für Insekten wichtig seien, sie in ihrer Funktion nicht ausreichten.
Schutzgebiete, die mehr schützen
Dem Verlust an Insektenbiomasse müsse dringend entgegengewirkt werden, sagt Nabu-Präsident Andreas Krüger. „Es reicht nicht, Schutzgebiete auszuweisen, wenn sie nicht konkret schützen. Wir brauchen ein Schutzgebietsnetz im Rahmen der grünen Infrastruktur, das Biotope verbindet und in dem Erhaltungsziele auch für Insekten festgelegt werden“, fordert Krüger. Zudem wären Pufferzonen, in denen insektenfreundlicher gewirtschaftet wird, zum Beispiel durch weniger Pestizide, notwendig, sagt Referent Mühlethaler.
Dass es weiterhin summt und brummen muss, darin war sich nach 2017 auch die Politik einig. Im Jahr 2021 beschlossen Bundestag und Bundesrat ein Insektenschutzpaket, das 2022 in Kraft trat. Ein wichtiger Punkt in dem Gesetz beschäftigt sich mit der Nutzung von Glyphosat in der Landwirtschaft, die das Gesetz einschränkte.
Auf ihrer Webseite schreibt das Bundesministerium für Umwelt: „Mit dem Verbot ist ein großer Schritt in Richtung eines effektiven Insektenschutzes getan.“ Die Zulassung für Glyphosat sollte dieses Jahr ablaufen, doch das steht nun auf der Kippe. Nach dem Vorschlag der EU-Kommission könnte die Zulassung des umstrittenen Pestizids um zehn Jahre bis 2033 verlängert werden. In der Koalition gibt es dafür einen Befürworter: die FDP.
Leser*innenkommentare
Dieter Fend
Ihr könnt noch lange im Chor singen, daß es die Landwirtschaft ist, oder die Straßenlaternen. Aber wir wollen essen und nachts uns nicht durch die Dunkelheit tasten. Was wir aber machen könnten, ist unsere praktische Motorsense in der Garage lassen und dem Bürgermeister sagen, er solle die Grünflächen wieder so wie vor 30 Jahren pflegen, wo die Wiesen noch geschnitten wurden. Und nicht mit Mulchern gehäckselt. Wenn so ein Teil über den Grünstreifen schreddert bleibt außer zerfetzten Igeln und Eidechsen auch jede Menge Insektenhack zurück. Und zwar überall in Industrieländern. Da trifft es nicht nur Bienen und Co, sondern vor allem den Nachwuchs wie Raupen und Eigelege. Jeder Straßenmeistereiarbeiter wird zum Artenkiller, wenn er mit dem Unimog praktischerweise die Wegböschungen sauberfetzt. Das sind die Refugien, wo sich die Insekten nach ihrer Vertreibung von den Feldern noch zurückziehen konnten. Damit ists aus, Dank Ordnung und Sauberkeit. Ihr könnt noch lange über Glyphosat und Neonics diskutieren, solange ihr die Mulcher nicht verschrottet, wird das Insektensterben und dessen Folgen weiterhin prächtig gedeihen.
Woodbine
Schutzgebiete können nichts bringen, wenn der Schutz nicht eingehalten oder immer wieder aufgeweicht wird.
Die Gattung Mensch sieht sich noch immer als Krone der Schöpfung. Alle anderen Lebensformen müssen sich ihr anpassen oder aussterben.
Artenschutz scheitert daran, dass wir allen Lebensraum (zu Lande, zu Wasser und in der Luft) für uns beanspruchen. ... Und wenn ein Insekt wagt, unser Wohnzimmer zu betreten, haben wir das Giftspray zur Hand. Oder die Klatsche.
Genau DIE hat er, der Mensch.
Thomas2023
Ich habe mir die Studie mal durchgelesen. Negativer Einfluss der Landwirtschaft wird dort nur "tendenziell" dargestellt. Und das nur für eines der untersuchten Jahre und weil positive Werte auf Ackerflächen einfach rausgerechnet wurden weil sie "das Ergebnis verfälschen würden"
Schon interessant das in Naturschutzgebieten keine Besserung Auftritt. Da sollte mal lieber geforscht werden warum die Bedingungen dort so schlecht sind bevor man auf die Nachbarn schaut.
Landwirtschaftliche Flächen wird schon lange nicht mehr größer aber täglich werden riesige Flächen versiegelt die für Insekten nicht mehr zur Verfügung stehen.
31841 (Profil gelöscht)
Gast
@Thomas2023 Hier könnte mal genauer hingeschaut werden:
"Wirkung von nichtionisierender Strahlung (NIS) auf Arthropoden"
Mulot M., Kroeber T., Gossner M., Fröhlich J.; Universität Neuenburg (Schweiz), Juli 2022
www.bafu.admin.ch/...uf_Arthropoden.pdf
Bericht im Auftrag des Bundesamts für Umwelt (BAFU
Das BAFU ist ein Amt des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und
Kommunikation (UVEK).
www.bafu.admin.ch/...udien/studien.html
Uranus
Es muss um mehr als um Glyphosat gehen. Viele Pestizide sind problematisch.
Auch muss der Flächenverbrauch zurückgefahren werden - u.a. in der Landwirtschaft. Die Tierproduktion muss massiv zurückgefahren werden. Der große Flächenanteil, der bisher für die Produktion von Futtermitteln genutzt wird, muss massiv abgesenkt werden. Anstelle dieser wäre eine bio-vegane Landwirtschaft gut. Entsprechend müsste die Ernährungsweise vorherrschend vegan werden.
Biologe Dr. Mark Benecke weist seit einigen Jahren auf diesen Sachverhalt bereits hin. Hier ein aktueller Vortrag mit veranschaulichender Präsentation in einfacher Sprache:
m.youtube.com/watch?v=voKWD8HXlw4
Bolzkopf
Von 1980 bis 2020 sind die in D produzierten Insektizide um zwei Drittel zurückgegangen aber immerhin waren es 2020 immerhin noch 750 Tonnen.
Da darf es doch niemanden wundern, dass die Insekten aussterben.
Anidni
Danke Bayer, danke FDP.
Es ist zum Verzweifeln.
fly
@Anidni Es ist immer so schön einfach, wenn Artikel mit "die FDP" enden. Klar, was damit gemeint ist.
Aber Glyphosat tötet an sich erstmal keine Insekten.
Die Frage ist daher, was sind die Alternativen und wie wird das abgewägt.
Axel Donning
So lange in deutschen Naturschutzgebieten Grünland umgebrochen und Mais angebaut werden darf, wundere ich mich nicht darüber, dass sich nichts ändert.
Ajuga
@Axel Donning Weil das Privateigentum einen höheren rechtlichen Schutzwert hat als eine Unterschutzstellung durch eine untergeordnete Behörde. Konkreter Naturschutz steht in der Wichtigkeit ziemlich weit unten in der Amtshierarchie, Schutzgebiete werden über Landschaftspläne geregelt und das ist schon ein bisschen defective by design: Kohl war kein Öko, und Töpfer ist es erst in Rente geworden. Und die Nazis haben Ökologie maximal falsch verstanden. Etwas von der Art wie Yellowstone gibts im deutschen Recht nicht, unsere "Nationalparks" sind was anderes, das sind eher Fernerholungsgebiete als Wildnisschutzgebiete.
Als Regel: Solange das Land Agrarland bleibt, darf der Grundeigentümer damit fast uneingeschränkt tun, was ihm beliebt, solange das Naturschutzgebiet drumrum nicht irreparabel ge- oder zerstört wird.
Pestizideinsatz anderererseits kann in NSG verboten werden, auch auf Agrarflächen, und wird es auch meist.
Das Problem ist konkret, dass Neonicotinoide in die Kategorie "Ewigkeitschemikalien" fallen, d.h. die wandern über Jahre bis Jahrzehnte mit dem Grundwasser in NSG ein, werden von den Pflanzen dort im Nektar angereichert, und töten die Bestäuberinsekten.