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Streiks in FrankreichDie solidarische Form von Hoffnung

Französisches Streiken gilt Deutschen gern als Teil der dortigen „Volksseele“. Dabei sind schlicht die rechtlichen Bedingungen in Frankreich besser.

Streik für die Rente mit 60 in Saint-Nazaire, Frankreich Foto: Stephane Mahe/reuters

I n den Pariser Straßen soll es stinken. Um die 10.000 Tonnen gefüllter, seit Tagen rumliegender Müllsäcke allein in der Hauptstadt machen den üblichen Sehenswürdigkeiten Konkurrenz. Ohne parlamentarische Abstimmung hat Macron die Erhöhung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 durchgedrückt. Laut Umfragen lehnen rund zwei Drittel der Franzosen die Rentenreform ab. Sie streiken und protestieren seit Monaten dagegen. Für den 23. März ist erneut ein landesweiter Generalstreik geplant.

In Frankreich wird signifikant mehr als in Deutschland gestreikt. Die Zahlen dazu sind unterschiedlich. Historiker wie Jean Garrigues sprechen von einer französischen Streikkultur, die ihre Ursprünge im Spirit der Revolution von 1789 habe. Und auch hierzulande quasseln Po­li­tik­wis­sen­schaft­le­r*in­nen wie Johannes Maria Becker liberalerweise von der „französischen Volksseele“. Dabei übersehen sie, dass die rechtlichen Bedingungen für Streiks in Deutschland grundsätzlich unterschiedlich sind und in Frankreich besser.

Während dort fast alle, auch die meisten Beamt*innen, unabhängig von einer gewerkschaftlichen Organisierung streiken dürfen, ist Streik in Deutschland nur im Gewerkschaftsverbund erlaubt und es muss um den Tarifvertrag gehen. Das in Deutschland restriktive Streikrecht ist unter anderen auf den Nazi und Juristen Hans Carl Nipperdey zurückzuführen und kommt bis heute Ar­bei­ter­ge­be­r*in­nen und elitenfreundlicher Politik zugute.

Die Kriminalisierung verbandsunabhängiger, sogenannter wilder Streiks trifft insbesondere Arbeitende mit prekären Arbeitsbedingungen und Rassismusbetroffene, zum Beispiel, wenn Deutschland duldet, dass Erntearbeitende aus Osteuropa illegal ohne Sozialversicherung und unter Mindestlohn arbeiten.

Widerstand gegen Unterdrückung

Wie scheißegal deutschen Arbeitgeber*innen, aber auch der Justiz und Politik vor allem ausländische Arbeitende sind, zeigt sich auch am Fall des 26-jährigen Refat Süleyman, einem Leiharbeiter aus Bulgarien mit türkischen Wurzeln. Er ist letztes Jahr auf dem Gelände des Stahlwerks von ThyssenKrupp in Duisburg verschwunden und drei Tage später von Hinterbliebenen tot aufgefunden worden. Bis heute zieht sein Tod keine Konsequenzen nach sich.

Ich schreibe diesen Text kurz vor Newroz, dem Frühlings- und Neujahrsfest, das von Afghanistan bis Kurdistan von über 300 Millionen Menschen weltweit gefeiert wird. Der Frühlingsanfang ist mit Hoffnungen für ein besseres neues Jahr verbunden und ihn zu feiern bedeutet vielerorts auch Widerstand gegen Unterdrückung, wie in der Türkei und in Iran. Dort wird vor allem in den kurdischen Städten seit dem Mord an Jina Amini unermüdlich gestreikt. Denn so unterschiedlich die Umstände Streikender weltweit sind, so eindeutig zeigen sie, wie die Mächtigen vor ihnen zittern. Streiks sind die solidarische Form von Hoffnung und machen diese greifbar. In diesem Sinne: Newroz pîroz be, frohes Neues und Soli mit allen Streikenden!

