Statistik des BKA: Höchststand bei rechter Gewalt
Politisch motivierte Straftaten haben den höchsten Stand seit Einführung der Statistik erreicht. Eine Beobachterin hält die Zahlen für unvollständig.
Das sind 5,7 Prozent mehr als ein Jahr zuvor – ebenfalls ein neuer Höchststand. „Rechtsextremismus ist die größte Bedrohung für unsere Gesellschaft“, sagte CSU-Innenminister Horst Seehofer am Dienstag in Berlin und verwies auf eine „Blutspur“, die sich durch das Land gezogen habe.
„Der traurige Rekord rechter Straftaten kommt nicht überraschend“, sagte Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung. „Seit Jahren befeuern Rechtsradikale in den Parlamenten und auf der Straße eine Rhetorik des Hasses, die sich immer mehr in Gewalt entlädt.“ Angehörige von Minderheiten spürten diese wachsende Aggression schon lange.
Bei den politisch motivierten Gewalttaten, also etwa Körperverletzungen und Widerstand gegen die Staatsgewalt, lag die Anzahl der Fälle mit 3.365 Straftaten laut BKA im vergangenen Jahr sogar um fast 19 Prozent über dem Wert des Vorjahres und damit etwa auf dem Niveau von 2018. Hier sind insbesondere die links motivierten Taten angestiegen. Das BKA registrierte 1.526 solcher Delikte, 45 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Gewaltdelikte, die auf das Konto von Rechten gingen, stiegen laut BKA um gut 10 Prozent auf 1.092. Darunter aber ist die schlimmste Tat des vergangenen Jahres: der rassistische Anschlag von Hanau, bei dem neun Menschen ermordet wurden.
Empfohlener externer Inhalt
Judith Porath, Vorstand des Verbands der unabhängigen Opferberatungsstellen, betonte, dass die von den Polizeibehörden der Länder gemeldeten Zahlen zu rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt erneut unvollständig seien. Die in acht Bundesländern vertretenen Anlaufstellen zählten im vergangenen Jahr 1.322 rechte und rassistische Angriffe. Mindestens drei bis vier Menschen würden täglich Opfer rechter Gewalt, sagte Porath.
Zwei Menschen wurden 2020 durch islamistisch motivierte Taten getötet. Insgesamt nahm die Anzahl der religiös motivierten Straftaten mit 12 Prozent auf 477 zu, liegt aber deutlich unter den Werten vergangener Jahre.
Im Zusammenhang mit der Coronapandemie registrierte das BKA insgesamt 3.559 politisch motivierte Straftaten, darunter 478 Gewaltdelikte. Die Mehrheit der Straftaten – knapp 60 Prozent – konnten die Behörden politisch nicht zuordnen. 22 Prozent werden Rechten, 18 Prozent Linken zugerechnet, bei Letzteren geht es aber auch um Gegendemos.
Bei den Coronaprotesten nähmen Menschen ihr Recht auf Versammlungsfreiheit wahr, sagte Seehofer. Für die Sicherheitsbehörden problematisch sei aber, „dass sich neue Koalitionen zwischen normalen Demonstranten und Anhängern von Verschwörungsideologien, Impfgegnern, Esoterikern, Reichsbürgern, Selbstverwaltern und sonstigen Extremisten bilden“.
Mehr als verdoppelt hat sich gegenüber dem Vorjahr die Zahl der Straftaten, die sich gegen staatliche Einrichtungen und Symbole, Amts- und Mandatsträger richteten. Um fast ein Fünftel haben die Delikte im Bereich der Hasskriminalität zugenommen. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, nannte die Zahlen „absolut alarmierend“ und forderte einen „Schulterschluss aller Demokraten“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands