Streit über Maskenpflicht: Nach der Pandemie
Jetzt, wo Corona nur noch endemisch ist, herrscht Streit über die verbleibenden Schutzmaßnahmen. Ist ein bisschen Maske echt ein so großes Opfer?
M an hätte zum Jahreswechsel an dieser Stelle gerne über etwas anderes gesprochen. Über ein Ende des Angriffskriegs gegen die Ukraine etwa oder über einen politischen Durchbruch im Kampf gegen den Klimawandel. Aber beides gibt es nicht, und so bleibt am Ende eines wenig ermutigenden Jahres doch wieder nur: Corona.
Corona also soll zu Ende oder besser Endemie sein. So hieß es zu Beginn dieser Woche aus dem Munde eines berufenen Virologen, und das klang eigentlich ganz gut, weil Endemie das Ende der Pandemie einläutet – zwar nicht sofort, aber allmählich, um nicht zu sagen: bald. Dann aber fing erst der Bundesjustizminister an zu reden, sekundiert von Kollegen aus der FDP, die auch das mit der Endemie wohl nicht richtig durchdrungen haben. Deshalb gibt es jetzt Streit – über die Maske. Anders als es die gültige Fortentwicklung des Infektionsschutzgesetzes vorsieht, möchte die FDP die Coronaschutzmaßnahmen vor dem 7. April abschaffen. Die Maske soll weg, sofort.
Längst ist der Mund-Nasen-Schutz zum Sinnbild von Beschränkungen geworden, welche von Teilen der deutschen Bevölkerung bis heute nicht als das gesehen werden, was sie immer waren: Schutzvorkehrungen, um die Menschen vor einer neuen, oft schwer oder gar tödlich verlaufenden Erkrankung zu schützen.
Inzwischen weiß man allzu gut, dass Covid auch für Überlebende einer Infektion drastische Folgen haben kann. Die Zahl der Long-Covid-Patient:innen wächst immer noch. Sich und vor allem andere vor dergleichen nicht bewahren zu müssen, obwohl man es mit einem einfachen Mittel und etwas mehr Rücksicht doch könnte, gilt aber neuerdings als Freiheitsrecht. Das Wort „Maßnahme“ geht inzwischen synonym mit „Schikane“.
Es gibt kaum noch Vorschriften
Es ist nicht das erste Mal, dass das Ende von „Schikanen“, also Maßnahmen gefordert wird. Das klingt auch immer schön engagiert und menschennah, ein sofortiges Ende „der Maßnahmen“ zu verlangen. Aber lassen Sie uns mal kurz überlegen: Um welche Maßnahmen geht es überhaupt noch?
Aktuell sind es aberwitzig wenige. In Krankenhäusern und in der Altenpflege ist die Maske Pflicht, auch Testungen sind hier noch vorgeschrieben. Den Sinn dieser Vorschrift muss man hoffentlich niemandem mehr erklären, aber falls doch: Ältere und Kranke haben auch mit einer dreifachen Impfung oft keinen guten Immunschutz. Besser also, man bringt als Gast, Neueinweisung oder Mitarbeiter:in kein Corona an die Betten und Rollstühle.
Masken müssen zudem all jene tragen, die sich in einen Fernverkehrszug der Deutschen Bahn begeben. Über diese Maskenpflicht könnte man tatsächlich streiten, weil das Bahnpersonal mit Ermahnungen selten weit kommt und es manche ohnehin schaffen, vier Stunden lang pausenlos zu essen und zu trinken und die Pflicht damit auszuhebeln.
Aber so eine Bahnfahrt dauert bisweilen doch länger als gedacht. Wer über viele Stunden mit Fremden in einem geschlossenen Raum zusammenhockt, ist vielleicht doch ganz froh, wenn die Sitznachbarinnen einem nicht ungeschützt ins Gesicht husten können. Vergleichbares gilt für die von den Ländern zu veranlassende Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr.
Breite Immunität in in Deutschland
Masken in Zügen, Bussen und Bahnen, in Kliniken und Altenheimen. Ist das wirklich zu viel verlangt in einer Zeit, in der die Krankenhäuser dank zahlreicher kursierender Atemwegserreger an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit stehen und durch ein mutwillig angefeuertes Infektionsgeschehen über diese Grenze hinweggetrieben werden könnten? Laut Infektionsschutzgesetz ist genau das eigentlich die Situation, für die die Regeln gemacht wurden. Es geht dabei noch immer um Menschenleben.
Zumal das Virus hier zwar gerade etwas dahindümpeln mag, in China pflügt es derzeit durch die Bevölkerung. Nach aktuellem Kenntnisstand ist es zwar unwahrscheinlich, dass dem Coronavirus durch diese Massenvermehrung ein Sprung über die Immunität der Geimpften in Europa gelingt, aber ausschließen lässt sich das nicht. Und: Auch in Deutschland nimmt die Zahl der Corona-Infektionen wieder zu. Da der Druck auf das Virus durch die inzwischen breite Immunität der Menschen hier besonders hoch ist, ist es sogar wahrscheinlicher, dass gefährliche neue Varianten hier entstehen statt in China.
Auch das ist Hypothese, klar. Trotzdem sollte der Blick zurück auf drei Jahre Coronapandemie doch eigentlich genügen, um der Unberechenbarkeit von Corona noch ein paar Wochen länger begegnen zu wollen – und sei es mit ein bisschen Maskentragen. Es gibt schließlich noch andere Probleme wie Krieg und Inflation. Probleme, die zum Jahresende 2023 hoffentlich genauso Geschichte sein werden wie Corona.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen