Streit in der Ampel: Betriebsklima ist kritisch
Nach viel Motzerei wird es spannend im Koalitionsausschuss der Ampel am Sonntag. Von Klimaschutz bis Kindergrundsicherung: Zündstoff gibt es zuhauf.
Aus SPD und FDP motzte man zurück. Ja, der Wirtschaftsminister stehe unter Druck, so SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Aber man solle damit nicht so umgehen, „dass man jetzt einfach in alle Richtungen koffert.“ Und FDP-Vize Wolfgang Kubicki attestierte Habeck sogar ein ähnliches Staatsverständnis wie Wladimir Putin. Ein Vergleich, für den er sich noch am gleichen Tag entschuldigte.
Der Schlagabtausch zeigt, es gibt einiges aufzuarbeiten im Koalitionsausschuss. Die Erwartungen an das Spitzentreffen von Regierungsschef, Partei- und Fraktionsspitzen der Ampel am Sonntag sind hoch: „Alle sind aufgerufen dafür zu sorgen, dass diese Koalition konstruktiv an Problemlösungen arbeitet. Und ich bin mir ganz sicher, dass das gelingt“, so SPD-Vorsitzende Saskia Esken im Vorfeld zur taz.
Auch die Grünen bemühen sich nach dem Habeckschen Gewitter, die Atmosphäre wieder runterzukühlen. Am Rande der Fraktions-Klausur sprach Fraktionschefin Britta Haßelmann am Mittwoch vom „Team Ampel“ und zählte auf, wo die Ampel-Parteien im gesellschaftspolitischen Bereich gut zusammenarbeiteten. Am Sonntag wolle man „das Ganze wieder zu einem Team zu machen“, ergänzte ihre Co-Vorsitzende Katharina Dröge.
60 Vorhaben auf der Liste
Doch die Liste der strittigen Themen ist lang. Das Portal FragDenStaat listet über 60 Vorhaben auf, die die Ampel begonnen, aber noch nicht umgesetzt hat – vom Klimaschutzgesetz bis zur Kindergrundsicherung. Habecks Unmut über den stotternden Fortschrittsmotor ist also nicht ganz unberechtigt. Eine offizielle Tagesordnung für den Koalitionsausschuss gibt es (noch) nicht, ein Thema ist nach übereinstimmenden Angaben aus Koalitionskreisen aber bereits angemeldet: Die beschleunigte Planung von Infrastruktur.
In der Ampel ist man sich einig, dass Schienen, Brücken und Netze doppelt so schnell wie bisher genehmigt, geplant und gebaut werden sollen – Bundeskanzler Olaf Scholz mahnte zuletzt mehrmals ein Deutschlandtempo an. Doch uneins ist man sich darüber, ob dieses Tempo auch für den Neubau von Straßen gelten soll. Darauf pocht die FDP, die Grünen sind mit Verweis auf die verfehlten Klimaziele im Verkehrssektor dagegen. „Das ganze Thema Klimaschutz und Verkehr ist ungelöst in dieser Koalition“, sagte Dröge mit Blick auf ihre Erwartungen an den Koalitionsausschuss.
Aus Kreisen der SPD-Führung heißt es, beide Seiten müssten aufeinander zugehen, im Grunde sei man sich doch zu 98 Prozent einig. In der Grünen-Fraktion ist die Bereitschaft allerdings gering, den Liberalen hier weiter entgegenzukommen. Die Spitzen der Grünen spüren Druck von den eigenen Leuten und hätten bei zu weitreichenden Zugeständnissen Probleme, sich zu erklären. Und in der FDP versucht man sich mit diesem Thema bei den verbliebenen Wähler:innen zu profilieren.
Reizthema Heizungen
Wie eine Einigung aussehen könnte ist bislang unklar. Möglicherweise wird eine Liste, die in der Regierung kursieren soll, mit Autobahnprojekten die im Turbo gebaut werden, konkretisiert und gestutzt.
Ein weiteres Thema, welches in dieser Woche in einschlägigen Medien für fette Schlagzeilen sorgte, ist das schrittweise Aus für Gas- und Ölheizungen. Eigentlich hatte sich der Koalitionsausschuss bereits im vergangenen Jahr darauf geeinigt, dass ab nächstem Jahr neue Heizungen zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden sollen. Der Einbau neuer Gas- und Ölheizungen hätte sich damit faktisch erledigt. Mit einer Hintertür, die jetzt zur Falltür werden könnte: „möglichst“, heißt es nämlich in der Einigung vom vergangenen Jahr. Bereit Anfang März erklärte FDP-Generalsekretär Bijan Djir Sarai, ein Verbot ab 2024 sei der falsche Weg.
Als Mitte der Woche der Gesetzentwurf aus dem Hause Habeck öffentlich wurde, platzte dem Hausherr der Kragen. Der Entwurf sei bewusst geleakt worden, um dem Vertrauen in der Regierung zu schaden. „So etwas passiert ja nicht aus Versehen“, so ein sichtlich empörter Habeck am Dienstagabend im Tagesthemeninterview. „Insofern bin ich ein bisschen alarmiert, ob überhaupt Einigungswille da ist.“
Der Minister sei auch selbst mit schuld, dass jetzt Stimmung gemacht werde – er hätte Übergangsfristen und Förderprogramme eben strategisch mit kommunizieren müssen, heißt es aus SPD-Kreisen. In der SPD hofft man, dass das Thema noch vor dem Koalitionsausschuss abgeräumt wird.
Ruf nach Kanzler Scholz
Denn Geld, um gebeutelte Häuslebesitzer und Mieter:innen beim Heizungsumstieg zu unterstützen wäre ja da – im Klima- und Transformationsfonds sind 60 Milliarden Euro an Kreditermächtigungen hinterlegt, für genau solche Förderprogramme. Und wie Habeck darlegte, haben die Produzenten von Wärmepumpen sogar schon versprochen die Produktion hochzufahren.
Über all dem schwelt noch der Streit über den Haushalt. Abseits von bereits beschlossenen Schuldensondertöpfen will der Bund im nächsten Jahr fast ohne neue Kredite auskommen. Der Etat für 2024 ist derzeit in zweistelliger Milliardenhöhe überplant, auch ohne Extrawünsche, die alle Ministerien angemeldet hatten. Wobei als Extrawunsch auch die Kindergrundsicherung gilt, die derzeit in der Finanzplanung noch gar nicht auftaucht.
Finanzminister Christian Lindner wollte eigentlich schon vergangene Woche Eckpunkte für den Haushalt 2024 präsentieren, hatte den Präsentationstermin aber ersatzlos gestrichen. Wo man klotzt und wo man konsolidiert, dazu wollen sich die Koalitionsspitzen am Sonntag ebenfalls eine Meinung bilden. Mitte Juni will die Regierung dann einen Haushaltsentwurf beschließen.
Bei den Grünen ruft man nun unverholen lauter nach dem Kanzler. Der sei jetzt in der Verantwortung, so Dröge. Doch Scholz schweigt bislang zu dem Krach in seiner Koalition.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland