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Streit über EU-NaturschutzverordnungKonservative Desinformation

Jost Maurin
Kommentar von Jost Maurin

Anders als die CDU behauptet, stärkt die geplante EU-Verordnung für mehr Naturschutz die Ernährungssicherheit – etwa durch mehr Bestäuberinsekten.

Schöner Flusslauf Foto: Pattyn/imago

D er Umweltausschuss des Europäischen Parlaments hat vor Kurzem eine unverantwortliche Fehlentscheidung getroffen: Die Abgeordneten ließen den Entwurf der EU-Kommission für eine „Verordnung über die Wiederherstellung der Natur“ durchfallen. Das hat vor allem die Europäische Volkspartei, zu der auch CDU und CSU gehören, mit falschen Behauptungen geschafft.

Nein – das Renaturierungsgesetz wird nicht zu einer Hungersnot führen. Es stimmt nicht, dass dem Verordnungsentwurf zufolge 10 Prozent der Landwirtschaftsflächen aus der Nahrungsmittelproduktion genommen werden sollen. Das Dokument setzt nur ziemlich unverbindlich das Ziel, ein Zehntel der gesamten EU-Agrar­flä­che „mit Landschaftselementen mit großer biologischer Vielfalt zu gestalten“. Das können laut EU-Kommission etwa auch Obstbäume sein.

Wahr ist, dass auf 7,5 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Torfmoorflächen bis 2030 eine Wiedervernässung stattfinden soll. Sie würde verhindern, dass diese Böden weiterhin so viel Treibhausgas ausstoßen. Auch dieses Land sollen die Bauern weiternutzen dürfen. Die Erträge könnten insgesamt leicht sinken. Aber langfristig würden sie sonst viel stärker schrumpfen, da Dürren wegen der Klimakrise zu- und Bestäuber durch das Artensterben abnehmen.

Die Naturschutzverordnung trägt dazu bei, diese Probleme zu lösen. Sie verlangt von den EU-Staaten zum Beispiel Schritte, um den Rückgang der Bestäuberpopulationen bis 2030 zu stoppen. So stärkt sie die Ernährungssicherheit. Peter Liese (CDU), umweltpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion, hat auch behauptet, die geplante Verordnung führe dazu, dass Querbauten aus „den Flüssen“ entfernt werden müssten. Das behindere den Ausbau der Wasserkraft.

Ein Blick in den Text zeigt, dass es nur um 25.000 Flusskilometer in der gesamten EU geht. Das ist nicht viel: Schon Deutschlands Bäche und Flüsse sind laut Bundesamt für Naturschutz insgesamt etwa 400.000 Kilometer lang. Die Mitgliedstaaten sollen auch in erster Linie nur „obsolete Hindernisse“ beseitigen, die nicht mehr der Energieerzeugung dienen.

Die Verordnung schadet also nicht, sondern sie würde im Gegenteil großen Nutzen bringen. Der Text verlangt beispielsweise, dass der Anteil von Grünflächen am urbanen Gebiet jedes EU-Staats bis 2040 um mindestens 3 Prozent wächst. In allen Städten sollen Baumkronen bis 2050 wenigstens 10 Prozent der Fläche beschirmen. Das ist angesichts steigender Temperaturen infolge der Klimakrise überfällig.

Deshalb sollte die Europäische Volkspartei ihre Desinformation beenden – und bei der Abstimmung im Plenum des EU-Parlaments Mitte Juli der Vorlage zustimmen.

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Jost Maurin
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1974. Er schreibt vor allem zu Ernährungsfragen – etwa über Agrarpolitik, Gentechnik und die Lebensmittelindustrie. Journalistenpreis "Faire Milch" 2024 des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter. 2018, 2017 und 2014 gewann er den Preis "Grüne Reportage" des Verbands Deutscher Agrarjournalisten. 2015 "Bester Zweiter" beim Deutschen Journalistenpreis. 2022 nominiert für den Deutschen Reporter:innen-Preis (Essay "Mein Krieg mit der Waffe"), 2013 für den "Langen Atem". Bevor er zur taz kam, war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur Reuters und Volontär bei der Süddeutschen Zeitung.
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10 Kommentare

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  • "Wahr ist, dass auf 7,5 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Torfmoorflächen bis 2030 eine Wiedervernässung stattfinden soll. Sie würde verhindern, dass diese Böden weiterhin so viel Treibhausgas ausstoßen. Auch dieses Land sollen die Bauern weiternutzen dürfen. "

    Eine Renaturierung von Hochmoorflächen führt zum Wegfall von Grünland, das dann schlicht fehlt. Da ist dann auch nichts mehr mit "leicht geringeren Erträgen", da ist dann kein Ertrag mehr. Und wer landwirtschaftlich ein bisschen weniger intensiv genutzte Flächen als Renaturierung verkaufen will, der hat noch nie ein einem Moor gesteckt.