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9 Kommentare

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  • 4G
    47351 (Profil gelöscht)

    Anstelle von fehleranfälligen Stimmenauszählungen könnte man sich doch darauf verlegen, zu zählen, wer die meisten Mülltonnen und Mofas anzündet. Der bestimmt dann, was gemacht wird.

  • Ich mag Frankreich.



    Aber Verständnis für den Streik habe ich nicht.



    Ein Solidarsystem, wie die Rente, funktioniert eben nur, wenn es genügend EintahlerInnen gibt. Die Menschen werden älter, die Zahl der EinzahlerInnen relativ kleiner, mit der Anhebung des Renteneintrittsalters wird dieses Verhältnis etwas korrigiert.



    Macron macht sich keine Freude, aber sorgt für den Erhalt des Rentensystems.



    Die Demonstranten denken hingegen nur an sich.



    Angesichts der Tatsache, dass da auch viele Rechte mitdemonstrieren, wird mir die Gruppe nicht weniger suspekt.



    Ist schon interessant, dass "linke" Demos in Deutschland verschrien werden, wenn da AfD Anhänger auftauchen,



    Rassemblement Nationale Anhänger bei französischen Demos aber scheinbar als Folklore durchgehen.

  • Wenn es so etwas wie eine "Volksseele" gibt, kommt sie eigentlich gerade in den rechtlichen Bedingungen eines Landes sehr gut zum Ausdruck. Es ist ja kein Zufall, dass französisches Streikrecht von revolutionären Werten inspiriert ist und das deutsche nicht.

    Ich verstehe daher den Aufhänger des Artikels nicht, wünsche der Autorin und allen Leserinnen und Lesern jedoch auch einen schönen Frühlingsanfang!

    • @Totti:

      Sorry. Wenn frauman keine Ahnung hat



      Schlicht den Rand halten! Woll. Danke.







      Hans Carl Nipperdey, führender Arbeitsrechtler in der NS-Zeit, von 1954 bis 1963 Präsident des Bundesarbeitsgerichts, hat das restriktive deutsche Arbeitsrecht bis heute geprägt: Politische Streiks sind verboten, Beschäftigte zur Treue verpflichtet und Whistleblower nahezu ungeschützt.“



      www.hoerspielundfe...nipperdey-100.html



      &



      “Hans Carl Nipperdey (* 21. Januar 1895 in Berka; † 21. November 1968 in Köln) war ein Jurist, der zur Zeit des Nationalsozialismus und in der später gegründeten Bundesrepublik Deutschland als Professor für Bürgerliches Recht, Handels- und Arbeitsrecht tätig war. Er war zunächst in Jena und ab 1925 in Köln tätig. In den Jahren 1954 bis 1963 war er der erste Präsident des Bundesarbeitsgerichts in Kassel.…



      Nipperdey hat maßgeblich dazu beigetragen, in legale und illegale beziehungsweise Wilde Streiks zu unterscheiden und sich damit – verglichen mit England, Frankreich oder den USA – für ein besonders unternehmerfreundliches Streikrecht eingesetzt.[4] Illegal sind Streiks bei noch bestehenden Tarifverträgen oder wenn sie nicht von einer Gewerkschaft organisiert sind oder wenn es um andere Themen als Tarife und Löhne geht.[4]

      Nipperdey sah Whistleblowing als problematisch an.„



      de.wikipedia.org/w...ans_Carl_Nipperdey

      Kann mich gut an ein Feature unlängst - gestandene Arbeitsrichter & Wolfgang Nescovic - wie Ninon Colneric - Arbeitsrichterin exEuGH-Richterin zusammenfaßte: ~ “Mensch - wir hatten doch lange Zeit keine Ahnung - was der alles angerichtet hatte!“



      ansonsten anschließe mich 🏴‍☠️

      kurz - Verschossener Elfer! Gelle.



      Francesco kann das besser! Woll.

      • @Lowandorder:

        Die Autorin insinuiert, dass in Deutschland wie in Frankreich gestreikt werden würde, wenn nur das Streikrecht das gleiche wäre. Ich glaube das nicht. Nur darum ging es.

