Krise der Ampel-Koalition: Die Nacht der langen Stifte
Die Ampel tagt 20 Stunden lang, um Konfliktthemen zu klären – ohne Ergebnis. Die Situation sei aber lösbar, heißt es. Fortsetzung am Dienstag.
Diese gemeinsame Erklärung sollte irgendwie Einigkeit demonstrierten. Dabei kann davon in der Ampel keine Rede sein. Bei der Planungsbeschleunigung und den E-Fuels, Klimaschutz und Verkehr, Finanzen und Kindergrundsicherung hakt es. Kanzler Olaf Scholz (SPD), von dem manche Grüne vorab ein Machtwort Richtung Finanzminister Christian Lindner (FDP) gefordert hatten, war mit einem eigenen umfangreichen Papier in die 20-stündige Marathonsitzung, die am Sonntagabend begonnen hatte, gegangen.
Die Grünen kritisieren schon länger, dass der von FDP-Minister Volker Wissing verantwortete Verkehrsbereich nicht genug für die CO2-Einsparung tut und Geld für die Bahn fehlt. Sie waren wohl bereit, der FDP bei einem von deren Herzensanliegen entgegenzukommen. Die FDP und auch die SPD möchte Planungsbeschleunigung auch für einzelne neue Autobahnen, mit weniger Umweltschutzprüfungen. Doch für eine Einigung reichte es nicht. Manche Grüne argwöhnen schon lange, dass der Kanzler, der doch Konflikte moderieren solle, zu oft auf der Seite der FDP steht.
Die Zeiten, als die Ampel versprochen hatte, ohne ruinöse Nachtsitzungen zu regieren, scheinen schon sehr lange her zu sein. Gegen Montagmittag twitterte Lindner: „Ideenreichtum, #Schlafmangel – #Koalitionsausschuss.“ Es soll in der Nacht nur eine Pause gegeben haben. „Auch Pausen können sehr kreativ sein“, sagte die FDP-Politikerin und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, der taz.
Bemerkenswert ist, dass aus den Verhandlungen kaum etwas an die Öffentlichkeit drang. Das erinnert an den Honeymoon der Ampel, als die Regierung in spe sich den wohlklingenden Namen „Fortschrittskoalition“ gab und vollmundig einen neuen, kooperativen Stil ankündigte, der sich von der Missgunst der letzten Groko abheben sollte. Während der Koalitionsverhandlungen drang wochenlang kaum etwas über Konflikte nach draußen. Das sollte zeigen, dass man sich in der Ampel gegenseitig vertraut und Konflikte intern löst.
Die Ampel wirkt desorientiert
Nun wirkt die Ampel mit ihrer endlosen Sitzung recht desorientiert. Ein Regierungssprecher hatte am Mittag noch die Erwartung geweckt, dass die Ampel ihren Streit bis zum frühen Nachmittag beilegen würde. Scholz und andere Regierungsmitglieder kehren am Montagabend spät aus den Niederlanden nach Berlin zurück. Am Dienstag um 9 Uhr wird der Koalitionsausschuss fortgesetzt. Kanzler Scholz hat seine Termine für den Dienstagvormittag und -mittag bereits abgesagt. Dieser Koalitionsausschuss könnte im Guinnessbuch der Rekorde landen. Die Chancen, sich zu einigen, seien, so schätzen es Ampel-Spitzenpolitiker ein, aber nach wie vor gut.
Vor allem zwischen Grünen und FDP ist die Stimmung schon länger angespannt. Ein FDP-Mann verglich den grünen Vizekanzler Robert Habeck mit Putin. Das war noch nicht mal der Opposition eingefallen. Die Sondersitzung sollte auch das Klima in der Koalition aufhellen. Zuvor hatte Habeck SPD und FDP attestiert, in der Regierung beim Klimaschutz nur noch als Blockierer aufzutreten. Das Klima in der Regierung war wohl noch nie so gereizt wie derzeit.
„Das, worauf man sich schon mal gemeinsam geeinigt hat, sollte man auch umsetzen. Wenn man jeden Kompromiss wieder aufmacht, ist man letztlich in einer Art Endlosschleife gefangen und wird handlungsunfähig“, klang Toni Hofreiter, der Vorsitzende des Europaausschusses, etwas genervt.
Das Stresslevel ist auch deshalb hoch, weil es ums Geld geht. Lindner hatte Mitte März die ankündigte Präsentation des Haushalts verschoben. Offenbar wollen die Ampel-MinisterInnen 70 Milliarden Euro mehr ausgeben, als nach Lindners Ansage möglich ist. „Die ungezügelte Ausgabensucht von SPD und Grünen stoppen wir und helfen jetzt beim kalten Entzug. Manchmal muss man dem Alkoholkranken die Flasche Schnaps vom Mund schlagen“, kofferte der FDP-Vizefraktionschef Christoph Meyer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!