    tagesschau.de beschreibt die Position der EVP-Fraktion daher auch korrekt: "Nach ihrer Lesart würde das Renaturierungsgesetz nämlich dazu führen, dass weniger Fläche für Land- und Forstwirtschaft genutzt werden könnte - und das ausgerechnet jetzt, wo die Ukraine infolge des Krieges als wichtiger Lebensmittellieferant ausfalle. Die zuständige CDU-Europaabgeordnete Christine Schneider rechnet vor, dass allein in Deutschland 1,3 Millionen Hektar stillgelegt würden" ( www.tagesschau.de/...abgelehnt-100.html )

    Ich vermute mangelnden Willen und Geiz seitens der EU, angemessene Ausgleichszahlungen zu gewährleisten

    • @Rudolf Fissner:

      Nun ja. Schauen Sie mal:

      de.wikipedia.org/w...ch-Kochelsee-Moore

      • @0 Substanz:

        Wie "Nun ja"?

        Was sie dort auf dem Bild sehen bei Wikipedia sind keine renaturierten Hochmoore sondern entwässerte frisch gemähte grünlandwirtschaftlich genutzte Flächen nach der ersten und zweiten Mahd.

        • @Rudolf Fissner:

          Darf ich Ihnen noch zwei Teaser zur Verfügung stellen, die eventuell auch Lust auf den Text machen?



          "...sind ein aus Nieder- und Hochmooren bestehendes..."



          "Die Moorlandschaft stellt ein ausgedehntes und dennoch zusammenhängendes Feuchtgebiet dar..."



          Und ja:



          "Seit zirka 1000 Jahren wird die Moorlandschaft durch die Klöster Benediktbeuern und Schlehdorf landwirtschaftlich nutzbar gemacht, wodurch unter anderem artenreiche Streuwiesen entstanden sind."

          Unter



          www.zuk-bb.de/Naturschutz



          finden Sie auch etwas über die Renaturierung / landwirtschaftliche Nutzung

          • @0 Substanz:

            Ich glaube Sie haben nicht verstanden, was ein renaturiertes wieder vernäßtes Hochmoor ist (Herr Mauin spricht von Torfmossflächen, nicht von Streuwiesen)

            Das ist kein Grünland wie die Bilder bei Wikipedia, auf die sie verwiesen haben, und das sind auch keine landwirtschaftlich genutzten Flächen mit leicht geringeren Erträgen wie Herr Maurin schreibt.

            Dort sollte bei einer Renaturierung die landwirtschaftliche Nutzung auf nahezu null zurück geschraubt worden sein, wenn es dem Begriff Renaturierung gerecht werden will. Kurz: Die Flächen sind raus aus der landwirtschaftlichen Nutzung

  • Ich verstehe noch nicht, warum das "Desinformation" ist. Der Autor spricht z.B. von 400.000 km "Bächen und Flüssen". Die EU-Direktive spricht nur von Flüssen. DAS ist Desinformation. Es ist total kontraproduktiv - anders als die EU-Direktive und Lemke sagen - schiffbare Flüssen nicht zu vertiefen, weil bei Niedrigwasser alles auf der Strasse landet. Pro Schiff 150 LKW.

    So einfach ist es nicht.



    Es geht um Bewertung nicht Desinformation!

  • Es wird wieder einmal deutlich, dass die EVP, hier vor allem CDSU, nur an einem einzigen Wert interessiert sind, nämlich dem des Profits. Alles (!) andere hat sich darunter einzuordnen. Um das umzusetzen scheuen sich diese Leute nicht, auf das bewährte Mittel der Emotion zu setzen, indem man dreist lügt und fälscht um das zu erreichen. Den "christlichen" Parteien sei zugerufen: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten!

  • In der Regierungsverantwortung war damals umweltpolitisch mit der Union auch "kein Staat zu machen". Anfang 2021 daher:



    //



    www.tagesschau.de/...utschland-101.html



    //



    "Naturschutzrichtline: EU-Kommission verklagt Deutschland



    Seit Jahren bemängelt die EU-Kommission, dass Bund und Länder systematisch zu wenig Naturschutzgebiete ausgewiesen haben. Weil sich trotz der Mahnungen kaum etwas getan hat, klagt die Behörde nun vor dem Europäischen Gerichtshof."



    //



    Tricksen und Aussitzen war gestern noch teilweise und scheinbar erfolgreich, wird aber zunehmend durchschaubar und retrospektiv auch vorwerfbar.

  • "Schöner Flusslauf". Ja, und komplett eingedeicht.

    • @lesnmachtdumm:

      Ja, und somit passt das Bild doch ganz gut zum Artikel: Diese Landschaft schreit doch nach Renaturierung!