Stand im Hohenzollernstreit: Adel als Gegenpol zur Demokratie
Alle Schlichtungsversuche scheiterten. Nun dürfte der Streit zwischen Behörden und Preußen-Erben um Millionenwerte vor Gericht fortgesetzt werden.
Der Streit ist längst noch nicht beendet. So viel lässt sich schon mal über die Hohenzollerndebatte sagen. Sie setzte hinter den Kulissen mit dem Ende der DDR ein. Mit einem Beitrag in der Zeit machte der Historiker Stephan Malinowski 2015 das Ringen von Bundesbehörden und Preußen-Erben um Millionenwerte öffentlich. Nachdem alle Schlichtungsversuche gescheitert sind, dürfte die Auseinandersetzung dieses Jahr vor Gericht fortgesetzt werden.
Als „Chef des Hauses Hohenzollern“ agiert dabei Georg Friedrich Prinz von Preußen. Er fordert eine Restitution des in Ostdeutschland nach 1945 wegen der Beteiligung an der Naziherrschaft eingezogenen Vermögens des Hochadels. Doch nach dem Ende der DDR wurde in Deutschland gesetzlich festgelegt, dass Anspruch auf Entschädigungen nicht erheben kann, wer dem Aufstieg von Stalinismus oder Nationalsozialismus „erheblichen Vorschub“ geleistet hat.
Was als Gutachter-Kontroverse begann, steigerte sich medial zur hitzigen Gesellschaftsdebatte. Auch juristisch geht es schließlich am Ende um die Frage: Wie braun waren die Hohenzollern wirklich?
Entscheidenden Anteil zur Aufklärung dieser Frage hat dabei der Historiker Stephan Malinowski. Als Experte für die Geschichte des Adels im 20. Jahrhundert fungierte er im Hohenzollernstreit zunächst 2014 als Gutachter des Landes Brandenburg. In der Folge wurde er von den Hohenzollern auch juristisch bedrängt. Er intensivierte seine Forschung. Für sein umfangreiches Werk „Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration“ wurde er 2022 mit dem Deutschen Sachbuchpreis geehrt.
Hinsichtlich der Rolle des braunen Kaisersohnes, des Kronprinzen Wilhelm von Preußen, äußerte sich Malinowski auch im taz-Interview eindeutig: „Er hat so spätestens mit dem Jahr 1930 den Nationalsozialismus und die NS-Bewegung offen und massiv unterstützt. Als prominent hervorgehobene Figur hat der frühere Kronprinz dem Vormarsch der NS-Bewegung konsequent Vorschub geleistet.“
Noch nicht abgeschlossene Debatte
Nun hielt Malinowski an der Universität München einen Vortrag unter dem Titel „Ein Streit um Kaisers Bart? Vom Nutzen und Nachteil der Hohenzollern-Debatte“. Er resümierte die Ereignisse und Entwicklung in der komplexen Causa, in der sich, so Malinowski, historische, politische, publizistische und juristische Linien überschneiden. Er sprach von einem „Zwischenbericht zu einer noch nicht abgeschlossenen Debatte“.
Medien wie der Spiegel bezeichneten die Auseinandersetzung mit den Preußen-Erben aktuell als „wichtigste geschichtspolitische Debatte des Landes“. Auch in der Show des Satirikers Jan Böhmermann war sie präsent. „Prinz dumm“ wurde zum belächelten Begriff, Auftragsgutachten geleakt, mit denen der heutige „Chef des Hauses Hohenzollern“ eine tendenziöse Interpretation des historischen Handelns seiner Vorfahren hatte durchsetzen wollen. Die Debatte wurde auch transatlantisch wahrgenommen.
Und: Prinz von Preußen erwies sich als äußerst prozessfreudig. Ab 2019 hagelte es Abmahnschreiben gegen Kritiker, betroffen davon zahlreiche renommierte Medienhäuser, einzelne Journalisten, Wissenschaftler und auch prominente Politiker.
Doch anders als von den Hohenzollern behauptet, darf das politische Verhalten des Kronprinzen während der Weimarer Republik und zur Zeit des aufstrebenden Nationalsozialismus als ausreichend erforscht gelten. „Die Streitparteien im Feld der Geschichtswissenschaft weichen nicht empirisch voneinander ab, sondern lediglich in der Bedeutung der gefundenen Empirie“, sagte Malinowski in seinem Vortrag an der Universität in München.
In dem emotional geführten Streit geht es laut dem Historiker auch um weit mehr als nur um materielle Werte oder das Verhalten einer Einzelfigur. In der Debatte um die historische Rolle der Hohenzollern, Preußens und des deutschen Hochadels gehe es auch insgesamt um das Selbstverständnis der deutschen Demokratie. Um eine mögliche Relativierung des Nationalsozialismus und eine Anknüpfung an die nationalistischen Traditionen, die diesem vorausgingen und maßgeblich zur Zerstörung der Weimarer Republik beitrugen.
Malinowski sprach in diesem Zusammenhang von einem Türöffner, für einen neuen positiv gestimmten und unangebrachten deutschen Nationalismus: Auf dem Feld der Erinnerungspolitik und der politischen Identität böte ein geschöntes Preußenbild eine eine Art Wiederauferstehung.
Die neue Unübersichtlichkeit, die heute als gesellschaftliche Erfahrung vorherrsche, stärke die Sehnsucht nach glorifizierten historischen Rückzugsorten. Nach symbolisch starken Bildern und einfachen Antworten. Der Adel verstand es Malinowski zufolge stets, eine Leinwand für Projektionen zu bieten. „Als der Kronprinz in den 1920er Jahren zu einer Art It-Boy aufstieg, trug dies vielfach lächerliche Züge. Allerdings ist daran zu erinnern, dass die emotionale Bindung von Millionen Menschen an ähnliche Figuren bis in die Gegenwart hinein nicht erloschen ist.“
Versprechen von Beständigkeit
Die Sehnsucht nach antidemokratischen Gegenwelten drückt sich etwa im rechten Reichsbürgerspektrum relativ unmittelbar aus. Aber auch bei AfD und Neuer Rechten. Adel und Monarchie böten ein eindrucksvolles Versprechen von Beständigkeit und einen Gegenpol zur demokratischen Herrschaftsform. Letztere stünde wie die gesamte Moderne für ständigen Wandel, Brüche und Veränderung. Eine Zumutung für manche.
„Demokratie setzt voraus“, so Malinowski, „jeden und jede als grundsätzlich gleich zu akzeptieren.“ Aktuell sähe man auch beim Rummel um das britische Königshaus, um Harry und Meghan, welche Macht royale Symbole und Personen massenmedial entfalten könnten.
Im deutschen Kontext wäre dies allerdings alles andere als harmlos zu nennen.
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