Statistiken zu Vermögen: Superreiche sind nicht zu fassen
Die Zahl der Dollarmillionäre ist während der Coronapandemie noch weiter gestiegen. Das Problem sind aber andere.
Ausgerechnet im Pandemiejahr ist die Zahl der „Dollarmillionär:innen“ gewachsen. Während ein Großteil der Menschen nicht zuletzt auch finanziell weiter unter der Pandemie leidet, wird eine kleine, wenn auch wachsende Minderheit dank steigender Immobilienpreise und Aktienkurse zu Millionär:innen. Wie ungerecht!
Rund 1,5 Millionen Millionär:innen gibt es in Deutschland dem World Wealth Report der Beratungsgesellschaft Capgemini zufolge – ein Plus von 4,7 Prozent im Vergleich zum vergangenen Jahr. Weltweit ist die Zahl der Menschen, die über ein anlagefähiges Vermögen von mindestens 1 Million US-Dollar verfügen, sogar um 6,3 Prozent gestiegen. Alle 27 Sekunden kommt ein:e neue:r Millionär:in hinzu, hat die konservative Zeitung Die Welt ausgerechnet. Corona hat die Ungleichheit also noch mehr gesteigert.
Der Befund ist auch ohne Corona richtig: In den vergangenen Jahrzehnten hat die Ungleichheit ständig zugenommen. Die Verbindung zur Pandemie ist da fast irreführend, weil die Ursachen für den Trend nicht in der Seuche und ihrer Bekämpfung liegen, sondern in politischen Weichenstellungen der 1990er Jahre. Daher führt der Report durch seine Rechenweise auch etwas in die Irre.
Klar, Millionäre sind durchaus als reich zu betrachten und haben unvergleichlich viel mehr Komfort im Leben als die kapitalschwachen Schichten. Das zeigt sich gerade jetzt, wo Wohnen so teuer wird. Der Fokus auf die Dollarmillionäre, die mit ihrem Vermögen gerade so die Schwelle überschritten haben, verwischt jedoch die Aufmerksamkeit für die größten Nutznießer der Umverteilung von unten nach oben. Das sind die Superreichen.
Studien zur weltweiten Vermögensentwicklung haben zwar Hochkonjunktur – es gibt sie allein unter dem Titel „Global Wealth Report“ von vier verschiedenen Beratungs- und Finanzfirmen. Alle diese Reichenstudien haben jedoch gemein, dass sie die Vermögen der Superreichen nur schätzen, ihre Anzahl also nur unzureichend bis gar nicht erfassen. Denn Superreiche sind, gelinde gesagt, nur wenig auskunftsfreudig. In den meisten Ländern auch gar nicht verpflichtet, den Wert ihres Vermögens offenzulegen. Über die wahren Vermögensverhältnisse der Reichsten ist also wenig bekannt.
Doch gerade sie sind es, auf denen sich enormer Wohlstand konzentriert, der bei der hart arbeitenden Bevölkerung von der Mittelklasse abwärts zum guten Leben fehlt. In dem jüngst erschienenen lesenswerten Buch „Working Class“ zitiert Autorin Julia Friedrichs Ökonom Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), einem der hierzulande renommiertesten Armuts- und Reichtumsforscher, der mit folgendem Vergleich das Missverhältnis darstellt.
„Stellen wir uns vor, ein Zentimeter auf dem Blatt entspräche 5.000 Euro Vermögen. Dann können wir problemlos 95 Prozent der Bevölkerung auf diesem Blatt abtragen. Wo aber, fragt er, stehen dann die Reichsten? Seine Antwort: Sie stehen gar nicht, sie schweben, zum Beispiel in einem Heißluftballon mehr als sechs Kilometer über dem Rest.“
Der „wahre“ Reichtum
Die Grenze von Reichtum bei der Millionengrenze zu ziehen, ist hingegen zumindest auf die meisten Industrieländer bezogen heute nicht mehr zeitgemäß. Klar: Wer, wie etwa ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland, gar kein Vermögen hat und gerade einmal so viel verdient, um über die Runden zu kommen, für die- oder denjenigen sind 1 Million Dollar eine Menge Geld.
Gerade in den USA kommt eine siebenstellige Zahl jedoch oft zustande. Es gibt dort keine staatliche Rentenversicherung, die Leute müssen auf eigene Faust Geld fürs Alter zurücklegen. Wer in einer der teuren Küstenstädte lebt, sollte wegen der dortigen kapitalmarktgestützten Altersversorgung mit Ende 50 schon ein Vermögen aufgebaut haben, das nicht mehr weit von der Millionengrenze entfernt ist, um im Rentenalter den gewohnten Lebensstandard halten zu können. Nicht viel anders sieht es für Haushalte in so teuren Städten wie München aus.
Doch wann ist die Schwelle des „wahren“ Reichtums dann erreicht? Während sich die Wissenschaft über die Kriterien für Armut weitgehend einig ist, ist Reichtum nicht klar definiert. Umfragen hierzulande zeigen, dass in der subjektiven Wahrnehmung der Bevölkerung Reichtum bei etwa 750.000 Euro beginnt. DIW-Ökonom Grabka setzt die Schwelle eher bei 1,3 Millionen Euro an, also bei 1,5 Millionen Dollar. Ab dieser Summe lässt sich ein durchschnittlicher Lebensunterhalt bestreiten, ohne arbeiten zu müssen.
Irgendwo darüber markiert den Beginn einer doppelten Ungerechtigkeit. Denn wer etwa mit Mitte 40 allein von Kapitaleinnahmen leben kann, zahlt in der Regel nicht mehr in die gesetzliche Rentenversicherung ein, die wie auch die gesetzliche Krankenversicherung auf dem Solidaritätsprinzip basiert. Wer nicht mehr arbeiten muss, zahlt auch keine Einkommenssteuer, sondern nur noch Steuern auf Kapitalerträge, die aber sehr viel niedriger sind. Diese Gruppe lebt also von Kapitalerträgen und gibt dem System nichts mehr zurück.
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