        • @Totti:

          Sorry. On the road. Das hängt nochn bisken anders. Gleich mehr.

          • @Lowandorder:

            Ok. Es ist ja kein Zufall der zwei Sichtweisen. Bekanntlich kannste ja auch Flöhe & Läuse haben! Woll & beides sich ergänzen?!



            Anyway. Kl. Aufriß: “Erkenne die Lage“ & die war/ist insbesondere in den Ländern westlich des eisernen Vorhangs echt unterschiedlich.



            Hitler hatte die Arbeiter- & Gewerkschaftsbewegung einschließlich der Arbeitersportbewgung komplett abgeräumt.



            (Zu den Dimensionen: der DSB erreichte erst Mitte der 70er die Mitgliederzahlen der Arbeitersportbewegung - allein!)



            Arbeitsfront die Quittung & nicht verschwiegen auch der böse Satz: “die sind doch schon hinter der roten Fahne herjeloofen als da noch keen Hakenkreuz druff war!“ enthält mehr als ein paar Körnchen Wahrheit.



            Post WK II aber - mit Ende der 50 Kalter Krieg - der immer via BRD (& DDR auch) besonders war! wurden die Reste der Arbeiterbewegung - nicht nur im Sport - mit brauner Hatz (Carl Diem & Co.!) über den Tisch gezogen! Sondern mit Abfeiern eines obskuren “Einheitsgedankens“ via Einheitsgewerkschaft DGB et al. & der Mähr von der Sozialpartnerschaft der deutsche Michel zu Gunsten & Entlastung des Kapitals unfaßbar eingelullt & über den Tisch gezogen.



            (Zu Stimmung mag genügen - daß die Kinder von Hans Böckler - erster Vorsitzender des DGB - erst von ihren Mitschülern erfuhren - wer ihr Vater war!



            de.wikipedia.org/wiki/Hans_B%C3%B6ckler )

            Die SPezialDemokraten vorweg taten ein übriges in ständiger Angst: “vaterlandslose Gesellen“ - & gern mit vorauseilendem Gehorsam! Woll



            (Vom Extremistenbeschluß zum Radikalenerlaß - nur ein Willy-Schritt - wa! Nur ein Beispiel!)



            &



            Nicht allein die aufgezeigte “Nipperdey-Rechtsprechung“ paßte dazu wie Arsch auf 🪣!



            Thematisiert wurde das lange Zeit zB in den Karikaturen der 60er & 70er bis hin zu FAZ durchaus. Motto: der ratlos guckende deutsche Michel umringt von den Malochern der übrigen westeuropäischen Länder “Streik!! Michel - Streik! Schon mal gehört??“

            ff kl Reminiszenz

            • @Lowandorder:

              (Kl. Reminiszenz am Rande: Betriebsausflug zu Bayer kam ich im opulenten Bayer-Casino zwischen die Betriebsräte zu sitzen! “Na da habt ihr euch aber auf die billige Tour - den Schneid abkaufen lassen!“ “Da haben Sie recht!“ mehrere andere nickten. Der durchaus geschätzte Kollege Präsi versuchte vergeblich abzumildern.)



              & zur Stimmung post WK II



              Hatte die Ehre als sidekick die Akte des NOK über dessen Entstehung fotokopieren zu dürfen! Heiliger Strohsack! Was da von Carl Diem & Co. ua aber besonders gegen s.o. Hans Böckler gehetzt wurde - tief unter der Gürtellinie - geht auf keine Kuhhaut!

              So geht das ©️ Kurt Vonnegut



              “Die Geschichte ist lediglich eine Überraschungsliste. Sie kann uns nur darauf vorbereiten, aufs Neue überrascht zu sein.“

    • @Totti:

      Das war auch mein Gedanke.

      Dennoch schließe ich mich natürlich an:

      "Newroz pîroz be und Solidarität mit allen Streikenden!"

      In Frankreich, im Iran, auf der ganzen Welt!