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Steigende Staatsausgaben für WohnkostenGrund ist nur die Explosion der Mieten

Merz will weniger Wohnkosten für Bedürftigen erstatten. Eine taz-Analyse zeigt, dass die längst zusammenrücken. Mietenkontrolle wäre effektiver.

Sonnenuntergang in Berlin: 24 Prozent mehr vom Staat bezahlte Wohnkosten als vor fünf Jahren Foto: Christophe Gateau/dpa

Berlin taz | Der Vorstoß von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), die vom Staat erstatteten Wohnkosten für Bürgergeld-Empfänger zu begrenzen, sorgt weiter für heftige Debatten. Scharfe Kritik kam am Freitag selbst vom Koalitionspartner. „Wir müssen endlich aufhören, zu glauben, dass wir den Staat auf Kosten der Bürgergeldbezieher sanieren könnten. Das ist schlichtweg falsch“, sagte SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf dem Portal t-online.

Tatsächlich sind die Wohnkosten, für die der Staat aufkommt, ein hoher Kostenfaktor. Laut der Bundesagentur für Arbeit wurde im März dieses Jahres 1,75 Milliarden Euro an Kosten für die Unterkunft anerkannt. Das war 1,15 Prozent mehr im Vorjahresmonat. Und sogar 24 Prozent mehr als vor fünf Jahren.

Doch woran liegt der Anstieg der Kosten? Um das zu analysieren, hat sich die taz die Zahlen der Bundesagentur näher angeschaut.

Naheliegend wäre zum Beispiel der Verdacht, dass es wegen wachsender Armut immer mehr Leistungsemp­fän­ge­r:in­nen gibt. Aber das ist nicht der Fall. Die Zahl der „Bedarfsgemeinschaften mit anerkannten Kosten der Unterkunft“ liegt seit einigen Jahren recht konstant bei gut 2,7 Millionen. Aktuell ist sie gegenüber dem Vorjahr sogar um 1 Prozent zurückgegangen.

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Ein häufig in der Debatte genanntes Argument ist, dass die Menschen in zu großen Wohnungen leben würden, die vom Amt bezahlt werden. Aber auch das lässt sich nicht von den Zahlen der Bundesagentur belegen.

Genutzte Wohnfläche ist seit Jahren konstant

Im Schnitt verfügt die typische Be­woh­ne­r:in einer Bedarfsgemeinschaft über gut 35 Quadratmeter Wohnfläche. Dieser Wert ist seit Jahren sehr stabil, mit sogar einer leichten Tendenz nach unten.

Zwar gab es im März auch 180.000 Bedarfsgemeinschaften, die auf mehr als 100 Quadratmetern lebten. Darunter waren sogar 15.000 Ein-Personen-Haushalte, also Menschen, die ganz allein in einer vom Staat finanzierte großen Wohnung lebten. In den meisten Fällen dürften dies aber ältere Menschen sein, deren Kinder ausgezogen und deren Partner verstorben sind, bei denen ein Umzug in eine kleinere Wohnung wegen der rasant gestiegen Mieten keine Kostenersparnis bringen würde.

Insgesamt ist aber zu erkennen, dass Menschen in den Bedarfsgemeinschaften immer mehr zusammenrücken. Oder zusammenrücken müssen. So sank die Zahl der geförderten 40 bis 60 Quadratmeter großen Wohnungen in den letzten 10 Jahren um fast 20 Prozent, die der 60 bis 80 Quadratmeter großen gar um fast 25 Prozent.

Einen Zuwachs gibt es nur bei den Bedarfsgemeinschaften, die auf engstem Raum leben – auf weniger als 20 Quadratmetern. Ihr Zahl ist seit 2015 um 64 Prozent auf über 70.000 gestiegen.

Überwiegend hausen in diesen Miniunterkünften einzelne Personen, aber nicht nur. Laut Bundesagentur gab es im März 7.000 Bedarfsgemeinschaften mit 3 oder mehr Personen, die weniger als 20 Quadratmeter zur Verfügung hatten. Darunter sogar 1.183, die sich mit 6 oder mehr Menschen auf diesem Miniraum quetschen mussten. Da bleiben kaum 3 Quadratmeter pro Person.

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Wieso steigen dann dennoch die Kosten für den Staat? Die Zahlen der Bundesagentur lassen nur einen Schluss zu: Schuld ist der extreme Anstieg der Mieten in den letzten Jahren.

Im März 2015 lag die anerkannte Miete je Quadratmeter noch bei 5,53 Euro. Fünf Jahre später war sie schon 6,84 Euro gestiegen. Und im März dieses Jahres lag sie bei 8,19 Euro. Mithin ein Anstieg um fast 50 Prozent in den letzten 10 Jahren.

Hinzu kommen die ebenfalls stark gestiegenen Nebenkosten. Die Betriebskosten stiegen seit 2015 um mehr als 35 Prozent. Bei den Heizkosten gab es einen extremen Anstieg um fast 45 Prozent, der zudem nahezu ausschließlich in den letzten drei Jahren zu Buche schlug – also seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine.

Von niedrigeren Mieten würde der Staat profitieren

Anders gesagt: würde sie die Mieten wirksam begrenzen, könnte die Bundesregierung weitere Kostensteigerungen für die Unterkunft verhindern. Aktuell ist das aber schwierig. Zwar gilt in extrem angespannten Gebieten die Mietpreisbremse. Aber in Anspruch nehmen können sie nur die Mie­te­r:in­nen selbst. Die müssten ihre Ver­mie­te­r:in­nen auf eigenes Risiko verklagen, ohne davon im Erfolgsfall profitieren zu können. So ist es wenig verwunderlich, dass das niemand macht.

Zugleich ist absehbar, dass die staatlichen Aufwendungen in den kommenden Jahren weiter dramatisch steigen. Denn bei jeder neu angemieteten Wohnung werden ja die exorbitant gestiegenen Mietpreise verlangt – und bisher auch von den Behörden anerkannt.

Wenn wie von Merz vorgeschlagen, nur die Höhe der anerkennbaren Mietkosten gedeckelt würde, hätte das vor allem den Effekt, dass Bedarfsgemeinschaften gar keine oder allenfalls unzureichende Wohnungen finden würden. Die Alternative, So­zi­al­leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen in die Obdachlosigkeit zu schicken und dann womöglich in Heimen unterbringen zu müssen, ist aber nicht nur moralisch verwerflich, sondern meist noch viel teurer.

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2 Kommentare

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  • Neuvermietung einer Wohnung. 8€ kalt wären aus Sicht des Vermieters ausreichend. Der Makler sagt: "Das Amt zahlt 12". Also wird für 12€ vermietet. Dem Mieter ist es egal - der Vermieter freut sich. Selbst so erlebt. Das System ist schlicht krank.

  • Aber man doch menschlich verstehen, dass Neid aufkommt. Ich kann mir keine 100m² Wohnung leisten. 20.000 Bedürftige bekommen diese finanziert - teilweise weiter über die Karenzzeit hinaus. Das ist nicht fair.